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Verlege dich selbst!

Ein Konzeptalbum: Zoe und Caspar Jenny haben ein Buch über das literarische Leben ihres Vaters Matthyas Jenny geschrieben

  • André Dahlmeyer
  • Lesedauer: 6 Min.
Vom Underground hatte man sich einmal sehr viel versprochen.
Vom Underground hatte man sich einmal sehr viel versprochen.

Ende 2021 starb Matthyas Jenny mit 76 Jahren in Basel. Nun haben seine Kinder Zoe und Caspar Jenny mit »Die Nachtmaschine« eine Biografie des Schriftstellers, Verlegers, Literaturaktivisten, Buchhändlers und Kettenrauchers vorgelegt. Szeneorientierte Westdeutsche älteren Semesters werden sich noch gerne an ihn erinnern, vor allem an seine Anfangszeit, als er den Verlag Nachtmaschine als Ein-Mann-Armee stemmte und alle Welt mit selbstgedrucktem Lesestoff beglückte, den man in bürgerlichen Buchhandlungen nicht fand. »Underground« nannte sich das, eine Bezeichnung, die damals nicht so unwirklich klang wie heute, handelte es sich doch um eine Zeit weltweiter Netzwerkbestrebungen und um einen vermeintlichen Aufbruch, der wenn nicht zu einer besseren Gesellschaft, dann doch zu einer besseren Kultur hinführen sollte.

Das Buch beginnt mit Matthyas Jennys Ende: Ein Pfleger zieht ihm in einer Basler Hospizklinik die Schuhe an, Schluss mit Morphiuminfusionen, die nirgendwo hinführen. Seine Kinder erinnern sich an ihren Vater auf unterschiedliche Weise. Als Bindeglied und eigenständige Sicht fungieren seine veröffentlichten und unveröffentlichten Texte sowie allerlei Fundstücke. Bei so einer Art von Konzeptalbum lässt es sich nicht vermeiden, dass es Überschneidungen gibt, Wiederholungen, manche sind aufschlussreich, weil nicht direkt identisch, andere eher Füllwerk. Bemerkenswert sind die literarischen Arbeiten von Jenny, da ist kein Gramm Fett zu viel dran. Was er als Autor zu Papier gebracht hat, verdient definitiv (mehr) Aufmerksamkeit.

Matthyas Jenny wurde 1945 in Basel geboren. Der Vater war Speditionschef bei dem Chemieunternehmen Ciba-Geigy (heute BASF). Nach einer kaufmännischen Lehre (abgebrochen) im Reisebüro des Liebhabers seiner Mutter bleibt Jenny, der sich längst für einen Beatnik oder anderweitig Ausgeflippten hält, wohl nur noch der gute alte Hippie-Trail nach Asien, von 1964 bis 1969 ist er unterwegs. Das Endziel war damals in der Regel Afghanistan, Jenny soll sich dort auch um die Pferde des westdeutschen Botschafters gekümmert haben.

Ab 1975 ist er dann alleinerziehender Vater. Die »kleine Familie« lebt auf einer griechischen Hippie-Insel, später in Carona, einer Künstlerkommune im Tessin. Dort beginnt Jenny mit »Die Nachtmaschine«, nachdem er seinen Citroën 2CV verscherbelt und per Inserat eine Rotaprint-A4-Druckmaschine gekauft hat, damit eine gleichnamige Zeitschrift und Lyrikbände erscheinen können. Das rät er später allen: Sie sollten sich selbst verlegen. Das ist nichts Ehrenrühriges, hat schon Goethe getan. Man muss nur was auf der Gabel haben, angeben mit Grund. Im Alter gibt Jenny indes das komplette Gegenteil kund. Einmal underground, immer underground? Für Jenny gibt es nur ein Einmal.

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1979 erschienen im Verlag Nachtmaschine »Requiem für einen Goldfisch« von Jörg Fauser sowie »Motel USA. Amerikanisches Tagebuch« von Jürgen Ploog, den beiden westdeutschen Koryphäen, die mit »Gasolin 23« eine Underground-Zeitschrift betrieben. Die Lunte war gelegt. Wurde aber nicht gezündet. Es blieb ein Sternschnuppengastspiel. Fauser lebte und schrieb sogar bei Jenny im Haus, wo auch William S. Burroughs zu Gast war, neben anderen Amerikanern. Jenny hielt engen Kontakt. Die Bücher etwa von Autoren wie Dieter Fringeli und Rolf Lappert, Zeitschriften sowie Theaterstücke von Hansjörg Schneider druckte er auf seiner Nachtmaschine in der Waschküche, zwischen 22 Uhr und drei Uhr nachts, wenn die Kinder schliefen. Bis sieben schlief Jenny dann selbst, mit dem Schlüsselbund in der Hand.

