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Ukraine vor dem Kriegsrecht

Nach dem gewaltsamen Vorgehen der russischen Marine vor der Halbinsel Krim spitzt sich die Lage zu

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

Ab Sonntag ist der russisch-ukrainische Konflikt, der seit der Annexion der Krim-Halbinsel im März 2014 andauert, um ein schwarzes Kapitel reicher. Vor der Straße von Kertsch kam es erstmals zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen russischen und ukrainischen Streitkräften. Als drei ukrainische Militärschiffe die Meeresenge passierten, wurden sie gewaltsam von der russischen Marine gestoppt. Mindestens drei ukrainische Soldaten wurden verletzt, der russische Inlandsgeheimdienst FSB, der in Russland auch für die Grenzkontrollen zuständig ist, bestätigte, dass die Schiffe aufgebracht wurden.

Nach dem Abkommen über die gemeinsame Nutzung des Asowschen Meer aus dem Jahr 2003 dürfen auch ukrainische Militärschiffe das Meerbefahren. Russland beschuldigt die Ukraine jedoch, unerlaubt in die russischen Hoheitsgewässer eingedrungen zu sein. Kiew bezeichnet den Akt als militärischen Aggression und hat nicht nur die eigenen Truppen in die Alarmbereitschaft gesetzt, sondern steht auch vor der Ausrufung des Kriegsrechts. Diese Empfehlung gab am späten Sonntagabend der ukrainische Sicherheitsrat, am Montag gab die Präsidialverhaltung einen Erlass entsprechenden heraus. Ab 15 Uhr berät das ukrainische Parlament über die mögliche Einführung des Kriegszustandes, die dafür notwendige einfache Mehrheit ist wahrscheinlich.

Der Konflikt um das Asowsche Meer existiert seit der Annexion der Krim. Seitdem kontrolliert Russland die beiden Ufer der Straße von Kertsch. Eskaliert ist der Konflikt aber erst in diesem Jahr: Zum einen wegen der Fertigstellung der Krim-Brücke, die die Durchfahrt für große Handelsschiffe Richtung wichtiger Hafenstädte wie Mariupol oder Berdjansk unmöglich macht, zum anderen aufgrund einer Reihe beidseitiger Provokationen. Im Frühjahr nahm die ukrainische Marine ein russisches Fischerboot fest, seitdem werden ukrainische Schiffe von der russischen Grenzpolizei verstärkt kontrolliert und aufgehalten.

»Es war jedoch nicht abzusehen, dass dieser Konflikt dermaßen eskaliert«, meint der Kiewer Politologe Wadym Karassjow. »Die Lage am Asowschen Meer ist ohnehin eine diplomatische Katastrophe, eine derart offene Auseinandersetzung war trotz aller Schwierigkeit nicht abzusehen.« Nicht nur in Russland, sondern auch in der Ukraine wird nun die Frage gestellt, ob die Ausrufung des Kriegsrechts mit dem gestrigen Vorfall oder mit der persönlichen Zukunft des Präsidenten Petro Poroschenko zu tun hat, der in Umfragen derzeit weit abgeschlagen liegt. Obwohl Poroschenko versichert, normale Bürger würden kaum einen Unterschied durch das Kriegsrecht fühlen, werden Wahlen nicht abgehalten.

Der Kriegszustand in der Ukraine soll vorerst vom 26. November bis zum 26. Januar dauern und reicht damit bis in den Start des offiziellen Präsidentschaftswahlkampfes hinein. Oxana Syrojid, stellvertretende Parlamentsvorsitzende der Selbsthilfefraktion, vermutet, Poroschenko könnte die Wahlen verschieben, um seine politische Reputation als Staatsführer in einer Kriegssituation zu stärken. Weder im Zuge der Krim-Annexion noch während der heißen Kämpfe im Donbass 2014/2015 und den Schlachten um Ilowajsk oder Debalzewe, griff die Regierung zu ähnlichen Maßnahmen. Im Gegenteil. Poroschenko positionierte sich damals als klarer Gegner des Kriegsrechts. Nun scheint sich vieles gewandelt zu haben. Klar ist jedoch, dass - mit oder ohne Kriegszustand - die ukrainische Armee nicht in der Lage ist, den regulären russischen Streitkräften auf Augenhöhe zu begegnen. Daher wird sich an der tatsächlichen Frontlinie im Donbass und auch an der Grenze zur annektierten Krim nur wenig ändern.

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