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Auf der Matte mit Antifas
In Neubrandenburg haben Linke ein Kampfsportstudio eröffnet
Sunny denkt pragmatisch. Klar, der Klügere gebe nach. Doch wenn die Klugen immer nachgäben, würden irgendwann die Dummen regieren. Ganz einfach. Das wäre auch mit den Nazis so: »Die Faschos machen alle Kampfsport«, sagt Sunny und wischt sich über den schweißgetränkten Iro. »Wenn wir uns nicht verteidigen können, haben wir irgendwann ein Riesenproblem.« Sunny, 28, mit eisblauen Huskyaugen und Fusselbart, hat mit ein paar Freunden in Neubrandenburg ein linkes Kampfsportstudio gegründet, ein Gym wie man in der Szene sagt. Heute ist Eröffnung, doch Sunny ist ziemlich entspannt.
Neubrandenburg ist ein schmuckes Städtchen in Mecklenburg-Vorpommern unweit der Landesgrenze zu Brandenburg. Zur Kleinstadtidylle gehören eine Menge Fachwerkhäuser, vier mittelalterliche Stadttore und Europas besterhaltene Stadtbefestigung der Backsteingotik, sagt die Infotafel davor. Vor den Toren der Stadt liegt die Mecklenburger Seenplatte, die Region lebt vom Tourismus.
Das, wofür Sunny und die anderen lange gekämpft haben, befindet sich in einem charakterlosen Wohngebiet zehn Gehminuten von der sanierten Innenstadt entfernt. Schon von weitem hört man Gepolter und Gestöhne. Dumpfe Punkmusik dröhnt aus einem flachen Gebäude. Früher, erzählt Sunny, sei hier mal eine Kuchenfabrik gewesen, danach stand es lange leer. Der Teppich im Eingangsbereich und eine verstaubte Schrankgarnitur erinnern an Vorwendezeiten. Das Herz des Gyms ist ein grell beleuchteter, mit Matten ausgelegter Raum. Ein Boxsack baumelt von der Decke, in der Luft liegt ein süßlicher Schweißgeruch. In einer Ecke hängt eine Antifafahne, auf die Wand ist eine überdimensionale Zecke gesprüht. »Das Graffiti ist vorhin noch fertig geworden«, sagt Sunny. Die Zecke ist das Symbol des Vereins. Früher nannten sie sich mal »Tick-Fighting«. »Das war ne Suffidee«, sagt Sunny und lacht. »Wir haben gedacht, Zeckenkämpfe klingt geil - bis wir gemerkt haben, dass das eigentlich Zeckenbekämpfung heißt.« Jetzt heißt der Verein »Attitude Sports«. Denn es soll nicht nur gekämpft, sondern auch eine Einstellung auf der Matte vermittelt werden und vor allem: Den Kampfsport wollen sie nicht den Rechten überlassen.
Die Brutalität, die Disziplin und ein überhöhter Männlichkeitswahn - alles Aspekte, die gerade für Neonazis attraktiv sind. Seit mehreren Jahren finden in Deutschland immer mehr rechte Kampfsportveranstaltungen statt. Die Events sind für die Szene neben Rechtsrock-Konzerten ein wichtiges Rekrutierungsfeld und eine lukrative Einnahmequelle. Über Modelabels versuchen Nazis, Anknüpfung auch an unpolitische Kampfsportkreise zu finden. Die Grenzen zwischen rechten Kampfsportlern, Hooligans und Rockern sind in vielen Städten fließend. Der konspirativ organisierte, an wechselnden Orten stattfindende »Kampf der Nibelungen« ist heute das größte rechte Kampfsportevent in Westeuropa. Dort erfreuen sich gerade Mixed Matrial Arts (MMA), in denen verschiedene Kampfsportarten und Techniken vereint werden, großer Beliebtheit. Auch aus dem Ausland reisen viele Teilnehmer an. Die rechte Kampfsportszene ist international gut vernetzt.
