- Kommentare
- Schönheitsideale
Der falsche Körper
Raul Krauthausen über den Körperwettbewerb und wie es wäre, ihn nicht mehr zu bewerten
Schönheitsideale wechseln - aber eines bleibt gleich: Wer den aktuellen Idealen nicht entspricht, hat es schwer, fühlt sich falsch, lebt oft mit einem andauernden Gefühl der Unzulänglichkeit und entwickelt nicht selten Selbsthass.
Der Körper eines Menschen ist zunehmend eines der zentralen Definitionsmerkmale und es ist fast unmöglich geworden, sich nicht in irgendeiner Weise zu positionieren. Die aktuelle Fitnesswelle markiert die Grenze zwischen körperlichen Verlierern und Gewinnern nicht mehr nur am Body Mass Index, sondern am PFI (Persönlicher Fitness Index), PI (Performance Index) und allerhand weiteren Leistungsvergleichswerten.
Wer den angesagten Standards nicht entspricht, kann entweder resignieren oder zum Gegenangriff übergehen und Body Positivity leben. Unter dem Hashtag bodypositive und bopo präsentieren sich auf Twitter und Instagram vor allem Menschen, die nach normativen Vorstellungen übergewichtig sind. Aber auch ältere Menschen, sehr dünne Personen, Frauen, die nach dem Standard zu männlich aussehen, Männer, die als zu feminin eingeschätzt werden, Transmenschen und Menschen mit Behinderung setzen dort Zeichen, dass sie ihre Körper schön finden. Der Hashtag HotPersonInAWheelchair (»Heiße Person im Rollstuhl«) trendete als Reaktion auf den Tweet des US-amerikanischen Quizprofis Ken Jennings, der schrieb »Nothing sadder than a hot person in a wheelchair« (»Nichts ist trauriger, als ein attraktiver Mensch im Rollstuhl.«) und machte klar: Menschen im Rollstuhl fühlen sich begehrenswert und sexy. Fraglos eine ermutigendeAktion, die den Blick auf behinderte Menschen verändert hat. Allerdings sind auch diese Aktionen ein Teil des Systems, das Menschen nach ihrem Körper bewertet. Es werden nur einige Regeln angepasst, damit nun auch behinderte Menschen am Schönheitswettbewerb teilnehmen dürfen. Solange aber lediglich die Regeln angepasst werden, wird es weiter Menschen geben, die nicht den neuen Hotness-Regeln entsprechen - auch wenn wir hotfirevictims (»heiße Brandopfer«) ergänzen.
Warum also nicht grundsätzlich das System in Frage stellen: Sollten wir weiterhin an einem Körper-Wettbewerb teilnehmen? Warum lassen wir es zu, dass der Körper weiterhin derart massiv im Fokus bleibt? Muss weiterhin jede*r beweisen und präsentieren, dass sie*er »hot«, schön und begehrenswert ist? Oder können wir nicht zu dem Punkt kommen zu sagen: Ich als Person bin liebens- und begehrenswert - vollkommen unabhängig von den körperlichen Komponenten, mit denen ich auf die Welt kam oder die sich im Laufe meines Lebens entwickelten?
Was wäre das für eine Gesellschaft, in der Körper einfach als gegeben hingenommen würden - ohne Bewertung? Wenn Körper keine Dekoration mehr wären, nicht ausgemessen und abgewogen würden? Lange Zeit lebte ich in einer Wohnung, in der es keinen Spiegel gab, in dem ich mich anschauen konnte, denn meine geringe Körpergröße machte es mir unmöglich den WG-Spiegel über dem Waschbecken zu erreichen. So stand ich morgens auf, wurde von meinen Assistenten fertig angezogen und hergerichtet für den Tag und verließ die Wohnung - ohne mich ein einziges Mal angeschaut zu haben. Selten hatte ich das Bedürfnis anzuhalten und mich zu betrachten. Manchmal erschrak ich mich, wenn ich mich sah.
Meine Freundin überredete mich schließlich dazu, einen Spiegel im Bad in einer Höhe anzubringen, die es mir ermöglicht, mich anzuschauen. Ich bin immer noch kein Fan von Spiegeln. Mein Selbstbild entspricht nicht der Person, die ich im Spiegel sehe. Und ehrlich gesagt kenne ich meinen Körper gar nicht wirklich, weiß zum Beispiel nicht, wie mein Rücken aussieht.
Mein Körper ist so weit entfernt von den männlichen Schönheitsidealen eines großen, starken, fitten Mannes - dass ich es absurd fände am aktuell so angesagten körperlichen Wettbewerb teilzunehmen. Ich kann mich tatsächlich nicht mit dem Begriff »Body Positivity« identifizieren. Und ich will es auch gar nicht müssen.
Dem Body Neutrality Movement hingegen kann ich eine Menge abgewinnen - und möchte meinen Körper einfach dafür wertschätzen, was er für mich leistet und mich freuen, dass er mir ermöglicht, in dieser Welt zu leben. Aber ich definiere mich nicht mehr über meinen Körper - sondern über das, was ich bin und sage und tue.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.