Der große Bluff

Die Münchener Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung untersucht Geschichte und Methodik des hyperrealistischen Bildes

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer war noch mal gleich Zeuxis? Genau, der mit den Trauben. So perfekt soll der altgriechische Künstler das Beerenobst gemalt haben, dass die Vögel versuchten, es von der Wand zu picken. Medienhistorisch gilt die von Plinius dem Älteren berichtete Episode als Gründungsmythos der virtuellen Realität. Während sich die antiken Tiere aber vermutlich über die ungenießbaren Früchte des Scheins geärgert haben, ist es für den Museumsbesucher des 21. Jahrhunderts recht erhebend, sich auf die Verlockungen bunter Oberflächen einzulassen. »Lust der Täuschung« heißt eine unterhaltsame Ausstellung der Münchener Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung. Sie versucht, eine Bildgeschichte der überhaupt nicht arglistigen Illusionen zu schreiben.

Auf allen Ebenen, in allen Gattungen erzeugt der Parcours eine visuelle Verunsicherung. Vom erlegten Wildbret über Klemmbretter mit Briefen und Zettelchen bis zur obligatorischen Zeuxis-Hommage eines Traubenstilllebens von Pierre Gilou wirkt alles so greifbar nah, so plastisch real, dass es in den Fingern juckt. Man hätte schon nach zwei Räumen gewarnt sein können, und doch erlebt man ihn immer wieder aufs Neue: den Ätsch-bätsch-reingefallen-Effekt. Zum Beispiel ein kleines Mädchen, das da abgewandt in der Ecke steht. Man will es fast ansprechen und ihm sagen, dass ein Museumsbesuch doch kein Grund zu schmollen ist. Erst im letzten Moment erweist sich das trotzige Kind als naturgetreue Skulptur des US-Bildhauers Daniel Firman. Zuweilen dreht sich die optische Verwechslungskomödie sogar um und man hält einen auf der Bank sinnierenden Ausstellungsgast einen Wimpernschlag lang für ein Werk der Kunst.

Unsere unvollkommenen Augen machen es dem echt falschen Wirklichkeitszauber aber auch zu einfach. Denn der Sehnerv funkt die Sinneseindrücke schneller ans Gehirn, als sie dort verarbeitet werden können. Die Methoden, wie man Augen austrickst, beruhen dabei stets auf denselben Grundpfeilern. Perspektivische Verkürzungen, millimetergenau berechnete Schattenwürfe und feinmalerische Oberflächen. Auch die skulpturale Fallenstellerei funktioniert über die bunte Außenhaut. John de Andrea nutzt für seine lebensechte Pygmalion-Szene alle Raffinessen moderner Werkstoffchemie. Jeppe Hein weiß ebenfalls, wo er sich zu bedienen hat, wenn er Luftballons mit blitzblank-metallischer Hülle überzieht.

Besonders die Niederländer des 17. Jahrhunderts haben das Trompe-l’Œil-Bild, wie man den Sinnentrug auch nennt, bis zur Perfektion entwickelt. Etwa ein Cornelis Gijsbrechts mit seinem doppelt raffinierten Totenkopf-Stillleben von 1668. Der Pinsel und die Palette vor dem Hauptmotiv verraten den Schädel zwar als Werk der Malerei. Dass die Malutensilien aber ebenfalls nur gemalt sind, offenbart sich erst auf den dritten Blick. Wie wiederum Beispiele aus Pompeji verraten, liebten bereits die Römer das Vortäuschen falscher Tatsachen und ließen sich von Freskenmalern fiktive Türen und Nischen auf die Wände pinseln. Was Trompe-l’Œil-Kunst unterschiedlicher Epochen verbindet, ist die Kommunikation zwischen fiktiver Bildebene und realem Raum. Der Lorbeerzweig auf Joseph-Marie Viens Kreuzigung erweckt den Eindruck, über den Rahmen hinauszuragen. Bei dem »Bildnis eines Mannes« von Georges Méliès sieht es gar so aus, als strecke der Dargestellte sein bärtiges Haupt durch die aufgerissene Leinwand direkt ins Museum hinein.

Die Schau deckt viele Facetten des Themas ab. Künstlerischen Arbeiten vom Altertum bis zur Gegenwart treten Exkurse in Wahrnehmungsphysiologie oder Alltagskultur zur Seite. Das 19. Jahrhundert etwa hatte seine Freude an hyperrealistischen Salatköpfen aus Porzellan, die in Wahrheit eine Terrine waren. Moderne Designer dagegen bedrucken Sitzmöbel mit dreidimensionalen Op-Art-Mustern oder gaukeln auf Tapeten Fenster mit geschlossenen Jalousien vor.

Abgesehen von Gerhard Richter und seinem hyperrealistischen Offsetdruck eines sich aufblätternden Papiers bietet die Ausstellung kaum echte Stars des Kunstbetriebs. Kein Wunder, der Illusionismus galt lange als eher handwerkliche Disziplin, die allein auf die Attraktion schielt und die Wirklichkeit sklavisch nachahmt, anstatt eine eigene zu schaffen. Womit man dem Genre freilich unrecht tut. Lucy McKenzie zum Beispiel baut in ihr Himmelspanorama ein dekonstruktives Element ein: die Spur eines Wasserschadens. Der hässliche braune Fleck ist zwar seinerseits sehr authentisch, aber er durchkreuzt das Prinzip der maximalen Naturtreue. Der Blick ins Freie gibt sich als Werk der Wandmalerei zu erkennen.

Selbst bei den aufwendigsten Realitätskonstruktionen der Computerkunst triumphiert das Team aus Auge und Hirn am Ende nämlich doch und enttarnt den großen Bluff der Bilder. So ist es ein Irrtum, zu glauben, diese Kunst wolle die Grenzen von Schein und Sein zum Verschwinden bringen. Sie will etwas ganz anderes und zwar uns sagen: Schaut genau hin!

»Lust der Täuschung. Von antiker Kunst bis zur Virtual Reality«, bis 13. Januar 2019, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, München.

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