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Rechts, zwo, drei

Über den politischen Abmarsch des zeitgenössischen deutschen Journalismus.

  • Georg Seeßlen
  • Lesedauer: 12 Min.

Was sich derzeit tut in der, wie man so sagt: «Presselandschaft» in Deutschland, das offenbart seine Dramatik wohl erst bei näherem Hinsehen.

Zwei miteinander verwobene Phänomene sind da zu beobachten. Das eine ist das allmähliche Verschwinden der traditionellen Medien der bürgerlich-demokratischen Mitte, wie man sie einst verstand. Der technische Aspekt dabei ist die Wanderung der Konsumenten von Printformaten zu digitalen Angeboten, vom Fernsehen als Programm zu den ausufernden audiovisuellen Angeboten des Netzes – oder, um es noch allgemeiner zu formulieren: Vom «linearen» zum wolkig-selektiven Empfang von Bildern, Erzählungen und Begriffen. Der ökonomische Aspekt dabei ist überdeutlich: Die «werbetreibende Industrie» beschleunigt und radikalisiert diesen Prozess, da ihre Sucht nach Subjektivierung und Deregulation ihrer Botschaften im Netz wesentlich einfacher zu befriedigen ist als in den alten, linearen Medien.

Zur Person
Georg Seeßlen, 1948 in München geboren, hat Malerei, Semiologie und Kunstgeschichte studiert. Mit zahlreichen Buch- und unzähligen Print- und Radiostücken ist er hierzulande fraglos einer der präsentesten Journalisten. Neben Themen der populären Kultur widmet er sich auch gern der politischen Kritik.

Das zweite Phänomen ist eine unübersehbare Wanderung der aktuellen Meinungs-, Sinn- und Unterhaltungsindustrie nach rechts. Und dies wiederum geschieht in drei verschiedenen Formen.

Erstens sind da Journalisten, Kolumnisten und Publizisten, die einem scheinbar unwiderstehlichen Sog folgen, sich auf der rechten Seite jene Anerkennung, den Marktwert oder die Aufmerksamkeit zu sichern, die ihnen in der Mitte oder gar «links» versagt geblieben ist. Dabei gibt es die strammen Rechtswanderer wie Jürgen Elsässer oder Matthias Matussek, die frivol-oszillierenden, narzisstisch posierenden Intellektuellen wie Henryk M. Broder, die sarkastischen Provokateure wie Harald Martenstein und die schlichten Agitatoren wie etwa den Moderator Claus Strunz, der sich gar nicht mehr die Mühe macht, seine Botschaften groß journalistisch zu verbrämen.

Die rechten Journalisten im Mainstream, die Journalisten der dezidierten Rechtspresse und die politischen Strippenzieher bilden schon Netzwerke und Kulturen, zum Beispiel bei der alljährlichen Verleihung des Gerhard-Löwenthal-Preises, benannt nach dem erzreaktionären ZDF-Journalisten, der sich einst als unermüdlicher Eiferer gegen Willy Brandts Politik der Versöhnung profilierte. Zu den Preisträgerinnen gehören beispielsweise Birgit Kelle, die mutige Verteidigerin deutscher Mütter gegen «genderbewegte Jungfeministinnen» oder Ellen Kositza, Redakteurin der rechten Intelligenzia-Zeitschrift «Sezession» und Ehefrau von Götz Kubitschek, dem häufig so genannten Vordenker der «Identitären» und Propagandisten von Pegida.

Zweitens ist die Entstehung und Ausweitung einer explizit rechten Presselandschaft zu beobachten, die mit ihren Organen und Medien alle Positionen der Rechten abdeckt. Da gibt es die elitäre Neue Rechte, die etwa von der «Sezession» aus Götz Kubitscheks «Institut für Staatspolitik» bedient wird oder von «Metapo» – das Namenskürzel steht für «Metapolitik», signalisiert also offensiv eine rechte Inanspruchnahme einer gramscianischen Politik der Sinnverschiebungen – als dem Pop-Medium der neurechten «Thule-Gemeinschaft». Da ist ferner der gewöhnliche Rechtspopulismus mit seinen offenen und verdeckten Beziehungen zum Rechtsextremismus («Junge Freiheit»). Es gibt einen sich bürgerlich gebenden Rechtskonservatismus mit liberalen Ausläufern («Cicero»), den alten Rechtsextremismus («National- und Soldatenzeitung»), den modisch-schicken Rechtsdrall – als «Bravo» von rechts wird nicht nur «Metapo, sondern auch das Pop-Magazin »Arcadi« vermarktet, das genehme Popstars eingemeindet und Beiträge wie »Zu Gast beim Front National« bringt.

