»It must schwing«

Eine Doku erzählt die Geschichte des wichtigsten Jazz-Labels aller Zeiten: Blue Note

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer Jazz sagt, meint gemeinhin die USA. Jazz, das ist schließlich mehr noch als Rock’n’Roll oder Hip-Hop Amerikas Soundtrack schlechthin, die Begleitmusik einer Nation auf dem Weg zu sich selbst. Hervorgegangen aus dem schwarzen Blues wurde schließlich ausgerechnet die Subkultur der unterdrückten Afroamerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg zum gesamtgesellschaftlichen Mainstream und bewies damit die Kraft der Musik als gemeinsinnstiftendes Element der Populärkultur beim populärkulturellen Exportweltmeister.

Umso überraschender ist es, dass das weltweit bekannteste Jazz-Label »Blue Note« nicht von Eingeborenen stammt, sondern von zwei Berlinern, die auf der Flucht vor den Nazis in New York landeten. »Francis und Alfred« – so nennt sie der beneidenswert junge gebliebene Pianist Herbie Hancock in der ARD-Doku »It must schwing«, und so werden die beiden auch von anderen Jazz-Heroen wie Quincy Jones, Sheila Jordan, Ron Carter, Lou Donaldson oder Bennie Maupin genannt. »It must schwing« heißt die von Eric Friedler gedrehte Hommage an Francis Wolff und Alfred Lion. Im Genre strukturierter Improvisation gibt es schließlich niemanden von Belang, der nichts auf Blue Note veröffentlicht hat.

Und Eric Friedler hat die Überlebenden vor seine Kamera gekriegt. Alle. Nach seinen Fernsehforschungsfahrten zu Völkermordopfern, Preisboxern, Toten Hosen, zu Erich Honecker, Jerry Lewis oder Eis am Stiel beweist er somit erneut, dass in den Abseiten der Gegenwartskultur die tollsten Stories lauern.

Die vom gleichgesinnten Wim Wenders produzierte Dokumentation porträtiert zwei Jugendfreunde, die im libertären Sog der Weimarer Republik musikverrückt werden und vorm braunen Terror nach Amerika emigrieren, wo sie ihre Leidenschaft zur Berufung machen. Doch der Weg dorthin ist steinig – und schwer nachzuvollziehen.

Da es bis auf ein altes Interview mit Alfred Lion keine bewegten Bilder gibt, lässt Friedler ihren Werdegang animieren. Dadaistisch gezeichnet, laufen sie von Erweckungserlebnis zu Erweckungserlebnis durch die Roaring Twenties, machen an Hakenkreuzen Halt und entern Schiffe in eine Freiheit, die sich als Unfreiheit der schwarzen Minderheit erweist.

Als jüdische Aussiedler, meint der Kolumnist Barry Singer im Film, hätten sich Wolff und Lion mit den Entrechteten Amerikas verbunden gefühlt. Bevor Blue Note den »Soundtrack der Bürgerrechtsbewegung« lieferte und damit Weltgeschichte schrieb, sei ihr – anfangs stets pleitegefährdetes – Label also auch ein Vehikel afroamerikanischer Emanzipation gewesen. Das macht »It must schwing« zur Geschichte von Emigration und Ausgrenzung, Solidarität und dem american way of life.

Dank Eric Friedlers herausragender Fähigkeit, Menschen freimütig zum Reden über Dinge zu bringen, die erst durchs Erzählen bedeutsam werden, ist der Film zudem ein Epos moderner Dokumentationskunst. Dabei ist »It must schwing« noch nicht mal der beste Film des gebürtigen Australiers aus Köln. Wie die greisen Männer des Jazz allerdings mit ihm lachen und weinen, wie sie kämpfen und fühlen – das ist ein Beleg mehr, was Musik in Menschen bewegt und damit in Gesellschaften. Das fast zwei Stunden lang ebenso unterhaltsam wie lehrreich zu gestalten, dafür hätte Friedler allerdings einen besseren Sendeplatz verdient als Sonntag kurz vor Mitternacht. Danke für gar nichts, ARD.

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