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Wörter am Spieß
Zum 80. Geburtstag des Dichters und Schauspielers Horst Tomayer
Am besten dichtet, wer weder auf den Mörike-Preis der Stadt Fellbach noch auf den Bayerischen Poetentaler oder auf ein Arno-Schmidt-Stipendium sich berechtigte Hoffnung machen darf. Völlig unbeschwert von solchem Zinnober, dichtete Horst Tomayer (1938-2013), der Bayer in Hamburg, ein halbes Leben lang im Auftrag der Zeitschrift »konkret«. Die Sammlung »German Poems« beweist: Er rang einem hässlichen Idiom Erstaunliches ab.
Denn das Deutsche eignet sich zwar vorzüglich für Gebrauchsanweisungen, doch wenig bis gar nicht für Lyrik. Ein Grund unter vielen: Die Wörter sind zu lang. Aus der Not lässt sich aber eine Tugend machen, denn das Deutsche verfügt doch wie sonst nur die agglutinierenden Sprachen über die Fähigkeit, Wörter zusammenzuschieben, als steckten sie auf Schaschlikspießen. Wenige Dichter haben diese Eigenart so geschickt ausgebeutet wie Tomayer.
In einem Gedicht über den Verfall des Leibes heißt es: »Selbst ein in Siegfriedsguterhoffnungshüttenstahl gebadeter wie Paul von Hinden / Burgs Körper wurde schließlich mürbe wie man weiß«. Der mythische Siegfried, der Stolz deutscher Industrie, der Stahl der HJ - und am Ende fällt ihm doch die Burg vom Hinden. Man bemerke die politischen Obertöne nicht nur dieses Vanitasgedichts, denn um Vergänglichkeit geht es oft bei Tomayer. Man bemerke auch, was alles auf einen Spieß passt. Weitere Wortspieße: »Presswehträning«, »Armaniseidenbinder«, »Quellekatalogauswahlqual« und, ein XXL-Spieß auf das mögliche Ende eines Rennfahrers, »Inderkanzeldesbolidenwieeinstreichholzkopfkurzmaverbrennen«.
Solche Spieße - von Komposita und Substantivierungen spricht der Fachmann - zwingen scheinbar Unzusammengehöriges zusammen wie in diesem herrlichen Epigramm: »Und ich fühle mich wie der Schweinswal / Gespült an den Hofbräuhausstrand«, vielleicht eine Abwandlung von Bertolt Brechts bekanntem Wort, er fühle sich in Hollywood wie eine Wurst im Treibhaus.
Tomayer wandelte gern im verlassenen Gebäude des Moralismus. Als fahrlässige Vergeudung von Lebenszeit erscheint es ihm, statt »mit Wasserfarben zu malen, / die Gefängnispatenschaft für eine / Gattenmörderin zu übernehmen oder an / der Fernuniversität Hagen/Westfalen die / Weltkrieg-I-Schuld-Frage zu studiern / Einen Köter zwomal täglich ›gassiführn‹«. Dass eine oder einer einen Hund Gassi führen könnte und darüber hinaus auch noch mit Wasserfarben malen, die Gefängnispatenschaft für eine Gattenmörderin übernehmen und an der Fernuniversität Hagen die Schuldfrage studieren, kommt, wie der erfahrene Tomayer weiß, nicht in Frage. Der Hund ist eine Lebensaufgabe. Das gilt auch für die Katze, was dem Katzenfreund Tomayer sehr wohl bewusst war. Wenn die Katze freilich über Amseln herfiel, konnte ihr bei ihm das Schnurren vergehen: »I hoi mei Luftdruckgwahr / Und brenn der Katz oans über / So daß sich sträubt ihr Haar.«
In seinen oft bajuwarisch gefärbten Moritaten hat dieser Dichter der deutschen Sprache, die das wirklich nicht verdient hat, ganz neue Seiten abgewonnen. Und dass er es wie kein zweiter verstand, auch dem Fremdwort einen spektakulären Auftritt zu verschaffen, hat er bewiesen, indem er »Bonhomme« auf »CD ROM« oder »Pott« auf »deep throat« reimte.
Es sind Gedichte, deren Weisheit sich daran zeigt, dass sie sich noch auf den letzten Stuss unserer Tage einen Reim machen können. Sie spiegeln der Zeit ihr Nichts zurück, verfahren also doch anders als Slowo Wenja, in dessen Gedicht rein gar nichts steht. »Nie werde ich vergessen / Slowo Wenjas slowenischs Gedicht / Und sein massives Verzichten / Auf Bedeutungsübergewicht.« Kann aber sein, dass sich Tomayer diesen Kollegen bloß ausgedacht hat, immerhin heißt »slovó« auf Slowenisch »Wort« und »véniti« bedeutet »welken«. Zu dem vielen, das vergeht, gehört das welkende Wort. Und wenn es in dem Hundegedicht heißt, der beste Freund des Menschen sei die Einsamkeit, ist das vielleicht nicht ganz so spaßig gemeint, wie es beim ersten Lesen erscheinen mag.
Was könnte das vernarbte Herz noch mehr erfreuen als Tomayers Gedichte? Ich weiß es, weil ich es selbst erlebt habe: Tomayer, wie er seine Gedichte liest. Oder, kurz, Tomayer in personam, denn wer mit ihm sprach oder an sein Faxgerät angeschlossen war, stand vor einem Feuerwerk an Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung. Aber wenn es darauf ankam, hielt der Mann sein Pulver trocken.
Als Schauspieler im Fernsehen wirkte er, obwohl auf die Rolle des Kauzes festgelegt, mitunter sehr besonnen, fast täppisch. Berüchtigt waren seine hinterlistigen Telefonanrufe. Einst rief er bei Ernst Jünger an und gab sich als Luis Trenker aus. Jünger fiel darauf herein und notierte das Gespräch sogar in einem seiner von der deutschen Reaktion gefeierten Tagebücher. Als der Coup bekannt wurde, lachte alle Welt und sie lacht vermutlich noch heute, aber ich weniger laut als andere, denn mich hat der Tomayer auch einmal angerufen.
In einer Zeit, als der linke Bildhauer Alfred Hrdlicka sich wieder einmal überall unmöglich gemacht hatte, verfasste ich eine Verteidigung unter dem Titel »Rrrt-Litsch-Ka«. Am nächsten Tag saß ich nichtsahnend in der Redaktion, das Telefon ging, Hrdlicka war dran und drückte mir in breitem Wienerisch seine Freude aus. Zum Dank wolle er mir eine Skulptur schenken, Stücker drei Tonnen schwer, ob ich Platz hätte, er lasse sie noch am Nachmittag anliefern. Gerade als mir der Schweiß auf die Stirne trat, gab sich Horst Tomayer mit einem teuflischen Kichern zu erkennen. Am 1. November, also am Allerheiligentag, wäre dieser komische Heilige achtzig geworden.
Horst Tomayer: »German Poems«. Mit Zeichnungen von Ernst Kahl, konkret- texte 73, 110 S., brosch., 15 €.
Tomayers 80. Geburtstag wird am 1.11. ab 20 Uhr im Nachtasyl/Thalia-Theater Hamburg und am 5.11. ab 20.15 Uhr im Theaterhaus Stuttgart mit der Multimediashow »Das Wort Hottes« von Marit Hofmann, Christoph Hofrichter und Fritz Tietz gefeiert.
Die 6. Horst-Tomayer-Gedenkradfahrt findet vom 23. bis 25. August 2019 statt.
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