Da ist ein weites Feld rechter Verschwörungs- und Esoterikfantasien, ein Segment etwa des Kopp-Verlages. Es gibt eine »wissenschaftliche« Rechte (zum Beispiel die bis 2009 erschienene »Nation Europa«), es gibt Organe wie »Compact«, das eine »gewöhnliche« postbürgerliche Rechte bedient. Und, natürlich, eine jüngst wieder massiv rechtsdrehende Massenpresse: die »Bild«. Nach einer kurzen Phase der Begeisterung für »Willkommenskultur« – für einen historischen Augenblick schien man in Deutschland ein Bild von Solidarität und Menschlichkeit liefern zu wollen – schaltete man wieder auf Gewohntes um: »Ich habe 40 Menschen umgebracht und will Asyl« oder »Mörder, Vergewaltiger, Drogendealer – keiner will sagen, ob DIE noch bei uns sind«.

Und drittens gibt es eine Bereitschaft der einst liberaldemokratischen Presse der Mitte, sich der Rechten so oder so zu öffnen. Die F.A.Z. lädt Alexander Gauland zum Gastkommentar, der »Spiegel« befleißigt sich der vermeintlichen Liberalität, sich einen eigenen Rechtsaußen – Jan Fleischhauer – zu halten, mit dem man interne Schaukämpfe veranstaltet. Und es gibt eine allgemeine Disposition, über jedes Stöckchen zu springen, das die Rechte hinhält, jeden Begriff aufzunehmen, der von rechts hingeworfen wird, sich auf jedes intellektuelle und moralische Niveau einzulassen, das aus rechten Echoräumen schallt: Nachdem der Berliner »Tagesspiegel« im Spätsommer den neuen Sarrazin zunächst gebührend verrissen hatte und daraufhin ein Proteststurm einsetzte, verdonnerte man die Autorin des kritischen Artikels zu einem Online-Forum, in dem man ihr gegenüber Dampf ablassen konnte.

In alledem begegnen sich die beiden Phänomene dieser offenkundigen Krise des Journalismus (gewiss nicht nur) in Deutschland: Auf der Produzentenseite geht es um ein Angebot, das einerseits um sein Überleben in Printform kämpft – oder, bei den Öffentlich-Rechtlichen, um Legitimation und Akzeptanz – und das andrerseits einen geordneten, sich »rechnenden«, im Einzelfall sozialverträglichen Übergang in die digitale Erscheinungsweise vollziehen will.

Dass dabei nicht bloß die berühmte »Qualität« auf der Strecke bleibt, sondern – sofern vorhanden – auch etliches an Würde und Anstand des Metiers, ist klar: Die Digitalisierung der Information geht mit der Prekarisierung ihrer Protagonisten einher. Es war noch nie so schwer, Dissidenz, Kritik und irgend Aufmüpfigkeit zu bewahren wie in der Situation, da die Generierung von Shit- oder Candy-Storms im Netz bedeutender ist als die Qualität, der Gehalt und die Fantasie eines Beitrags. Dem Marsch nach rechts ging die Entleerung voraus.

Wer heute einen deutschen Zeitschriftenladen betritt, gewinnt den Eindruck, die Welt bestehe zu neunzig Prozent aus Royals, Promis und ihren Liebesdingen oder Modestilen – ergänzt um diverse Sport-, Mode- und Konsumwelten, Grillrezepte, Diätpläne, Fernsehen, Heimatklängen, Tätowierungskunst – und aus dunklem Raunen gegen Fremde, »Brüssel«, Rechtsstaat und »Humanitätsduselei«.

