Tränen in der Karl-Marx-Allee

Brief der Finanz-Staatssekretärin zum Vorkaufsrecht verunsichert Mieter massiv

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlins Finanz-Staatssekretärin Margaretha Sudhof (SPD) verunsichert die Mieter der rund 700 von der Deutsche Wohnen übernommenen Wohnungen an der Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichshain massiv. Zwar könne für den im Milieuschutzgebiet Weberwiese gelegenen Block D-Süd das bezirkliche Vorkaufsrecht ausgeübt werden, schreibt sie in einem Brief, der »nd« vorliegt.

»Für die restlichen 620 Wohnungen gibt es leider keine einfache Rekommunaliserungslösung, wie sie der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sich vorstellt«, schreibt sie weiter. Zwar könnten die Mieter die Rechte und Pflichten aus ihrem persönlichen Vorkaufsrecht für die übrigen 620 Wohnungen abtreten, allerdings gingen damit »mehrere offene rechtliche Fragen und Risiken einher«, schreibt Sudhof weiter. Für die Mieter würden dennoch »voraussichtlich Grunderwerbssteuer und Notarkosten anfallen«, so die Staatssekretärin. Auch Mieterhöhungen würden auf die Bewohner zukommen. Auch hält sie die Unterzeichnung von den benötigten jeweils drei Verträgen pro Wohnung bis 5. Januar »in der hohen Anzahl der potenziellen Fälle für nicht durchführbar«.

Stärkt unabhängigen linken Journalismus...

Jeden Tag lesen rund 25.000 Menschen unsere Artikel im Internet, schon 2600 Digitalabonennt*innen und über 500 Online-Leser unterstützen uns regelmäßig finanziell. Das ist gut, aber da geht noch mehr! Damit wir weiterhin die Themen recherchieren können, die andere ignorieren und euch interessieren. Hier mitmachen!

Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) ist da deutlich anderer Ansicht. »Wir streben eine Lösung an, bei der eine städtische Wohnungsbaugesellschaft Eigentümer der vier betroffenen Blöcke in der Karl-Marx-Allee wird, um den bezahlbaren Wohnraum für die Mieterinnen und Mieter zu erhalten«, sagt sie. »Ob und wie das möglich ist, wird derzeit in intensiven Gesprächen zwischen Land und Bezirk geprüft«, berichtet die Senatorin.

»Ich persönlich glaube, dass die Arbeitsgruppe von Frau Dr. Sudhof eher nach Problemen sucht anstatt nach Lösungen«, kommentiert Norbert Bogedein, Vorsitzender des Mieterbeirats der Blöcke in der Frankfurter und Karl-Marx-Allee.

»Nur das Rekommunalisierungsmodell des Bezirks ist wirklich ein Modell«, sagte die stellvertretende Mieterbeiratsvorsitzende Anja Köhler am Dienstagabend bei einer Veranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke der LINKE-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung im Café Sibylle. Die von Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ins Spiel gebrachte Lösung der Ausreichung von Krediten der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB), damit die Mieter die Wohnungen selbst kaufen können, nannte sie nur »eine Art Überbrückungsfinanzierung«, die zu Privatisierung führe. »Die wenigsten Mieter wollen ihre Wohnungen kaufen, es gibt vielleicht 50 Interessenten, die das prüfen«, erklärte sie.

Zumal man sich als einzelner Käufer genau überlegen sollte, »wo man da einheiratet«, so Köhler. »Ich würde es mir überlegen, eine Eigentümergemeinschaft mit der Deutsche Wohnen zu haben.« Ihre eigene Wohnung im Block C-Süd habe zum Beispiel nur 41 von insgesamt 10 000 Stimmen. Allein die Gewerbeflächen, für die kein Vorkaufsrecht gilt, haben nach ihrer Auskunft 1730 Stimmrechtsanteile. Nur mit der Rekommunalisierung sieht sie eine realistische Chance, eine Mehrheit in der Eigentümergemeinschaft zu bekommen und so zum Beispiel kostspielige Modernisierungen, die die Deutsche Wohnen anleiern könnte, abzuwehren.

»Nur durch eine sehr aktive Mieterinnen- und Mieterschaft kann es dazu kommen, dass das Land interveniert«, sagte LINKE-Haushaltspolitiker Steffen Zillich. Tatsächlich müsste der Senat einiges Geld auf den Tisch legen, um den Vorkauf für eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft finanziell tragbar zur machen. Experten schätzen, dass ein hoher zweistelliger Millionenbetrag als Zuschuss fließen müsste, wenn nahezu alle Wohnungen über das Modell des Bezirks gekauft werden können. »Das wird die politische Debatte sein: Es kann nicht sein, dass Ihr für einzelne privilegierte Häuser Steuergelder ausgebt«, prophezeite Zillich. »Diese Debatte will ich durchstehen«, versprach er.

Dass die Mieter existenzielle Ängste haben, berichtet Gundel Riebe, Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksleiterin des Berliner Mietervereins: »Ein ältere Dame ist bei mir in der Beratung in Tränen ausgebrochen, weil sie Angst hat, ihre Wohnung zu verlieren.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -