Schulterpolster-Schönlinge im Schnee

George Michael starb 2016 am ersten Weihnachtstag. Sein größter Erfolg war der Weihnachtshit »Last Christmas«. Das Video dazu drehte er vor 34 Jahren in Saas-Fee. Noch heute erinnert man sich in dem Schweizer Dorf an die zerstrittenen Musiker

  • Stephan Brünjes
  • Lesedauer: 5 Min.

Hoppelnder Synthesizersound, bimmelnde Schlittenglöckchen: »Last Christmas I gave you my heart«, säuselt eine samtene Männerstimme. Ihr Besitzer fährt im Jeep vor, steigt aus mit blond zementierter Föhntolle und Zahnpastalächeln und schickte ein Winkewinke zu Freunden in quietschbunten Daunenmänteln an einer Gondelbahn. So beginnt das Video zu »Last Christmas«, dem größten Hit des britischen Popduos »Wham!«, veröffentlicht am 15. Dezember 1984. Philippe Zurbriggen schaut es auf dem Handy seiner Tochter an und lächelt versonnen: »Lackschuhe trug einer von denen, ist beim Aussteigen dauernd in den Schnee geplumpst - leider haben sie’s rausgeschnitten.« Dem 59-Jährigen gehört der Souvenirladens »Woodpecker« in Saas Fee. Er hatte damals, im November 1984, als einziger im Ort einen Jeep und wurde deshalb von der Filmcrew gleich für die ganze Drehwoche gebucht - auch als Chauffeur von George Michael: »Der fläzte seine Füße immer aufs Armaturenbrett und rauchte merkwürdig süße Zigaretten«, raunt Zurbriggen: »Wahrscheinlich hat er mich deshalb morgens beim Abholen nie erkannt.«

Rein in die Gondel, rauf zum Berg geht’s im Video für »Wham!« und Freunde - zu einem Chalet zwecks gemeinsamer Weihnachtsfeier. »Stimmt nicht«, sagt Charly Schmidt, damals Kabinenführer der Bergbahn, heute Chef der örtlichen Bowlingbahn: »Die Felskinn-Gondel führt auf 3000 Meter, direkt ins Gletscherskigebiet - Chalets gibt’s da oben nicht.« Dafür aber inzwischen Pisten wie aus dem Straßenatlas: Breite Autobahnen für Carver. Steile, buckelige Abfahrten für Freunde des gepflegten Muskelkaters. Oder Tiefschneeprärie für Offroader. Skiläufer und Boarder müssen allerdings Geduld haben auf dem Weg dorthin. Nur alle 15 Minuten zuckelt eine der beiden Felskinn-Riesengondeln los. An deren Gipfelstation mutiert man zum Untergrundkämpfer, stapft mit Skiern auf der Schulter zu Fuß durch hunderte Meter lange Felstunnel zur Piste oder zur Metro, einer Art U-Bahn, die durch den Berg ganz oben auf den Gletscher führt. Dort laufen - im Zeitlupenmodus - die in Saas-Fee noch reichlich vorhandenen Schlepplifte, denn für Sessellifte oder Gondelbahnen können keine Stützpfeiler verankert werden - sie würden im Eis nicht halten.

Tipps

Anreise: Von Lörrach aus über die Autobahn E35 bis Bern, weiter auf der A6 bis Spiez, von dort 90 Kilometer Landstraße nach Saas-Fee.

Übernachtung: Im Wham-Domizil »Ferienart«, sieben Übernachtungen mit Halbpension und Sechstage-Skipass ab 109 Euro pro Person und Nacht, buchbar bei fti u.a. für den Zeitraum 24.2. – 4.3.2017. www.ferienart.ch, Tel.: 0041/27 958 19 00.

Skipass: Für sechs Tage zahlen Erwachsene (ab 20 Jahre) 340 Euro, Jugendliche (16 bis 19 Jahre) 290 Euro, Kinder (6 bis 15 Jahre) 170 Euro. Die Kleinsten bis zu 6 Jahren fahren kostenlos Lift.

Die Recherche wurde unterstützt von Saas-Fee/Saastal Tourismus.

Infos: Saas-Fee/Saastal Tourismus, Tel.: 0041/27 958 18 68, www.saas-fee.ch, info@saas-fee.ch

»Unser Ort hat viel Potenzial, aber zu wenig Potenz«, kommentiert Beat Anthamatten vielsagend. Der Ex-Tourismus-Chef von Saas-Fee konnte offenbar nicht so viel verändern wie er wollte, spricht auch von »Bremsern«, die es hier gebe. Aber seit einigen Jahren lockt der Ort mit einem pfiffigen Marketingkonzept - der »Freien Ferienrepublik Saas-Fee« - jeder Gast kann sich pro forma einbürgern lassen, mit eigenem Pass und augenzwinkernd gewährten »Bürgerrechten«: Essen im höchsten Drehrestaurant der Welt, 300 Sonnentage und 42 Wochen Schnee.