Die dreifaltige Wanderung der deutschen Presse nach rechts vollzieht sich mithin in einer politischen Ökonomie, die keineswegs nur als mehr oder weniger freie Marktwirtschaft nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage funktioniert. Es gibt ausgesprochen undemokratische Steuerungsmittel dieses Angebots: Einer besteht in den erwähnten Bewegungen der Werbe-Techniken und -Alimentationen – auf den Markt kommt nur, was dem Markt dient: Ohne Werbung ist kein Medium überlebensfähig, das haben wir nun von der unheiligen Allianz von Demokratie und Kapitalismus. Ein anderer Steuerungskomplex sind die mächtigen Gatekeeper, und dieser Komplex wirkt in der Monopolmacht der Vertriebsgrossisten, die sich jüngst im Fall einer Ausgabe der »Konkret« zeigte, die wegen kritisch kontextualisierter Nazisymbolik auf dem Titel nicht ausgeliefert wurde. Hinzu kommt das Geld, das von verschiedenen Seiten in den Markt gepumpt wird und offenkundig derzeit vor allem von rechts kommt – und nicht zuletzt das Interesse oder Desinteresse eines demokratischen Staates an demokratisch-kritischer Presse.

Natürlich gibt es für diese Transformation von einem in Maßen demokratischen zu einem offen populistischen Mediensystem noch andere Gründe. Es weht ein roher Wind dort draußen: Der Kioskbesitzer, der vor zwanzig Jahren die »National-Zeitung« noch schamhaft unter der Ladentheke verbarg, lockt nun mit Ständern voller Rechtspresse. Die Medien, die vor Jahr und Tag noch mit gepflegter Ausdrucksweise punkteten, benutzen nun die obszönen Worte der Rechten: »Volk«, »Heimat«, »Asylflut«, »Migrantenströme«. Und der Stolz auf widerspenstige »Edelfedern« ist der hysterischen Furcht gewichen, nur ja dieses wiedererwachte Volk der Leser*Innen und Käufer*Innen nicht durch »Elitäres«, »Kritisches« und »Übellauniges« zu vergrätzen. Einst hat es der Rechtswanderer Bernd Rabehl so formuliert: »Ich bin rechts, weil es links nicht mehr gibt«.

Die nach rechts wandernden Journalisten und Kolumnisten werden nicht viel anders argumentieren: »Wir schreiben für den Rechtspopulismus, weil es für Demokratie und Demokratisierung nichts mehr zu schreiben gibt«. Natürlich ist das »Lügenpresse«-Geschrei der Rechtspopulisten eine Mörderwaffe bei der Abschaffung der Demokratie und des Liberalismus, aber leider trifft es ein System, das es der anderen Seite nur allzu leicht macht, indem es in vorauseilendem Gehorsam den Rücken beugt und den Anstand preisgibt.

Im »Tagesspiegel« zum Beispiel schreibt Christoph Marschall vor einigen Wochen: »Wo hat es mehr Rechtsbrüche und Verwundete gegeben, in Chemnitz oder im Hambacher Forst? Der Ton in vielen Medien ist umgekehrt. Chemnitz wird als verabscheuungswürdige braune Stadt vorgeführt. Trotz der erschreckenden Gewalt gegen Polizisten im Hambacher Forst scheint in vielen Berichten eine unjournalistische Sympathie mit den Aktivisten durch. Die Proteste, wird betont, seien friedlich oder weitgehend friedlich verlaufen. Wäre die Überschrift ›Friedliche Proteste in Chemnitz‹ ebenso denkbar?« Die Überschrift bringt es noch einmal auf den Punkt: »Ein Haltungsjournalismus, der Rechtsextremismus anprangert und Linksextremismus verharmlos, ist eine Gefahr für die Demokratie.«

Der »Inhalt« dieses Kommentars ist geschenkt. Bedeutend mag das Wort »unjournalistisch« sein: Das, was »journalistisch« ist, wird offenbar einer Umdeutung unterzogen: Man verabschiedet sich von dem Gedanken, dass rechtsextreme Positionen außerhalb des gemeinsamen Bezugsrahmens stehen. Ganz abgesehen davon, dass möglicherweise doch ein kleiner Unterschied darin besteht, ob man für den Erhalt der Umwelt streitet oder das Halali zur Jagd auf »Fremde« bläst.

Der Mainstream der deutschen Presse beteiligt sich dergestalt an dem Projekt, rechte und extrem rechte Positionen in die Mitte der Diskurse und Dispositive zu holen. Es versteht sich von selbst, dass dabei die alte Gleichsetzung von links und rechts wieder aus der Schublade geholt wird. Wie dürfen wir in der »Wikipedia« zum »Tagesspiegel« lesen? »Das Motto der als liberal eingestuften Zeitung ist rerum cognoscere causas – die Ursachen der Dinge erkennen.« Und Thilo Sarrazin ist ja schließlich auch immer noch Mitglied der SPD.

