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Warten aufs Glück
Zum ersten Mal in deutscher Sprache: Balzacs Bericht einer Reise nach Russland.
Im September 1847 war seine Geduld erschöpft. Jetzt wollte der 48-jährige Honoré de Balzac endlich seine Liebe, die polnische Gräfin Ewelina Hanska, zum Traualtar führen.
Da war’s schon eine kleine Ewigkeit her, dass er im März 1832 einen schwärmerischen Brief aus dem Südosten der Ukraine in Händen hielt, eine zu Herzen gehende Huldigung, unterzeichnet von einer Unbekannten, die sich die »Fremde« nannte. Er hatte im Mai lang und breit geantwortet und gleich gestanden, dass er sich trotz seiner Beanspruchung als Romanautor »mehr als einmal dabei ertappt« habe, »durch den Raum zu schweben«. Von da an gingen Briefe hin und her, man traf sich, verlobte sich, dann wieder gab es Zeiten, dass man sich jahrelang nicht sah.
Balzac, aufgerieben vom »langen Harren auf Liebe, auf Glück, auf ein Leben, wie ich es mir erträumte«, drängte nach dem Tod des Monsieur Hanski auf Heirat, aber die Liebste, mal die »Kosakin«, mal sein »Polarstern«, unglaublich reich und auch unglaublich verwöhnt, hielt ihn mit wechselnden Ausreden immer wieder hin. Sehr krank schon, gebeutelt von Geldsorgen und gedrückt von der Angst, sein epochales Romanwerk, »Die menschliche Komödie«, nicht vollenden zu können, setzte Balzac nun alles auf eine Karte. 1846 hatte er in Paris schon ein Haus erworben, das luxuriös möbliert und ausgestattet wurde. Im Jahr darauf traf er Vorbereitungen für eine heimliche Hochzeit in Metz. Und begab sich anschließend auf die lange und schwierige Reise nach Wierzchownia, um die Gräfin nach Frankreich zu holen.
Er hat noch im Schloss der »geliebten Angebeteten« damit begonnen, die Erlebnisse auf dieser Reise in seinem Bericht »Lettre sur Kiew« festzuhalten. Der blieb Fragment und erschien erst 1927 in Paris, seltsamerweise jedoch nie in Deutschland. Dass man ihn endlich auch hier lesen kann, ist der noblen und entdeckungsfreudigen Friedenauer Presse in Berlin zu danken. Sie hat das übersehene Prosastück, herausgegeben von Brigitte von Kann, in der Übersetzung von Nicola Denis in einer schönen, fadengehefteten Broschur vorgelegt, ergänzt um ausgewählte Briefe, die Balzac in jenen Wochen schrieb, ein fundiertes Nachwort und Anmerkungen. Dazu gibt es eine Übersicht, die penibel die Reiseroute des Franzosen mit allen Stationen und den Diner-Einladungen, die Abfahrt-, Ankunftszeiten und Transportmittel mitteilt, eine Streckenkarte sowie eine (leider nur winzige) Ansicht des Fahrplans Paris - Deutschland vom Sommer 1847.
Am 5. September jenen Jahres, einem Sonntag, verließ Balzac abends um acht Paris. Er fuhr mit der Bahn über Brüssel, Aachen und Köln und erreichte am dritten Tag Berlin, das er schon kannte, das ihm aber auch jetzt nicht gefiel. »Was die preußischen Könige auch anstellen mögen«, schrieb er, »es wird ihnen nie gelingen, Berlin unterhaltsam zu machen.« Er sprach von »abgrundtiefer Langeweile«, die das Herrscherhaus veranlasse, »ihren Soldaten spitze Kochkessel auf den Kopf zu setzen und die Uniformknöpfe zu variieren«, und er wunderte sich nicht, dass über die tristen Länder, die er durchquert hatte, noch niemand geschrieben hatte.
Er reiste schnell, mal mit der Bahn, mal mit der Extrapost, der Kutsche oder dem Wagen eines Gastwirts. Er freute sich über ein erstes Abendessen, sein Gepäck wurde durchsucht, und als Russland erreicht war, bekam er, seltsam beeindruckt vom blinden Gehorsam, Ärger mit einem Polizeimeister. Ein Herr Hackel, der vorzüglich französisch sprach, bewirtete ihn, überhäufte ihn mit Freundlichkeiten und gab ihm beim Abschied noch ein Kissen, damit er in der Kutsche nicht allzu sehr leiden musste.
Balzac erreichte sein Ziel am Montag, dem 13. September, bei Sonnenuntergang. Er war schneller als der Brief, der seinen Besuch ankündigen sollte. Der kam erst zehn Tage später, und die Freunde, schrieb er an seine Schwester, seien höchst überrascht gewesen, als er plötzlich vor ihnen stand. Er war am Ziel und traute seinen Augen kaum. Das Anwesen der Madame Hanska »ein regelrechter Louvre; und die Landgüter sind so groß wie unsere Departements«. Der Anblick machte ihn sprachlos. Dieser Reichtum und Überfluss, die unendlich weiten, fruchtbaren Felder, die Scharen von Dienern. Für Wochen lebte er wie befreit. Er musste nicht mehr an seine Schulden denken, an die Gläubiger, die ihn in Paris belagerten. Hier hatte er alles, was er sich wünschte, und konnte trotzdem das liebe Geld nicht vergessen. Er arbeite augenblicklich viel, berichtete er, damit er etwas veröffentlichen könnte, »was mir die für meine Geschäfte nötigen 45 000 Francs einbringt …« Er war auf die Idee gekommen, Eisenbahnschwellen nach Frankreich zu verkaufen. Aber die scheinbar einträgliche Spekulation wurde ein Fehlschlag. Er hatte nicht an die Transportkosten gedacht.
Der letzte Brief, den dieses unterhaltsame Büchlein mitteilt, stammt vom 26. Januar 1848. Balzac kündigte seine Rückkehr nach Paris an, verbunden mit der Bitte, dies bloß nicht weiterzusagen. Er fürchtete schon wieder die Besucher, »die über mich hereinbrechen, weil sie Geld wollen«. Dann reiste er tatsächlich ab, allein. Ewelina Hanska blieb in ihrem Louvre. Geheiratet wurde aber doch noch: am 14. März 1850 heimlich im ukrainischen Städtchen Berditschew. Da hatte Balzac, gepeinigt von Erstickungsanfällen, allerdings nur noch ein paar Wochen zu leben. Als nach entsetzlich langer, strapaziöser Reise Paris erreicht war, musste er ins Bett. Er hat sein Krankenlager nicht mehr verlassen. Am 18. August 1850 ist er gestorben, 51 Jahre alt.
Honoré de Balzac: Ein Abglanz meines Begehrens. Bericht einer Reise nach Russland 1847, herausgegeben von Brigitte von Kann. Friedenauer Presse, 200 S., br., 18 €.
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