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Entzauberung im E-Mail-Fach
Velten Schäfer über das stille Ende der Mailinglisten
In der guten alten Zeit, also vor gut 20 Jahren, wohnte der E-Mail ein Zauber inne. Überraschung, Aufregung, Geheimnis: All das konnte dieses neue Kommunikationsmittel jederzeit auf den klotzigen Monitor spülen. Obwohl man auch damals wusste, dass irgendein technischer Hexenmeister die erste Nachricht von Bildschirm zu Bildschirm schon in den 1970ern versandt hatte, fühlte sich noch Mitte der 1990er recht besonders, wer den Rechner hochrattern ließ und von einer Mitteilung begrüßt wurde: »Du hast Post«!
Der Thrill dieser Worte trug gar einen ganzen Film, nämlich »E-M@il für Dich«. Die Komödie um zwei Großstadtmenschen, die - nicht ahnend, dass sie sich tatsächlich kennen - allabendlich nach den Zeilen eines unbekannten Gegenübers lechzen, basierte zwar auf einem alten Bühnenstück. Dessen laut Kritik »uninspiriert inszenierte, modisch aufgepeppte Adaption«, die hauptsächlich den Internetdienst AOL bewerben sollte, war jedoch ein großer Erfolg: Die gespannte Aufregung beim Öffnen einer Mail konnten viele nachempfinden.
Auch in Aktivismus oder »Theorie« wirkte der Postfachzauber - in Gestalt der Mailingliste: Sie machte es möglich, mit Informationen, Gedanken, Thesen massenhaft Gleichgesinnte zu erreichen, Debatten anzuschieben und Bündnisse zu knüpfen oder zu kündigen. Und hatte nicht nur diesen praktischen Nutzen, sondern auch einen Reiz per se: Wer hinter dem Bildschirm versank, um sich mit dem Irgendwo zu verschwören, fühlte sich wie »Commander Superfinger« - Udo Lindenbergs Fantasie vom Polit-Hacker, der mit etwas Tastendrücken alles klar macht für die bessere Welt.
Heute lauern nicht nur in der Papier-, sondern längst auch der Elektropost neben beruflichen vor allem Nachrichten aus dem Mahn- und Werbewesen. Intimes verschickt man per Messenger, Nachrichten von unbekannt sind eher unwahrscheinlich. Und jene Listen sind heute Facebook-Gruppen, beherrscht von Memes, Polemik und Fakenewsverdacht statt der Romantik elektronischer Allmende. Dort lesen nicht nur Amtsinteressenten mit, sondern auch und vor allem kommerzielle Programme.
»In den 1990er Jahren waren diese Listen eine wichtige Diskussionsplattform für inhaltliche und strategische Fragen«, verabschiedet sich nun der »Antirakalender«, eine Liste Rassismus und Widerstand. 2018 seien genau vier Mails durchgelaufen. »Dafür brauchen wir keine Liste.« Wohl wahr, jetzt eher nicht. Aber in womöglich dystopischer Zukunft? Vielleicht ist es angebracht, nicht nur des Druckens fähig zu bleiben, sondern auch in dieser Technik firm.
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