Immer geht es um zwei gleichzeitig ablaufende Prozesse: Die Ausbreitung einer rechten Publizistik, in der es keinerlei Verpflichtung zum Unterscheiden zwischen politischem Aktivismus und Journalismus, zwischen Parteiämtern bei der AfD und redaktioneller Tätigkeit gibt – wie zum Beispiel bei Lisa Lehmann, die zugleich stellvertretende Vorsitzende der »Jungen Alternative Sachsen-Anhalt« und Moderatorin der You-Tube-Sendung »Die Woche Compact« ist. Und die zeitgleiche Aufweichung des Mainstreams, die Durchlässigkeit für rechtes Gedankengut bis in fast alle Medien der Information und Unterhaltung.

Gewiss hat die Wanderung der Journaille nach rechts auch subjektive, biografische Ursachen. Neben Existenzangst und Opportunismus arbeitet da ein gekränkter Narzissmus. Man könnte vielleicht auch eine Milieuschädigung attestieren. Bei allen nach rechts driftenden Journalisten scheint ein magischer Bezugspunkt in der »Bewegung« von 68 auf. Matthias Matussek etwa rebelliert zugleich gegen und im long tail dieses Milieus: Er kritisiert am deutschen Konservatismus, dass er nur »Klassenkampf von oben« und »verspäteter Kulturkampf sei, in dem die bürgerliche Mitte die 68er ein weiteres Mal besiegt wie in einer ständigen Sedanfeier aus Alt- und Jungkonservativen«. Das konservative Juste Milieu sei »zu einer öden Lifestyle-Spießerei und verspäteten Abrechnungen mit dem linken Gegner von einst abgesunken« – und habe »Werte zertrümmert, radikaler, als es die Linke je vermocht hätte«. Wer so verstandene Lebensfrische und Aufregung will, muss heute noch weiter gehen: Das gleiche Mittemilieu, das einst von links attackiert wurde, greift man nun von rechts an.

Und nicht nur in dem CDU-Bürgermeistersohn Matussek wirkt hier ein ödipaler Impuls: Nur rechts scheint die verlorene heroische Pose, die melodramatische Selbstinszenierung noch möglich. Mit derselben Unverfrorenheit, mit der Markus Söder die Grünen als »Spießbürger« bezeichnet – wohl wissend, welchen Milieu-Nerv man so trifft, denn wem geht die besserverdienende Gentrifizierungskleinfamilie mit Mülltrennungsausweis nicht auf den Zeiger? – verabschieden sich die neurechten Journalisten vom demokratischen Mainstream mit dem spöttischen Hinweis auf dessen strunzlangweiligen Biedersinn.

Der politische Abmarsch des Journalismus vollzieht sich nicht allein, vielleicht nicht einmal hauptsächlich auf Diskursebene, sondern mehr noch auf der Ebene der Bilder, Symbole und »Narrative«. Da titelt der »Spiegel« mit zerfließendem Schwarz-Rot-Gold: »Es war einmal ein starkes Land«. Die Geschichte schließt den Zustimmungs- und Machtverlust Angela Merkels mit dem Vorrundenaus bei der Fußball-WM unter dem Trainer Jogi Löw zusammen: »Ausgezehrt, erschöpft, müde« seien beide, zugleich Symptome des Zustandes der Nation. Was Matussek als Diskurs verkauft, verkauft diese Bild-Geschichte als Narrativ. Deutschland: schwach, im Zustand der Selbstabschaffung, erlösungsheischend. Eine »konservative Revolution« kann helfen.

Jeder Titel, der »Deutschland« und seine Opfer- und Wiedererweckungssituation, die bedrohte Nation und die »Flüchtlingsflut« anspricht, verkauft sich so reißend wie früher ein Titel mit einer Nackten oder Adolf Hitler. Da ist der »Stern«-Titel »Das zerrissene Land«: Auf dem Cover das Bild eines mutmaßlich von einem Iraker ermordeten 14-jährigen Mädchens, dazu collagiert eine »Flut« von Flüchtlingen und eine in düsterem Rot erscheinende Merkel. Ein Propaganda- wenn nicht Hetz-Bild, das vielleicht sogar manchem AfD-Wähler als zu dicke erscheinen mag, auf dem Cover eines Magazins, das einmal als linksliberal galt.

