Der Datenturbo, den kaum jemand braucht

Lokalpolitiker und Stadtwerke warnen vor einer digitalen Spaltung beim Aufbau von 5G-Mobilfunknetzen

Zahllose Kommissionen und Arbeitsgruppen zur Entwicklung der abgehängten ländlichen Räume sind schon gebildet worden. Doch wenn es um wichtige politische Weichenstellungen geht, bleiben sie offenbar außen vor. Das gilt auch für den geplanten Aufbau superschneller Mobilfunknetze in Deutschland: »Der ländliche Raum und heute unterversorgte Gebiete dürfen nicht abgehängt werden, wenn eine digitale Spaltung zwischen Stadt und Land vermieden werden soll«, heißt es in einem am Dienstag veröffentlichten Aufruf des Verbands kommunaler Unternehmen, des Bundesverbands Glasfaseranschluss und der Internet Economy Foundation. Bereits vor einigen Wochen hatten rund 20 Bürgermeister und Landräte von Ludwigslust-Parchim bis Sindelfingen in einem gemeinsamen Appell gewarnt: »Das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse rückt in die Ferne.«

Es geht um den neuen Mobilfunkstandard 5G, der den Zugriff auf weit größere Datenmengen mit Turbo-Übertragungsgeschwindigkeiten ermöglichen soll, als es bei den »nur« schnellen LTE-Netzen der Fall ist. Hierfür will der Staat im kommenden Frühjahr die ersten Frequenzen versteigern, Ende 2020 später soll 5G verfügbar sein. In den kommenden Tagen wird die Bundesnetzagentur ihre Entscheidung zu den genauen Vergabekriterien bekannt geben. Aus einem ersten Entwurf geht hervor, dass die Behörde keine lückenlose Versorgung vorschreiben will. Lediglich alle größeren Ballungsräume sowie wichtige Straßen und Bahnstrecken sollen bis 2025 eine ununterbrochene 5G-Abdeckung bekommen. Experten gehen davon aus, dass 15 bis 20 Prozent der bundesdeutschen Fläche, meist dünn besiedelte Regionen, im Funkloch sitzen werden.

Auch sollen die Netzbetreiber nicht dazu verpflichtet werden, ein sogenanntes National Roaming anzubieten. Danach könnten sich Mobilfunkgeräte automatisch in das beste verfügbare Netz am jeweiligen Standort einbuchen. Netzagenturchef Jürgen Homann erklärte, für eine derartige Verpflichtung müsste laut Gesetz eine beträchtliche Marktmacht vorliegen, was aber nicht der Fall sei.

Daran bestehen durchaus Zweifel. Mit Telekom, Vodafone und Telefonica/O2 gibt es nur drei Betreiber, die die 5G-Lizenzen weitgehend unter sich ausmachen werden. Nicht nur deren lokale Konkurrenten sehen auf dem Mobilfunkmarkt ein »Oligopol« am Werk. Stadtwerke und kleine Privatfirmen drängen daher auf eine Zuteilung lokaler oder regionaler Frequenzen, was die Bundesnetzagentur auch ermöglichen will. Aber ihr geht es vor allem darum, die großen Drei mit so großen Profitaussichten zu locken, dass sie die milliardenschweren Investitionen anpacken werden.

Früher interessierte sich eigentlich nur der Finanzminister für Frequenzauktionen - es winken Milliardeneinnahmen für den Staat -, doch diesmal ist eine echte Debatte entbrannt. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sah sich jetzt genötigt, via »Bild« einen raschen Netzausbau und mehr Konkurrenz zu fordern. Außerdem müssten die Netzbetreiber »per Roaming kooperieren, sodass alle Kunden versorgt sind«.

Neben Lokalpolitikern und Stadtwerken kritisiert vor allem die Union, dass es die Entscheidung der Mobilfunknetzbetreiber bleiben soll, ob und vor allem wo sie 5G ausbauen. An die Spitze der Protestler hat sich die CSU gestellt. Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte vor einiger Zeit die bisherigen Vergabekriterien kritisiert. Und die neue bayerische Landesregierung hat angekündigt, Lücken bei der Mobilfunkabdeckung schließen und den Freistaat zum 5G-Vorreiter machen zu wollen.

Den Konservativen geht es indes weniger um den Jugendlichen, der in seinem Dorf in der Oberpfalz per Smartphone Videos streamen möchte, als um wirtschaftliche Standortvorteile. Ob smarte Landwirtschaft, Industrie 4.0, autonomes Fahren oder elektronische Gesundheitsdienstleistungen - überall wird 5G als infrastrukturelle Grundlage angepriesen.

Die Beratungsgesellschaft Sopra Steria stellt diese Sicht in Zweifel: Bei den meisten Anwendungen brauche es den Datenturbo gar nicht. Und auch aus Sicht des Bürgers sei eine rasche 100-Prozent-Abdeckung des bereits aufgebauten LTE-Netzes besser als 70 oder 90 Prozent 5G.

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