Bayern schiebt weiter ab

Flüchtlingshelfer kritisieren Beibehaltung des scharfen Kurses gegen Asylsuchende

  • Johannes Hartl
  • Lesedauer: 3 Min.

Manches wird sich in Bayern ändern, nachdem CSU und Freie Wähler den Koalitionsvertrag abgesegnet haben. Doch das politische Reformbedürfnis beschränkt sich im großen und ganzen auf wenige Bereiche wie weitgehend kostenfreie Kitaplätze und auf Fragen wie die Reduzierung der Bodenversiegelung. Bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik soll dagegen alles beim Alten bleiben. Pro forma wird im Koalitionsvertrag zwar das Engagement der Ehrenamtlichen gewürdigt. In einem Absatz wird ihnen sogar Unterstützung versprochen.

Den Schwerpunkt bildet jedoch die Fortsetzung der bisherigen CSU-Politik, ohne dass auf die Kritik zahlreicher Unterstützer Geflüchteter überhaupt eingegangen wird. Vor allem die »konsequente Rückführungspraxis« spielt im Text eine zentrale Rolle. Ein »Spurwechsel« für abgelehnte Asylbewerber, denen ein Bleiberecht gegeben werden könnte, wenn sie einen Job haben und integriert sind, wird strikt abgelehnt. Im Gegenteil soll Bayern weiterhin »Vorreiter« in Sachen Rückführung bleiben - einerseits durch Anreize zur »freiwilligen« Ausreise, andererseits durch konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Dazu sollen eigens zwei neue Abschiebehaftanstalten in Passau und Hof eröffnet werden.

»Wehret den Anfängen«

München. Mehrere tausend Menschen haben am Montagabend in München an einer »Demonstration für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte« teilgenommen. Die Demonstration stand unter dem Motto »Wehret den Anfängen« und war laut den Veranstaltern gezielt auf den 5. November gelegt worden.

An diesem Tag der konstituierenden Parlamentssitzung sei mit der AfD »erstmals seit 1970 wieder eine rechtsextreme Partei in den bayerischen Landtag« eingezogen, sagte Organisator Benjamin David dem epd. Während die Polizei am Montag gegen 20 Uhr von ungefähr 2500 Teilnehmern sprach, schätzten die Organisatoren rund 5000 Demonstranten. Der Protest wurde vom Bündnis »München ist bunt« und 40 weiteren Organisations- und Parteienvertretern unterstützt. epd/nd

Auch an den Ankerzentren will die neue Koalition festhalten. In allen sieben Regierungsbezirken wurde im August 2017 je eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in ein solches Zentrum umgewandelt. Mit den Zentren wird das Ziel verfolgt, Flüchtlinge durch möglichst widrige Bedingungen abzuschrecken. Zudem sollten sie schnellere Abschiebungen ermöglichen, indem alle entscheidenden Stellen an einem Ort gebündelt sind.

Die Freien Wähler haben sich entschieden, diese Politik mitzutragen. Auf eigene Akzente durch eine humanere Gestaltung der Asylpolitik haben sie fast vollständig verzichtet. Dabei haben sie sich im Wahlkampf durchaus für eine etwas mildere Politik ausgesprochen. Deshalb hatte selbst der Bayerische Flüchtlingsrat im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen die leise Hoffnung geäußert, dass die Partei versucht, ihre Positionen einfließen zu lassen. Im Wahlprogramm hatten sich die Freie Wähler beispielsweise für den Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge ausgesprochen und die Ankerzentren kritisiert.

Doch die Hoffnungen haben sich zerschlagen. »Der Koalitionsvertrag ist in der Asylpolitik ein Totalausfall«, erklärte Alexander Thal vom Flüchtlingsrat am Montag. Die schwarz-orange Koalition setze auf Repression, Lagerunterbringung und Verbote aller Art statt auf eine »menschenwürdige Aufnahme und humane Lebensbedingungen«. Die CSU könne ihre »menschenfeindliche Asylpolitik einfach mit Billigung der Freien Wähler« fortsetzen, sagte Thal.

Stephan Theo Reichel sieht das ähnlich. Er ist Geschäftsführer des Vereins »Matteo«, eines Zusammenschlusses von Helfern, die sich für das Kirchenasyl einsetzen. »Das ist nicht ein Weiter so, sondern ein verschärftes Weiter so«, sagt er dem »nd«. Besonders enttäuschend sei, dass das Lagersystem nicht in Zweifel gezogen wird. »Da hakt es überall.« Zudem finde man im Koalitionsvertrag kein Wort zu den Abschiebungen nach Afghanistan oder zum Kirchenasyl, das in Bayern zuletzt unter Beschuss stand.

In seinem Verband seien viele eher konservative Flüchtlingshelfer aktiv, »die auch Klientel der CSU sind oder zumindest waren«. Für sie seien die jetzigen Vereinbarungen ein »Schlag ins Gesicht«. »Offenbar hat die CSU beim Thema Flüchtlinge überhaupt nicht analysiert, wieso so viele Wähler abgewandert sind. Sie haben mit diesem Programm die Wahl verloren, wollen aber trotzdem weiter am rechten Rand fischen«, beklagt Reichel.

Bei »Matteo« lässt man sich von der bevorstehenden Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nicht beeindrucken. Man werde »weitermachen wie vorher«, kündigt der Geschäftsführer an. Unter anderem wolle man alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Abschiebungen nach Afghanistan zu stoppen. Außerdem werden die im Verein Aktiven »Patenschaften in den Lagern übernehmen«, Flüchtlinge dort beraten und unterstützen. »Da werden wir nicht locker lassen«, verspricht Reichel.

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