Klassenkampf ist keine Perwoll-Werbung

Während in Deutschland die Flüchtlingsunterkünfte zum Ziel werden, brennen in Frankreich die Zeichen der Macht

  • Lorenz Gösta Beutin
  • Lesedauer: 6 Min.

Pamela Anderson ist der neue Star der radikalen Linken. Dabei mutet das Staunen darüber, dass der Baywatch-Star über Twitter aktuell klügere Einschätzungen über die Lage in Frankreich fabriziert, als der Großteil der deutschen Linken, wie eine Art invertierter Sexismus an. Was da gerade auf den Straßen Frankreichs ausgetragen wird, das passt nicht zur klinisch reinen Vorstellung vom Fortschritt durch linke Analysen, soziale Reformen und parlamentarische Anträge. In Paris, Marseille, Bordeaux, da gehen Menschen auf die Straße. Menschen, die das Gefühl haben, schon längst nicht mehr von den politischen und wirtschaftlichen Eliten gehört zu werden: der Krankenpfleger mit der Taxifahrerin. Die Pendlerin aus den Pariser Vororten mit dem Niedriglöhner, der schon in der Mitte des Monats nicht weiß, wie er über die Runden kommt. Das ist rau, voller Wut, chaotisch, unkontrolliert. Gelbwesten gegen Geldwesten! Das macht den Herrschenden Angst.

Da gibt es die Bilder der Gewalt. Von Barrikaden und brennenden Autos. Von Übergriffen auf Polizisten. Rechtsradikale haben sich unter die Protestierenden gemischt, Le Pen versucht die Proteste zu vereinnahmen. In Deutschland feiert die »Junge Freiheit«, die sonst gegen die »G20-Randalierer« hetzt, die Aktionen. Und vor dem Brandenburger Tor demonstrieren Pegida und AfD gegen den Migrationspakt und drohen GroKo-Kanzlerin Merkel: »Gnade Dir Gott.«

Der Unterschied ist der ums Ganze: Während in Deutschland Flüchtlingsunterkünfte zum Ziel des Unmuts werden, brennen in Frankreich die Zeichen der Macht, Luxusautos und Dior-Läden. Selbst vor dem Triumphbogen, dem »Altar des Vaterlandes«, macht die Welle des Zorns keinen Halt. Entlädt sich die Wut in Deutschland im rassistischen Ressentiment, so war der zündende Funke in Frankreich eine Spritpreiserhöhung, die unter dem Label des Klimaschutzes daherkommt. Bereits im letzten Jahr hatte Macron den Mächtigen mit der Abschaffung der Reichensteuer ein dickes Geschenk gemacht. Die Erhöhung der Preise für Benzin und Diesel dagegen trifft als Verbrauchssteuer vor allem die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen. Macron hat sie jetzt ausgesetzt, um dem Protest die Spitze zu nehmen.

Dass dieses Steuermoratorium Erfolg hat, ist unwahrscheinlich. Längst hat der Aufruhr das gesamte Land ergriffen. Wir werden Zeugen einer sozialen Revolte der Marginalisierten gegen eine Politik, die die Spaltungen immer weiter vertieft: zwischen Stadt und Land, arm und reich. Eliten und Prekariat. Macron, mit dem Versprechen angetreten, das Land zu einen, hat von Beginn an eine radikal neoliberale Agenda durchgesetzt. Er ist die Personifikation der Verlogenheit von Fischer und Schröder in einer Person: neoliberal, aber mit grünem und progressivem Anstrich.

In Deutschland hört man nun immer wieder, die Proteste würden sich gegen mehr Klimaschutz richten. Richtig ist das Gegenteil: Es geht um Klimagerechtigkeit. Bezahlen sollen die Verursacher der Klimakrise, nicht die »kleinen Leute«, die aufgrund eines schlechten Nahverkehrs, ganz besonders auf dem Land, zum Pendeln mit dem Auto gezwungen sind. Pikant ist, dass Macrons Regierung gerade bei Bus und Bahn spart. Ja sogar eine »Bahnreform« nach deutschem Vorbild plant sie, die Folgen sind vorhersehbar. Genau gegen diese Politik richten sich die Forderungen der Gelbwesten: Verlagert den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene! Setzt ein nationales Programm zur Wärmedämmung auf, aber sozial gerecht! Besteuert Kerosin für Flugzeuge und Treibstoff für Schiffe! Macht die Steuererleichterungen für Unternehmen rückgängig! Strom und Gas muss zurück in die öffentliche Hand!