42! - Wegen dieser Frau-Holle-Garantie kamen einst auch »Wham!« nach Saas-Fee - in einer Stretchlimousine. »Die haben wir gleich auf den Parkplatz abgeschoben, denn unser Ort war schon damals autofrei«, erzählt Beat Anthamatten. Durch die engen Gassen mit jahrhundertealten Holzhäusern surren bis heute nur Elektrofahrzeuge. Nur für Krankenwagen und Schneeräumer gilt einen Ausnahme.

Immerhin, Fünf-Sterne-Luxus konnte Saas-Fee den verwöhnten Popstars damals schon bieten - im kurz zuvor eröffneten »Walliserhof«, dem heutigen Hotel »Ferienart«. George Michael bezog die »Adlerhorst-Suite« mit eigener Sauna und Whirlpool. An der Rezeption schwärmte die damals 20-jährige Sybille Meyer sofort für den smarten Beau. »Bis ich ihn auf dem Flur traf - ungeschminkt«, erinnert sich die heutige Betreiberin des Hotels »Elite«: Komplett bräunungscremefrei war er dann doch nicht mehr ihr Traumtyp. Andrew Ridgeley, zweiter »Wham!«-Mann, wollte im Hotel möglichst weit von George Michael entfernt wohnen. Gemeinsame Fotos der beiden aus Saas-Fee gibt es nicht. »Die hatten sich zwei Jahre vor der Trennung schon verkracht«, ist sich Beat Anthamatten sicher. Pikant angesichts der damals zu drehenden Videohandlung: »Last Christmas« schenkte George Michael sein Herz einer Frau, sie jedoch hat tags drauf schon einen anderen - gespielt von Andrew Ridgeley. Mit diesem Lover taucht sie ein Jahr später zur Gruppenweihnachtsfeier auf. Diese Geschichte garantierte im Video reichlich Schmacht- und Schmollmienen; Knistern nicht nur im Kamin, sondern auch zwischen den toupierten Schulterpolster-Schönlingen.

Gedreht wurde all das vor einem Chalet und im heutigen Kulturzentrum am Ortsrand. Dorthin kommt, wer auf den Spuren eines anderen Promis wandelt: Schriftsteller Carl Zuckmayer lebte seit 1957 hier und wurde nach seinem Tod 1977 mit einem Waldwanderweg geehrt. Der bietet Spaziergängern einen Panoramablick auf das verschneite Saas-Fee und ist Teil einer kurvigen Rodelstrecke, die jeden Schlittenfan begeistert. Doch für die »Wham!«-Crew war 1984 die Dorfstraße schon Herausforderung genug. Denn beim Transport vom Hotel zum Drehort verschwand die Brosche, die George Michael seiner Angebeteten »Last Christmas« schenkte und die im Video groß zu sehen sein sollte. Stefan Zurbriggen fegte und harkte mit fünf Helfern jeden Quadratzentimeter des Weges ab: »Alle im Dorf haben uns ausgelacht, gefunden haben wir die Brosche - angeblich ein Erbstück von George Michaels Oma - nach Stunden vorm Hotel.«

Eine solche Aufregung hat der heutige Inhaber eines Sportgeschäfts nie wieder erlebt, obwohl reichlich Promis nach Saas-Fee kommen: Tina Turner, Michelle Hunziker, Nena oder Seal. Sie alle genießen den zwischen reichlich Viertausendern wie hingegossen daliegenden Gletscher, sie kommen gern in urige Hütten wie die »Gletschergrotte«, wo man draußen auf ausrangierten Motorrädern mit Schaffellbezug sein Weißbier schlürft. Vor allem aber schätzen Promis die Diskretion und Abgeschiedenheit des Ortes. Die musste »Wham!« noch etwas rustikal durchsetzen lassen: Philippe Zurbriggen nämlich wollte nach Tagen des Chauffeurdaseins quasi beim »Aprés-Dreh« mit George Michael & Co. anstoßen. Das taten dann unmissverständlich zwei Bodyguards, aber nicht mit Gläsern, sondern breiten Schultern: »Kein Zutritt, zieh Leine!«, bekam Zurbriggen zu hören. Robert Anthamatten, ein weiterer Helfer beim Dreh, hatte mehr Glück: Der damals 15-Jährige schleppte George Michael die Koffer in die Suite und fuhr Gulasch zum Set. Dafür ergatterte er ein Autogramm von George Michael - sogar auf seiner Skiweste. Die jedoch expedierte Mutter Anthamatten wenig später beherzt in die Altkleidersammlung.

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