»In den Wohnungen steckt unsere Liebe«

Mieter der Karl-Marx-Allee protestieren vor dem Willy-Brandt-Haus gegen die Spekulation mit ihren Quartieren

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

Andrea Nahles läuft schnellen Schrittes vorbei, doch sie hört die Trillerpfeifen der protestierenden Mieter*innen nicht. Eine Glasscheibe und hundert Meter trennen sie von der Kundgebung der Mieter*innen der Karl-Marx-Allee, die um ihre Wohnungen kämpfen. Die rund 100 Betroffenen stehen am Sonntag mit Transparenten auf der gegenüberliegen Straßenseite. Aber dort fallen sie nicht besonders auf. »Die Polizei hat uns verarscht«, empört sich Ralf Hoffrogge von der Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«. Er erklärt: »Die haben gesagt, hier fahren die Limousinen der Politiker vor, aber das stimmt nicht.«

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Mieter*innen der Karl-Marx-Allee, die gegen den Verkauf ihrer Quartiere an die Deutsche Wohnen und für eine Rekommunalisierungslösung kämpfen, hintergangen fühlen (»nd« berichtete). »Uns hat man nichts gesagt von dem Verkauf. Das ist keine Art, wie man mit Menschen umgeht«, sagt Eva-Maria Wilde.

Natascha Paulick kämpft schon viele Jahre für das Baudenkmal an der Frankfurter Allee, das ihr Großvater Richard Paulick mitentworfen hat. Sie legte sich schon öfter mit den wechselnden privaten Eigentümern des Ensembles an. Als ihre Wohnung, in der sie aufgewachsen ist, 2014 eine automatische Entlüftung quer durchs Wohnzimmer bekommen sollte, weigerte sie sich. »Das ist eine tolle Gemeinschaft hier. Die wollen wir erhalten. Wir haben die Wohnungen die ganzen Jahre instand gehalten. Da steckt unsere Liebe drin«, sagt Paulick. Sie erinnert an die Trümmerfrauen, die den Schutt beiseite räumten, ehe die Häuser in den 1950er Jahren errichtet werden konnten. »Hier ist Geschichte zu retten«, findet sie. Hoffnung, dass dies mit der Deutschen Wohnen geschehen könnte, hat sie nicht.

Zwischen dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in Person von Stadtrat Florian Schmidt (Grüne) und dem Senat in Person von Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ist mittlerweile ein Ringen um die bevorzugte Lösung entbrannt. An diesem Dienstag soll eine Lösung im Sinne der Mieter*innen gefunden werden. Kollatz präferiert momentan eine Kauflösung für die betroffenen Mieter*innen, Schmidt eine Rekommunalisierung durch eine städtische Wohnungsbaugesellschaft. Dazu wurden verschiedene Gutachten in Auftrag gegeben. Bei einem Kauf durch die Mieter*innen sollen diese durch die Investitionsbank Berlin unterstützt werden. Schmidt hat hingegen ein Modell vorgeschlagen, bei dem die Mieter die Wohnungen stellvertretend für das Land erwerben und dann an die Wohnungsbaugesellschaft abgeben - eine Konstruktion, die Finanzstaatssekretärin Margaretha Sudhoff in einem Brief an die Mieter*innen als »keine realistische und rechtssichere Möglichkeit zur Rekommunalisierung« bezeichnete.

Natascha Paulick lehnt die Kauflösung durch die Mieter*innen ab: »Bei der Variante sollen wir das Dreifache unserer jetzigen Miete monatlich zurückzahlen. Das können wir nicht.« Ihre Nachbarin Eva-Maria Wilde gibt zu bedenken: »Wir in der DDR konnten halt nicht so gut Rücklagen aufbauen wie im Westen. Ich persönlich kenne niemanden, der die Wohnung selbst kaufen will.«

Ralf Hoffrogge befürchtet, dass auch ein Verkauf an die Mieter*innen die Spekulation mit Wohnraum nicht stoppen würde. »Erst kaufen die Mieter und nach zwei bis drei Jahren werden die Wohnungen dann gewinnbringend weiterverkauft an irgendwelche Zahnärzte aus Süddeutschland.« Baustadtrat Schmidt twitterte bereits, dass erste Wohnungen in Immobilienportalen zum Kauf angeboten werden. »Der Wahnsinn beginnt schon. Wohnungen aus den verkauften Blöcken werden auf dem Spekulationsmarkt weiterverkauft.«

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