Eine Gruppe, die versucht gegen die rechten Umtriebe im Kampfsport anzukämpfen, ist auch bei der Gym-Eröffnung in Neubrandenburg dabei. Auf einem Tisch liegen Flyer und Broschüren der Kampagne »Runter von der Matte! Kein Handshake mit Nazis!«. Seit 2017 besteht das Netzwerk, das sich als Recherche- und Aufklärungsplattform versteht. Ihre Haltung: kein Kampfsport mit Neonazis. Über soziale Medien klärt die Gruppe auf, outet rechte Sportler*innen, versucht zu intervenieren. Mehrmals sei es gelungen, Neonazis von normalen Kampfsportveranstaltungen streichen zu lassen. Größere Verbände haben sich schon, nachdem das Netzwerk Druck machte, öffentlich von Nazis und ihren Modelabels distanziert.
Zur Eröffnung des Studios trudeln am Vormittag rund 30 Leute ein. »Nicht schlecht für den ersten Tag«, meint Sunny. Auf dem Plan stehen verschiedene Workshops: MMA, Brazilian Jiu-Jitsu, Kickboxen. Bei den Bodenübungen winden sich schwitzende Knäuel aus verkeilten Gliedmaßen und roten Köpfen auf der Matte. Es wird geklammert, gezogen, gegriffen, geschleudert.
Die Pause gibt Sunny Zeit, mit einer Kippe durchzuschnaufen. Aufgewachsen ist er im Wendland. Viel durchgemacht habe er in seiner Jugend. Kampfsport mache er, seit er laufen kann. Aber irgendwann wurden andere Dinge wichtiger: Saufen, Musik, Quatsch machen. Ein klassischer Dorfpunk eben. Für die Ausbildung als Softwareentwickler kam Sunny vor acht Jahren nach Neubrandenburg. Stress mit Nazis habe er im Wendland nicht gehabt, dort gebe es nur Hippies. Das änderte sich schlagartig mit dem Umzug: »Einmal saß ich mit einem Kumpel am Markt, da kamen zwei zugestopfte Faschos vorbei und haben uns umgeklatscht - nur weil wir Zecken sind.« Die Prügel waren für Sunny Ansporn, wieder mit dem Training anzufangen. Mit ein paar Freunden gründete er vor vier Jahren den Verein, mietete einen dunkeln Kellerraum, erst einmal nur »zum Pumpen«. Irgendwann kam Boxen dazu. Mit dem eigenen Kampfsport-Gym geht für ihn nun ein Traum in Erfüllung.
Auch Kante ist von Anfang an dabei. Der hagere 23-Jährige ist in Neubrandenburg aufgewachsen. Klar, ab und zu gebe es Stress, erzählt er. Vor ein paar Jahren habe eine Gruppe Nazis regelmäßig Linke und Migrant*innen angegriffen. Die umliegenden Dörfer sind rechte Hochburgen. Auch er hat ein paar Mal etwas abbekommen. Dennoch sei es in Neubrandenburg im Vergleich zu anderen Städten halbwegs entspannt. Durch die Fachhochschule gibt es eine kleine Studierendenszene. Und auch die Linken sind hier aktiv.
Wie er zum Kampfsport gekommen ist? Früher habe er Leichtathletik gemacht. Nachdem ihn ein Polizist am Rande einer Demonstration »grundlos umgeboxt« hat, habe er mit dem Kampfsport angefangen - auch zur Abschreckung: »Wenn die Faschos wissen, dass wir uns verteidigen können, gibt es weniger Übergriffe. Ganz einfach.«
Dass Linke Kampfsport machen, ist nicht unumstritten. Gerade MMA, wo praktisch ohne Regeln gekämpft wird und fast alles erlaubt ist, sehen viele in der Szene kritisch. Man würde die Methoden der Nazis kopieren, heißt es oft. Das sieht Sunny nicht so. Man könne auch Kampfsport machen und friedlich sein. »Ich sage immer: Lieber ein Krieger im Garten als ein Gärtner im Krieg.« Außerdem habe der »Nazi-Box-Kult« nicht viel mit den ursprünglichen Ideen des Kampfsports zu tun. Dort geht es nämlich um Respekt vor dem Gegner und gerade auch um die Unterstützung von schwächeren Kämpfer*innen. Bewusst grenzt sich »Attitude« von anderen Klubs ab. Bei denen geht es fast ausschließlich um Härte und Männlichkeit.