Nein, der Großteil der bis jetzt bekanntgewordenen Forderungen ist nicht revolutionär. Und würde zusammengenommen doch einen Bruch mit der neoliberalen Ideologie bedeuten, die nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa zur Destabilisierung der Demokratie führt. Höhere Mindestlöhne und Renten, progressivere Gestaltung der Einkommenssteuer, große Unternehmen stärker besteuern, öffentliche Infrastruktur stärken und eine gleiche Bezahlung von Arbeitnehmer*innen, egal ob sie aus Frankreich oder anderen Staaten kommen. Das Ende der europäischen Austeritätspolitik, die maßgeblich für die europäische Misere ist. Verbunden wird das Ganze mit der Forderung nach menschlicher Behandlung von Asylsuchenden und besserer Integration. Allerdings, das darf nicht verschwiegen werden, wird auch die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerber*innen gefordert.

Wie die Seine sich durch Paris drückt, so sind auch die Gelbwesten-Forderungen im Fluss. Bei den Kundgebungen, auf den Barrikaden, überall wird über soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie, mehr Klimaschutz diskutiert. Menschen, die sonst in verschiedenen Vierteln leben, sie sprechen miteinander. Noch ist nicht entschieden, in welche Richtung die soziale Revolte geht. An einigen Stellen haben sich Neonazis beteiligt. An anderen sind sie vertrieben worden. Es hat ein Zusammengehen gegeben mit anderen Protesten, etwa mit einer Demonstration gegen Gewalt an Frauen oder mit der Gewerkschaft CGT, einfache Gewerkschaftsmitglieder schließen sich an. Auch Schüler*innen und Studierende schließen sich an und bringen ihre bildungspolitischen Positionen ein. Spannend wird es am kommenden Samstag, wenn neben den Protesten der »gilets jaunes« in Paris eine Klimaschutz-Demo zum Weltklimagipfel in Katowice loslaufen wird. Ob man sich auf gemeinsame Forderungen einigen kann, auf gemeinsames Demonstrieren, ist noch nicht klar.

Die Sichtweise in der deutschen Linken ist zum einen bestimmt vom Erschrecken über den spontanen, teils gewaltförmigen Charakter der Gelbwesten-Bewegung. Aber Klassenkampf, das war doch noch nie eine kuschlige Angelegenheit wie in einer Perwoll-Werbung. Beim Klassenkampf, da knallts auch mal ein bisschen lauter. Angesichts der rechtsradikalen Maskerade, die hierzulande kläglich versuchte, die Proteste zu imitieren und in kleinen Grüppchen Zebrastreifen blockierte, scheint es schwierig, das Gelbwesten-Symbol 1:1 zu übernehmen. Und dennoch gibt es Anknüpfungspunkte. Was in Frankreich ausgetragen wird, ist die Grundfrage, die in ganz Europa, wenn nicht weltweit auf der Tagesordnung steht: Wenn die politischen Eliten versagen, wenn der neoliberale Kapitalismus nicht in der Lage ist, die großen Menschheitsfragen zu lösen, sondern zu mehr statt weniger Ungleichheit führt, wenn der Klassenkampf von oben mit unverminderter Härte geführt wird, was ist dann die Alternative? Die neofaschistische, autoritäre Barbarei, die Ungleichheit noch weiter verschärft und die Opfer einer ungerechten Weltordnung mit ihrem Rassismus bekämpft? Oder eine solidarische Gesellschaft, die alle Bewegungen für Gleichheit und Emanzipation, gegen Herrschaft und Ausbeutung vereint?

Zurück zu Pamela Anderson. Sie bringt die Entscheidung, vor der nicht nur die Franzosen, sondern wir alle stehen, auf den Punkt: »Die wahre Frage ist, ob die derzeitigen Proteste in etwas Konstruktives gedreht werden können. Was am Tag danach kommt und ob die Progressiven in Frankreich und auf der ganzen Welt Lösungen für den Aufbau gleichberechtigter und egalitärer Gesellschaften finden können.«

Lorenz Gösta Beutin ist Energie- und Klimapolitiker der Linken im Bundestag und Landessprecher seiner Partei in Schleswig-Holstein.

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