- Politik
- Gelbwesten in Frankreich
Präsident Macron macht weitere Zugeständnisse an Protestbewegung
Anhebung des Mindestlohns, Entlastung für Rentner und Steuerbefreiung für Überstunden angekündigt / Keine Wiedereinführung der Vermögensteuer
Paris. Nach wochenlangen Protesten der Gelbwesten hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Zugeständnisse für Geringverdiener und Rentner angekündigt: Unter anderem soll der Mindestlohn im kommenden Jahr um 100 Euro monatlich angehoben werden, wie er am Montagabend in einer Fernsehansprache ankündigte. Der 40-jährige Staatschef räumte zugleich eine Mitverantwortung für die aktuelle Krise ein. In ersten Reaktionen äußerten sich viele Gelbwesten ablehnend, einige sprachen aber auch von »Fortschritten«.
In seiner rund 13-minütigen vorab aufgezeichneten Ansprache zur Hauptsendezeit kündigte Macron ein weiteres Maßnahmenpaket an: Für Rentner, die über weniger als 2000 Euro monatlich verfügen, wird demnach die Erhöhung der Sozialabgaben ausgesetzt. Zudem sollen Überstunden künftig ohne Steuern und Sozialabgaben vergütet werden. Diese Maßnahme zur Stärkung der Kaufkraft hatte es bereits unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy gegeben, der bis 2012 im Amt war. Zugleich rief Macron die Arbeitgeber auf, ihren Mitarbeitern zum Jahresende eine Prämie auszuzahlen, um die steigenden Lebenshaltungskosten abzufedern.
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Die Maßnahmen betreffen nach Angaben des Fernsehsenders TF1 rund zwei Millionen Haushalte in Frankreich. Macron setzte sich damit auch über Bedenken in seiner Regierung hinweg. Aus dem Arbeitsministerium hatte es zuvor geheißen, durch eine Erhöhung des Mindestlohns - eine der Hauptforderungen der Aktivisten - würden »Arbeitsplätze zerstört«. Der französische Mindestlohn ist mit derzeit rund 1.185 Euro netto einer der höchsten der OECD-Länder.
Auf weitere Forderungen der Gelbwesten wie allgemeine Steuersenkungen und eine Wiedereinführung der Vermögensteuer ging der Präsident nicht ein. Ihre weitgehende Abschaffung zu Jahresbeginn hatte ihm den Ruf eines »Präsidenten der Reichen« eingebracht. Die Vermögenssteuer war mit dem Haushaltsgesetz für 2018 weitgehend abgeschafft worden - zwar muss Immobilienbesitz weiter versteuert werden, für Kapitalbesitz fallen die Abgaben jedoch weitgehend weg. Gleichzeitig müsse der Staat streng gegen Steuerhinterziehung vorgehen, sagte Macron. »Der Geschäftsführer einer französischen Firma muss seine Steuern zahlen.« Milliardenschwere Steuer- und Abgabenerleichterungen dürften Frankreich teuer zu stehen kommen. Eigentlich hatten die Franzosen Europa versprochen, die Staatsfinanzen zu sanieren und die Maastrichter Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung dauerhaft einzuhalten.
Die Drei-Prozent-Schwelle könnte Frankreich nun jedoch möglicherweise erneut nicht schaffen. Bisher sieht die Planung für 2019 ein Haushaltsdefizit von 2,8 Prozent der Wirtschaftsleistung vor. Erstmals seit 2007 lag Frankreich im Jahr 2017 mit einem Wert von 2,6 Prozent unter der Schwelle. Am Montag halbierte die Banque de France die vorhergesagte Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts für das vierte Quartal. Diese liege nun nur noch bei 0,2 Prozent. Grund dafür seien Auswirkungen der Proteste der »Gelben Westen«. »Im November hat die aktuelle Bewegung die industrielle Produktion in verschiedenen Sektoren beeinflusst«, hieß es.
Es gibt Zweifel, dass die Zugeständnisse Macrons und der Mitte-Regierung von Premier Philippe ausreichen werden. Die Forderungen der Gelbwesten sind mittlerweile noch weitgehender. Für kommenden Samstag gibt es bereits neue Aufrufe zu Protesten. Mehrere Gelbwesten-Vertreter äußerten sich skeptisch bis ablehnend über die Ankündigungen. »Er macht sich über uns lustig«, kritisierte ein Aktivist aus dem Ort Montceau-les-Mines, der mit anderen die TV-Ansprache verfolgt hatte. »Diesmal gibt es wirklich Fortschritte«, sagte dagegen ein Sprecher aus Rennes.
Macron zeigte sich bei seinem Auftritt im Elysée-Palast deutlich selbstkritischer als vor zwei Wochen: Er übernehme für die aktuelle Krise seinen »Teil der Verantwortung«, betonte er. Seine Regierung habe sich in den ersten anderthalb Jahren zu sehr auf ihr Reformprogramm konzentriert. Die soziale Ungleichheit habe sich aber in Jahrzehnten entwickelt, betonte Macron: »40 Jahre Not brechen sich Bahn.« Zudem räumte Macron ein, dass er manche Franzosen mit seinen Äußerungen »verletzt« habe. Der Präsident hatte bei öffentlichen Auftritten wiederholt für Empörung gesorgt - unter anderem, als er einen Arbeitslosen zurechtwies, er müsse »nur über die Straße gehen« und finde schon einen Job. Reformkritische Bürger hatte er als »widerspenstige Gallier« verspottet.
Die Forderungen der Protestbewegung nannte der Staatschef »legitim«. Er habe die Wut der Bürger gehört und verstanden, dass es dabei nicht nur um die Ökosteuer gehe, deren geplante Anhebung seine Regierung als erstes Zugeständnis ausgesetzt hatte. »Diese Wut sitzt tiefer. Sie ist vielleicht unsere Chance«, sagte der 40-jährige Präsident.
Scharfe Kritik übte er erneut an der Gewalt bei den Protesten der vergangenen Wochen. Die Wut über soziale Ungleichheit rechtfertige keine Angriffe auf Polizisten oder massive Sachbeschädigung, kritisierte der Präsident. Am Samstag hatte es bei Demonstrationen in Paris und anderen Städten erneut Ausschreitungen gegeben. Es gab zahlreiche Verletzte, die Sachschäden gehen in die Millionenhöhe. Agenturen/nd
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