- Kultur
- Genosse Shakespeare
Falscher Feind
Am Deutschen Theater Berlin wurde Genosse Shakespeare »zerschrieben«
Die heitere Komödie des Genossen Shakespeare »The Taming of the Shrew« trägt im Deutschen für gewöhnlich den Titel »Der Widerspenstigen Zähmung«, etwas heutiger auch »Die Zähmung der Widerspenstigen«. Was die Regisseurin Pınar Karabulut aber in der vergangenen Woche am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt hat und was die Dramatikerin Katja Brunner, den alten Shakespeare – nach eigener Aussage – »zerschreibend«, dafür zu Papier gebracht hatte, hieß »Der Zähmung Widerspenstigkeit«.
Was das bedeuten soll? Ein paar schlaflose Nächte und viel Kopfzerbrechen später, seit ich mir diese Frage das erste Mal gestellt habe, kann ich Ihnen sagen: Viel dürfte nicht dahinterstecken. Man hat schlicht aus einem Objekt ein Subjekt gezaubert (das Inhaltliche steht offenbar an abgeschlagener Stelle). Und ganz ähnlich wollte man es auch auf dem Theater machen: Die objektifizierten Frauen dürfen nun wieder selbst das Wort ergreifen.
Bei Shakespeare sollen zwei paduanische Schwestern gemäß dem Wunsch ihres Vaters zusammen vermählt werden. Während Bianca, die Jüngere, von mehreren Männern umworben wird, erweist sich Katharina, die Ältere, als widerspenstig. Damit Bianca den Weg in die Ehe nehmen kann, muss Katharina erst gezähmt werden. Und das wird sie.
Hier befindet sich, kurz gesagt, der Genosse Shakespeare nicht ganz auf der Höhe des aktuellen Gender-Diskurses. (Wobei der Geschlechtertausch und eine Rahmenhandlung, die das Geschehen als Traum eines Betrunkenen, ja, als eine Männerfantasie entlarvt, durchaus Inszenierungsangebote des Autors sind.) Allerdings weiß das Theater mit dergleichen umzugehen, vorausgesetzt, eine findige Regie befähigt es dazu, unterstützt durch eine kluge Dramaturgie.
Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.
Alle Kolumnen finden Sie hier.
Am Deutschen Theater hat es man anders gewollt. Brunner hat Shakespeare auseinandergeschraubt und ein »Schauermärchen« geschaffen. Mit ihrem Stück führt sie nicht nur die Gewaltgeschichte des Patriarchats vor, sondern ruft auch zur Verschwörung der Frauen gegen die Unterdrückung auf.
Nicht nur Bianca und Katharina spielen mit, nein, auch Dorota L. aus Potsdam, die vor wenigen Jahren – wie vielzählige andere Frauen auch – von ihrem Ehemann brutal ermordet wurde. Brunners Anliegen ist ehrenwert; eine überzeugende Form findet sie allerdings nicht. Sie erweist sich als jemand, deren Assoziationen Reißaus genommen haben. Femizid und häusliche Gewalt, die operative Wiederherstellung der Jungfräulichkeit und das richtige Schneiden der Nägel verschwimmen zu einem Ganzen, das sie nicht sind. Das alles kommt in einer eher unbeholfenen Sprache daher.
Freundlich formuliert, könnte man sagen: Brunner zählt zu den Epigonen der Elfriede Jelinek. Weniger freundlich formuliert, müsste man sagen: Diese Epigonalität kippt bei Brunner ins Parodistische. Pınar Karabulut setzt all das gewohnt poppig wie langweilig in Szene.
Nicht immer macht es uns der Genosse Shakespeare leicht. Aber es leicht haben zu wollen, steht den Theatermenschen, die vom Drama leben, eigentlich nicht zu. Nun hat uns Shakespeare in seinen Stücken keine Identifikationsangebote geschaffen, sondern ein Werk hinterlassen, aus dem wir etwas über den Menschen erfahren dürfen. Vieles davon ist eher unangenehm, aber auch erhellend.
Dass Brunner sich für ihren Generalangriff auf das Patriarchat (gegen den es nichts einzuwenden gibt) Shakespeare als Gegner ausgesucht hat, ist in zweierlei Hinsicht ungünstig: Zum einen ist Shakespeare nicht der Feind, als der er uns vorgemacht wird; zum anderen wird uns – im wahrsten Sinne des Wortes – wenig kunstvoll nur moralische Überlegenheit präsentiert. Shakespeare hätte es umgekehrt gemacht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.