Bis 2006 erblickten so mehr als 150 Bücher das Licht der Welt. Pleite war der Verlag bereits 1981. Jenny meldete jedoch keinen Konkurs an, er arbeitete die Schulden ab, da war er knickerig und Ehrenmann, unter anderem belieferte er neun Monate lang als Nachtfahrer Zeitungskioske schweizweit, bis er zusammenbrach. Es gibt einen sehr schönen Dokumentarfilm darüber von Angelo Alfredo Lüdin, der 1985 in die Kinos kam. Er heißt »Nachtmaschine« und ist auf Youtube auf Schweizerdeutsch zugänglich.

Jenny machte so ziemlich alles: Er war Melker, Anlageberater in einer schweizerischen Großbank, von 1987 bis 1995 verdingte er sich als stellvertretender Geschäftsführer der Verlagsauslieferung Azed AG in Basel, dann für das Buchzentrum Hägendorf, als Einkaufsleiter bei Ex Libris, schließlich beim Ammann-Verlag. Die Arbeit wurde erträglicher, mit Literatur hatte sie immer zu tun. 1988 starb seine Mutter, das war wohl der Schnitt: Underground adé. Die Dinge, für die er in Basel und der engen Schweiz heutzutage gefeiert wird, sind kommerziell: Festivals und Buchmesse.

Seine Tochter Zoe Jenny, der er 15 Tonnen Bücher hinterließ, die in ihrer Garage lagern, beschreibt das Verhältnis zu ihrem Vater als ambivalent. Mit dem oder der Linken hat sie ihre Probleme. Ihr Buch »Das Blütenstaubzimmer« (1997), ein in 32 Sprachen übersetzter Bestseller, sei vom Boulevard gefeiert, von den »großen Medien« jedoch »als Abrechnung mit der 68er-Generation« (miss-)verstanden worden. »Nicht alles, was sich zwischen zwei Buchdeckeln befindet, ist freilich harmlos«, weiß sie und meint damit solche Bücher wie Carlos Marighellas »Stadtguerilla«, das »Marxistisch-Leninistische Wörterbuch der Philosophie« in drei Bänden, Maos kleines rotes Buch sowie A.S. Neills »Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung«. Zum Glück habe ihre 14jährige Tochter in der Buch-Garage längst eine »Papierschöpfanlage« eingerichtet, wie sie im Juli süffisant in der Wiener »Die Presse« schrieb, »und macht aus Mao und dem ganzen linken ideologischen Müll neues Papier. Sie nennt das Upcycling.« Angeblich wollten nicht einmal die Samariter die Bücher haben.

Als sie in der Künstlerkommune im Tessin lebten, hätten Mitglieder der Roten Brigaden Munition unter ihrem Kinderbett versteckt, sagt Zoe Jenny (ihr Bruder spricht direkt von Waffen). Später in der Oetlingerstraße im damaligen Gastarbeiterviertel in Kleinbasel, habe ihr Vater 1977 keinen Geringeren als Christian Klar von der RAF auf dem Dachboden versteckt, das habe er ihr noch kurz vor seinem Tod erzählt. In jenem Jahr erschoss die RAF den Bankier Jürgen Ponto bei einem fehlgeschlagenen Entführungsversuch. 20 Jahre nach dem Mord bekam Zoe Jenny einen Preis der Jürgen-Ponto-Stiftung für »Das Blütenstaubzimmer«.

Ihr Bruder Caspar Jenny beweist im Buch erneut, dass auch er fein schreiben kann. Ein langes Kapitel ist der Beat-Literatur in der Schweiz gewidmet. Das Schweizer Literaturmagazin »Literarischer Monat« veröffentlichte zu diesem Thema im März 2014 ein leicht im Netz zu findendes, interessantes Gespräch, an dem neben Matthyas Jenny auch der Journalist Fredi Lerch teilnahm. Dieser erzählt darin, wie in der Schweiz mit dem Underground umgesprungen wurde: »Bis 1981 konnten ›liederliche‹ Frauen und ›arbeitsscheue‹ Männer als Asoziale behandelt und eingesperrt werden. (…) Eine extralegale Justiz – nicht die juristischen Behörden, sondern die Politik und die Verwaltungen – entschied darüber.«

Von Caspar Jenny ist bei Killroy Media in Ludwigsburg 2015 ein starker Roman mit dem Titel »Der Waran« erschienen. Von Matthyas Jenny findet man immer noch für kleines Geld zum Anfüttern Bücher im Netz, die beim Maro-Verlag und bei Lenos in Basel erschienenen sind.

Zoe Jenny/Caspar Jenny: Die Nachtmaschine. Matthyas Jenny: Ein literarisches Leben. Zytglogge-Verlag, 344 S., geb., 29 €.

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