Eine Woche Euphorie

Dass die gute Laune nach der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten immer so schnell verfliegt, bedauert Bernd Zeller

  • Bernd Zeller
  • Lesedauer: 3 Min.

Unser heutiger Bericht widmet sich dem Advent, denn das ist die Zeit der Hoffnung und der frohgemuten Erwartung, wenn die Menschen voller Vorfreude auf die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten sind.

Frank-Walter Steinmeier bringt seine frohe Botschaft den Menschen an den Endgeräten, die sich daraufhin besinnen und familiär gestimmt sind. Viele Menschen haben einen Kalender mit Türchen, hinter denen sich ein Bildchen oder eine Nascherei verbirgt, um die Zeit bis zur Ankunft des Bundespräsidenten zu versüßen. Traditionell überreichen sie sich gegenseitig Geschenke, wenn es so weit ist, denn die Weihnachtsansprache ist ein hohes Fest der Demokratie, der Vielfalt und des friedlichen Miteinanders.

Es wird erwartet, dass Frank-Walter Steinmeier in seiner Weihnachtsansprache einen Zehn-Punkte-Plan vorlegt. Da er die Menschen dort abholt, wo sie sind, und da einbezieht, wo sie es brauchen. Er wird er jeden Punkt detailliert und in aller Verständlichkeit erläutern, außerdem Beratungsangebote machen für das Ausräumen von Unklarheiten, damit die Menschen zu ihren Abgeordneten gehen, wenn sie etwas nicht verstanden haben, und sich dort die nötigen Erklärungen ausführlich geben lassen oder Informationen erhalten, wie sie die Weihnachtsansprache von der Seite des Bundespräsidialamtes herunterladen und ausdrucken können. Da alle Politiker nach einer halben Amtszeit so reden wie Frank-Walter Steinmeier, erhält der persönliche Dialog das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit des Amtes des Bundespräsidenten aufrecht.

Ein Bundespräsident braucht Charisma, also Ausstrahlung, und die hat er über das Fernsehen. Nach der Ausstrahlung sind die Zuschauer so tief beeindruckt, dass sie erst einmal zwei freie Tage brauchen. Allerdings wollen wir nicht übersehen, dass es viele Beschäftigte gibt, die auch an den Feiertagen arbeiten, und sobald wir das bedingungslose Grundeinkommen haben, wird sich herauskristallisieren, welche von ihnen dies aus Arbeitsbedürfnis tun und welche nur zum Zweck der Geldvermehrung.

In der Restzeit bis zum Jahreswechsel wird sich die Nachhaltigkeit der präsidialen Worte erweisen. Steinmeier hat nicht nur die frohe Botschaft zu verkünden, dass er mit seiner Weihnachtsansprache im Fernsehen ist, er hat auch Sätze der Mahnung und Warnung zu überbringen. Es darf kein Riss durch den Graben der gesellschaftlichen Kluft gehen, das ist bekannt, doch durch die eindringliche Bekräftigung wird das Gewissen des Einzelhandels angeregt, kulant auf das Begehren nach dem Umtausch von geschenkten Waren einzugehen.

Der Termin der Weihnachtsansprache hat einen symbolischen Wert, er markiert das Ende der Jahresrückblicke. Die müssen alle vorher gesendet werden, weil danach der Eindruck der Steinmeier’schen Ansprache alles überlagern würde. So kommt es, dass etwas, das in der letzten Woche des Jahres passiert, in keinem Rückblick auftaucht und keine Gelegenheit hat, im kollektiven Gedächtnis zu bleiben. Es ist schon schwer genug, sich Annegret Kramp-Karrenbauer zu merken.

Nichtsdestoweniger sollte man nicht so naiv sein zu glauben, die Spaltung der Gesellschaft wäre durch all dies überwunden. Der Zweifel an der Wirkmächtigkeit der Weihnachtsansprache zieht sich durch alle Schichten, was aber nicht reicht, einen gemeinschaftsstiftenden Sinn zu erzeugen. Viele glauben nicht, dass der Bundespräsident schon alle bösen Geister vertrieben habe, und greifen in heidnischem Brauch zu der Eigeninitiative, bei Anbruch des neuen Jahres mit Knallkörpern nachzuhelfen, und dies sogar in Umweltzonen und in der Nähe von Stickoxid-Messstationen. Man ist offenbar der Meinung, man könne ruhig die Luft einstauben, wenn doch Diesel-Fahrverbote verhängt werden.

Alkohol und andere Rauschmittel steigern die Stimmung, mit der man ins neue Jahr geht. Die Euphorie wird nicht lange vorhalten. Die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin zieht dann alle wieder herunter.

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