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»Was ist Kuckum?«
Auf der Klima-Kohle-Demo in Köln versuchen Anwohner der abbruchbedrohten Dörfer ihrem Anliegen Aufmerksamkeit zu verschaffen
David und Tina legen noch einmal Hand an ihr Transparent an, zu dünn war der Schriftzug »Kuckum bleibt« bisher. Jetzt ist er dicker, man kann die Forderung lesen. Einige tausend Menschen werden ihre Forderung heute lesen, viele sprechen die Menschen aus den Dörfern am Rand des Tagebaus an, stellen Fragen. Die sechs Aktiven des Bündnisses werden versuchen, alle Fragen zu beantworten und auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Es ist Samstag, kurz nach 12 Uhr, neben der großen Bühne der Klima-Kohle-Demo in Köln.
Eine aus den Dörfern ist Marita Dresen. Die 52-Jährige sagt: »Wenn RWE nicht wäre, hätte ich die letzten Jahre meines Lebens schon anders gestaltet. Es ist traurig, das zu sagen.« Seit mehr als fünf Jahren ist sie in Verhandlungen mit RWE. In Kuckum lebt sie mit Eltern, Mann und Kindern auf einem mehr als 150 Jahre alten Bauernhof. Drumherum Weideflächen, Obstbäume und ein Reitplatz. Marita hat drei Pferde, würde diese gerne behalten. Das wird im neuen Dorf wahrscheinlich nicht möglich sein.
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Aus den 14.000 Quadratmetern, die ihre Familie und sie jetzt haben, sollen 2.000 im Umsiedlungsdorf werden. Die Pferdehaltung, nur ein Hobby findet RWE. Dass Pferdehaltung mehr als ein schnöder Freizeitspaß ist, das hat auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erkannt. Anfang des Monats besuchte er Kuckum und auch die Familie Dresen. Die Problematik mit der Pferdehaltung schilderte Laschet auch dem mitgereisten Pressetross. Was Laschet nicht erzählte, war, was Maritas 81-jähriger Vater sagte: »Ich möchte lieber sterben, als mit anzusehen, wie meine Heimat abgerissen wird.« Marita erzählt von der Begegnung. Laschet habe »betroffen« gewirkt. Dass er etwas ändert, die Zerstörung ihrer Heimat beendet, das glaubt sie nicht.
Bei der Klima-Kohle-Demo braucht es ein bisschen, bis das Grüppchen aus Kuckum und Keyenberg seinen Platz gefunden hat. Man geht mal beim Stand der »Buirer für Buir« vorbei und schaut dem riesigen Demonstrationszug zu, der eine Rheinbrücke überquert. »Schaut mal, da ist der Hambi-Block, wollen wir da mitgehen?«, fragt eine aus der Gruppe. Alle wollen im Block der Waldbesetzer mitgehen, neben jungen Linken, die zum Atari-Teenage-Riot-Klassiker »Deutschland Has Gotta Die« tanzen, reiht sich die Gruppe aus den Dörfern ein.
Demogänger waren sie vorher nicht, die Hoffnung kam mit dem Hambi-Protest, erzählt Marita. »Wir haben da gemerkt, das Thema interessiert die Menschen, da passiert etwas.« In den Nachrichten habe man immer mehr Berichte aus dem Wald gesehen, gelesen und gehört, auch auf der Arbeit und im Freundeskreis wurde der Kohleabbau zum Thema.
Das war lange Zeit nicht so. Als sich in den 1980er Jahren Widerstand im Rheinischen Braunkohlerevier regte, schaffte es RWE, diesen zu unterdrücken. Zu Protestversammlungen mobilisierte der Konzern Arbeiter, die Stimmung gegen seine Gegner machten. Die Gruppe aus den Dörfern, die jetzt abgebaggert werden sollen, besuchte im Oktober die Großdemonstration am Hambacher Forst. Ein gutes Erlebnis, wie alle sagen. »Jetzt ist es für uns wichtig zu zeigen, dass es nicht nur um Bäume geht, sondern auch um uns Menschen und unsere Dörfer«, sagt Marita. Sie ist entschlossen, das Problem der Umsiedlungen öffentlich bekannt zu machen.
Dass sie dabei noch einiges an Arbeit vor sich haben wird, das zeigt sich auch bei der Demo in Köln. »Was ist Kuckum?«, fragt ein Mitdemonstrant, oder »Seid ihr nicht gerettet?«, wie jemand anderes fragt. Maritas Sohn David versucht sein Bestes, auf die Situation der Dörfer aufmerksam zu machen. Bei der Kölner Demonstration gibt er dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen aus Japan ein Interview, und noch vielen Zeitungen. »Teilweise habe ich die Namen noch nie gehört«, erzählt er lachend.
Der 27-Jährige studiert Volkswirtschaftslehre in Köln und ist in der Gruppe »Oikos« aktiv, die Teil des »Netzwerks plurale Ökonomik« ist. »Kommunismus von heute auf morgen wird es wohl nicht geben, deswegen ist es wichtig, sich mit Modellen zu beschäftigen, die die Wirtschaft verändern können«, erzählt er. Das Interesse für andere Wirtschaftsmodelle kam vor dem Kampf um sein Heimatdorf, gibt er zu. Es sei schwierig in den Dörfern, viele Leute seien sehr konservativ.
Aber er spürt auch Bewegung. »Die ganz Alten und die Jungen sind offen für den Protest«, ist Davids bisherige Erfahrung. Auch aus der Klimabewegung, speziell von den Besetzern des Hambacher Forsts, erfährt man Unterstützung. Diese würden gerne helfen, Aktionen in den Dörfern durchführen. »Dafür sind die Menschen noch nicht weit genug, das würde eher abschrecken«, glaubt er.
Das Bündnis der Dorfbewohner muss langsam größer werden. Wald- und Dorfspaziergänge sind geplant, im März will man einen Sternmarsch veranstalten. Als am Ende der Kölner Demonstration ein Mann aus dem Hambi-Block von der Polizei abgeführt wird – er hatte sich wohl vermummt – stehen die Menschen aus Kuckum vor der Polizeikette. Den eingesetzten Beamten rufen sie entgegen: »Es wäre toll, wenn ihr euch vor unsere Häuser stellen würdet, wenn RWE kommt, um sie zu zerstören!« Danach fährt die kleine Gruppe zurück nach Kuckum und Keyenberg. Beteiligungen an Großdemonstrationen wie in Köln sind für sie nur der Anfang des Widerstands gegen die Zerstörung ihrer Dörfer.
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