Zu schlechter Letzt gibt es da noch, was man Stilfrage nennen kann. Hier hat sich der deutsche Mainstreamjournalismus auf mehreren Ebenen dem vermeintlichen Zeitgeist angepasst – in einer erschreckenden Deregulation des sprachlichen Ausdrucks, in der geradezu manischen Furcht, als zu »intellektuell« zu gelten: Eine Blödheit, die alle verstehen, ist offenbar hundert mal mehr wert als ein kluger Gedanke, der nicht alle »mitnimmt«. Information wandelt sich zu »Narration«, Nachricht wird Unterhaltung. So wird eine Sentimentalisierung und Emotionalisierung von abstrakten Ideologiebegriffen wie »Heimat«, »Volk« und »Nation« betrieben. Wenn wir für jedes mal, da heuer »Heimat« im Titel eines Beitrags oder einer Sendung auftauchte, einen Euro bekämen, wären wir so reich, wie Donald Trump gerne von sich behauptet.

Das größte Problem scheint dabei zu sein, dass sich das System der Medien als resistent gegenüber Kritik und Analyse erweist. Von der einstigen Herrlichkeit der Presse in Deutschland ist vor allem die Arroganz ihrer Vertreter geblieben. Auf den Vorwurf des »politischen Framing« – des Einbettens von Ereignissen und Themen in Deutungsrahmen – antwortete die Redaktion des TV-Magazins »Hart aber fair«: »Framing? Als Journalisten können wir mit diesem Begriff wenig anfangen. Wir versuchen das, was Menschen beschäftigt, so darzustellen, wie es ist.«

Das Eingeständnis der Ignoranz gegenüber einem Begriff (und das sogar im Namen eines ganzen Berufsstandes), der in der politischen Wissenschaft nun wahrlich hinreichend erforscht und belegt ist, grenzt an Dreistigkeit. Die Konstruktion eines »Rahmens« für Themen und Aussagen durch Motivwahl, durch Bilder, Narrative und Begriffe, das Setzen von Diskursen nach Markt- und Machtlage, das Begrenzen der Wahrnehmung durch »unsichtbare Steuerungen« – all das ist bis zur Quantifizierung hin erforscht und nachgewiesen. Wenn ein Medium oder eine »verantwortliche Redaktion« behauptet, man könne damit wenig anfangen, erklärt dieses oder diese seinen Widerstand gegen das einzige Mittel, was der Pressekultur in dieser Situation noch helfen könnte: Den Willen zur Selbstaufklärung als Voraussetzung zur Wiedergewinnung der Legitimation einer zentralen Instanz der demokratischen Zivilgesellschaft.

Stattdessen macht der vorauseilende Rechtsopportunismus der deutschen Presse bis in ihre postliberale Mitte hinein den Weg frei für die Kampagnen der neuen populistisch-autokratischen Regierungen zur Abschaffung der Pressefreiheit. So kommt man in Österreich der Orbanisierung Europas zur Hilfe, wenn Karl Heinz Straches Pressesprecher Martin Glier tweetet: »Diese Anti-Orban-Hetze im ORF wird schon langsam ein bissi peinlich. Nehmt demokratische Wahlergebnisse zur Kenntnis, auch wenn sie euch nicht passen!« Auch hier ist das Prinzip klar: Der demokratische Konsens wird ausgeweitet, sozusagen überdehnt, um ihn dann umso einfacher aushebeln zu können. Der Bezugspunkt des Schreibens und Denkens ist nicht mehr die demokratische Verfassung sondern »Volkes Wille«.
Die Öffnung der deutschen Mainstreampresse nach rechts birgt eine weitere Gefahr: Was sie vielleicht rechts an einer Leserschaft noch von der eigentlichen Rechtspresse für sich abspalten kann, verliert sie an Legitimation in der verbliebenen demokratischen Zivilgesellschaft. Es gilt, die Freiheit der Presse gegen rechts zu verteidigen, mag man da rufen. Bevor man sich fragt: Was aber, wenn diese Presse ihre Freiheit schon vorher selbst abgeschafft hat?

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