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Wenn die Eltern im Widerstand waren
Nachfahren von Gegnern und Opfern der NS-Herrschaft wollen auch Verfolgung von Linken in der UdSSR aufarbeiten
Matthias Wörsching engagiert sich seit vielen Jahren gegen die extreme Rechte. Der Berliner Historiker und Politikwissenschaftler ist unter anderem in der Pankower Ortsgruppe der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschist*innen) aktiv. Dort leitete er in den letzten Monaten ein besonderes Projekt. In Werkstattgesprächen trafen sich Kinder, Enkel und Urenkel von Widerstandskämpfer*innen gegen den Nationalsozialismus und Verfolgten des Naziregimes.
Am Sonntag trafen sich etwa 60 Nachkommen der Widerstandskämpfer*innen zur Abschlussveranstaltung der Werkstattgespräche im Betsaal des ehemaligen Jüdischen Waisenhauses Berlin-Pankow.
Auch Andrée Fischer-Marum gehörte zu den Teilnehmer*innen. Die Nazis ermordeten ihren Großvater im Jahr 1934. Er war viele Jahre Abgeordneter des Badischen Landtags für die Sozialdemokraten. Die Familie war auf drei Kontinente zerstreut. Andrée Fischer-Marum lebte in der DDR. Nach 1990 wurde der Kontakt wieder enger.
Heute pflegt Fischer-Marum das Grab ihres Großvaters in Karlsruhe. Wichtiger aber sind ihr die Gespräche in den Schulklassen. Dort stößt sie häufig auf Kinder aus migrantischen Familien. Auch für die Familie Marum gehörten Flucht und Migration schon seit Generationen zum Leben dazu. Daher hören die Kinder der Geflüchteten gebannt zu, wenn sie ihre Familiengeschichte erzählt. Auch die Ökonomin Anne Allex, deren Mutter als KPD-Mitglied im Widerstand war, berichtete, wie sich Kinder von Geflüchteten in Berlin für die Geschichte des Widerstands interessieren.
Sie hatte vor einigen Wochen eine Ausstellung über Berliner Firmen, die von jüdischer Zwangsarbeit profitierten, in einen Ausstellungsraum im Wedding aufgebaut, in dem sich migrantische Jugendliche zum Unterricht trafen. »Sie schauten sich die Ausstellungstafeln erschrocken an und fragten, ob ihnen in Deutschland auch Zwangsarbeit drohen könnte«, berichte Allex.
Sabine Reichwein, die Tochter des von den Nazis 1944 hingerichteten Reformpädagogen Alfred Reichwein, beschrieb, wie sie in ihrer Jugend das Gefühl hatte, ihr Vater habe sie wegen seines politischen Engagements verlassen. Später studierte sie Pädagogik. Nun sieht sie in ihrem Vater ein Vorbild.
Die Medienwissenschaftlerin Inge Münz-Koenen ging auf ein auch unter den Widerstandskämpfer*innen gegen den Faschismus besonders schmerzliches Kapitel ein. Es ging um Tausende von Linken aus Deutschland, die in der Sowjetunion Schutz gesucht hatten und Opfer des Großen Terrors seit 1937 geworden waren. In der DDR war das Thema Tabu und auch in der VVN-BdA wurde ihnen vorgeworfen, Antikommunismus zu fördern, berichtete Münz-Koenen. Doch sie und ihre Mitstreiter*innen ließen sich nicht beirren. Jetzt planen sie eine Aufarbeitung der Verfolgungen von vor allem jüdischen Kommunist*innen in den frühen 1950er Jahren in verschiedenen osteuropäischen Staaten.
In der zweiten Gesprächsrunde wurden weitere auch unter NS-Verfolgten strittige Themen angesprochen. Sonja Kosche berichtete über die Kontinuität der Verfolgung und Diskriminierung von Sinti und Roma. Der Jurist Kamil Majchrzak berichtete über die besonderen Probleme eines Sohns polnischer Antifaschisten. Der Musiker Andrej Hermlin hielt ein leidenschaftliches Plädoyer gegen jeden Antisemitismus.
Die Veranstaltung war der Abschluss der Werkstattgespräche der Nachkommen der Widerstandskämpfer. Doch für Wörsching und den Projektkoordinator Marco Pompe ist die Arbeit noch lange nicht zu Ende. Im Dezember soll eine Broschüre mit den Berichten der Nachkommen erscheinen. Vielleicht findet das Projekt eines Gesprächskreises der Nachfahren der Widerstandskämpfer*innen in anderen Regionen Deutschlands Nachahmer*innen. Angesichts von AfD-Politiker*innen, die eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad fordern, wäre das dringend notwendig.
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