Einer, der an diesem Tag seine Gegner gekonnt auf die Matte wirft, ist Rateb Hatahet. Der kantige 36-Jährige war Weltmeister im Kickboxen und Trainer der syrischen Nationalmannschaft. Seine Kämpfe wurden im Fernsehen übertragen, in der ganzen Welt trat Hatahet zu Wettkämpfen an. Nebenbei studierte er Jura in seiner Heimatstadt Damaskus. Dann kam der Krieg. Hatahet wollte sich keiner Seite anschließen und musste das Land verlassen. Zusammen mit fünf Teammitgliedern floh er im Jahr 2015 auf Booten, in Zügen und zu Fuß. Schließlich landete er in Schwerin, heute lebt er in Rostock. »Ich hatte viel über die Probleme mit Nazis gehört. Manchmal gibt es zwar Stress, aber die meisten Leute sind nett.« Vor ein paar Wochen fand in der Hansestadt eine AfD-Demonstration statt. Die Gegendemonstrant*innen waren jedoch in der Überzahl. Hatahet meint: »Die Guten sind halt mehr.« Heute steht er selbst wieder auf der Matte, organisiert Sportveranstaltungen gegen Rassismus, trainiert fünfmal die Woche Geflüchtete und Deutsche.
Auch Sunny, Kante und die anderen motiviert der sportliche Wettkampf. Regelmäßig nehmen die Jungs an Turnieren teil. Auch außerhalb von politischen Kreisen genießt Kampfsport eine immer größere Popularität. Brazilian Jiu-Jitsu ist heute ein Studierendensport, Selbstverteidigungskurse boomen in ganz Deutschland. Das ist nicht unproblematisch. Oft werden für die Kurse absurde Preise verlangt. »Ausverkauf«, nennt Sunny das. In Neubrandenburg soll es deshalb anders laufen: Es wird kein Gewinn gemacht und nur ein geringer Mitgliedsbeitrag verlangt.
So will »Attitude« gezielt Jugendliche ansprechen. In einer Stadt wie Neubrandenburg sei das enorm wichtig. Jugendklubs würden schließen, Jobs gebe es wenige, die Löhne seien niedrig. Die Konsequenz: Viele junge Menschen ziehen weg. Es ist gut, dass die Kids mit ihnen trainieren, so haben sie etwas zu tun bekommen. Vor einigen Monaten, erinnert sich Kante, kam ein Jugendlicher zum Training, zog sich um und stand plötzlich mit Thor-Steinar-Hose auf der Matte. »Die hatte ihm seine Mutti in Polen gekauft, der wusste gar nicht, was das ist.« Heute ist er oft bei politischen Aktionen dabei. Kante meint: »Gewisserweise machen wir hier auch Sozial- und Jugendarbeit.«
Was auffällt: Nur eine Frau trainiert mit. »Das ist leider fast immer so bei Kampfsportveranstaltungen«, sagt Stina, die sich auf Brazilian Jiu-Jitsu spezialisiert hat. »Es wäre schön, wenn mehr Frauen mittrainieren würden.« Das sieht auch Kante so: »Jede*r ist willkommen, egal wie sich diese Person geschlechtlich definiert.« Man könne aber auch niemanden zwingen, Quoten lehne er deshalb ab.
Aber finden es alle gut, unter einer Antifafahne zu trainieren? »Ich mag das Label nicht«, meint ein Student mit Undercut und roter Schwellung auf der Wange, der das Training mit einem Bier ausklingen lässt. Auch er habe keine Lust mit Nazis zu trainieren, aber viele würden wohl von den politischen Botschaften abgeschreckt.
Das sieht Kante anders. Dem Verein gelingt es, nicht nur Linke anzusprechen. »Wir wollen hier niemanden zum Kommunisten erziehen, aber ein respektvoller Umgang und eine klar antirassistische Einstellung sind uns wichtig.« Auf Facebook weist der Verein auf die Aktivitäten von Nazis hin und unterstützt die Arbeit von »Runter von der Matte«. Direkte Konfrontationen mit Rechten habe es bisher noch nicht gegeben. Dennoch ist man vorsichtig, das Gebäude ist alarmgesichert. »Wenn es passiert, passiert es«, sagt Sunny trocken. »Dann werden wir uns halt verteidigen.«
Diese Reportage erschien zuerst bei www.supernovamag.de
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