Im ideologischen Schluckauf

CDU-Votum zum UN-Migrationspakt belastet erneut das Klima in der sachsen-anhaltischen Koalition

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Der neue Chef führte sich mit einem Paukenschlag ein. Kaum war Innenminister Holger Stahlknecht am vorigen Samstag zum Vorsitzenden der CDU in Sachsen-Anhalt gewählt worden, fasste die Partei einen brisanten Beschluss. Die Delegierten forderten die Bundesregierung mit deutlicher Mehrheit auf, gegen den UN-Migrationspakt zu stimmen. Zustimmung kam auch von Stahlknecht selbst, von Ministerpräsident Reiner Haseloff sowie Generalsekretär Sven Schulze.

Die CDU in Sachsen-Anhalt stellt sich damit als erster Landesverband gegen die Linie der Bundespartei. Deren Vorsitzende, die Kanzlerin Angela Merkel, warnte davor, »Lügen« über das Abkommen zu verbreiten, das im Dezember in Marokko besiegelt werden soll. Das zielt vermutlich auf Ansichten wie die, die Lars-Jörn Zimmer, Landtagsabgeordneter aus Anhalt-Bitterfeld, beim Parteitag äußerte: Der Pakt schaffe das Recht, »im Wunsch-Zielland in die sozialen Sicherungssysteme einzutreten«. Zimmer hält den Pakt auch für verbindlich. Stahlknecht weiß zwar, dass das nicht zutrifft. Wie über das Abkommen informiert worden sei, sei aber »unterirdisch«, zitierte ihn die »Mitteldeutsche Zeitung«. Derlei Entscheidungen dürften »nach 2015« nicht mehr »unter dem Radar der Öffentlichkeit herbeigeführt« werden.

Das Votum des Parteitags dürfte für eine spannende Debatte im Landtag an diesem Freitag sorgen. Dann steht ein Antrag der AfD auf der Tagesordnung, die ebenfalls fordert, den Migrationspakt nicht zu unterzeichnen. Dieser hebe »die Unterscheidung von legaler und illegaler Migration auf«, heißt es zur Begründung. Zuvor ruft die Fraktion für Donnerstag zu einer Kundgebung mit gleichem Anliegen auf. Seit dem Beschluss der CDU spekuliert man in der AfD auf Stimmen für den Antrag auch aus der Union. Es wäre nicht das erste Mal, dass beide gemeinsame Sache machen. So wurde eine von der AfD beantragte Enquetekommission gegen Linksexremismus im Landtag mit Stimmen auch aus der CDU-Fraktion eingesetzt.

Die LINKE wirft der CDU und ihrem Landeschef denn auch vor, die AfD durch »Übernahme ihrer Positionen zu stärken«. Während die Partei im Bund den Pakt noch »gegen Lügen und Kampagnen rechtsradikaler Netzwerke« verteidige, mache sie sich in Sachsen-Anhalt »zum wiederholten Male« ausländerfeindliche Forderungen der AfD zu eigen, sagte Fraktionschef Thomas Lippmann. Stahlknecht verhelfe ihr so »zu einer Macht im Parlament, die sie alleine im Landtag nicht hätte«. Lippmann merkte an, die CDU stelle sich »erneut« gegen ihre Koalitionspartner.

Die sind nicht amüsiert. SPD-Landeschef Burkhard Lischka attestierte der CDU »chronischen ideologischen Schluckauf« und warf ihr vor, sich innerhalb der Union »immer mehr als Rechtsausleger« zu positionieren. Die Ablehnung des UN-Paktes sei eine »Außenseiterposition«, mit der sich Sachsen-Anhalt im Bund in die »politische Isolation« führe, ergänzte Lischka, der auch Innenexperte in der SPD-Bundestagsfraktion ist. Es liege »im nationalen und europäischen Interesse«, Migration zu regulieren, Mindeststandards im Umgang mit Flüchtlingen zu setzen und Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen.

Ähnlich sehen das die Grünen. Gemeinsame Standards im Umgang mit Flucht seien das »Mittel der Wahl«, erklärte Landeschefin Britta Garben. Den Beschluss der CDU nannte sie »irrational«. Er sei, ergänzte der Abgeordnete Sebastian Striegel, durch »Fehl- und Falschinformationen« zustande gekommen. Die Grünen wurden von den CDU-Delegierten mit einem weiteren Beschluss brüskiert. Er fordert die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer im Bundesrat. Die Grünen verwiesen kühl auf den Koalitionsvertrag. Bei Uneinigkeit im Regierungsbündnis, so regelt der, muss sich das Land im Bundesrat enthalten - so wie schon einmal in dieser Frage im Juni 2016.

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