Theresa May kneift, ein harter Brexit droht

Nach der Verschiebung der Brexit-Abstimmung wird die Zeit knapp, den EU-Austritt Großbritanniens zu gestalten

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein klarer, ruhiger Dezembervormittag in der englischen Hauptstadt London. Für viele Briten deutet nichts auf das politische Erdbeben hin, das am Montag Nachmittag über die Westminster-Bühne ging. Und doch hat Premierministerin Theresa Mays Entscheidung, die parlamentarische Abstimmung über ihren Brexit-Kompromiss mit den 27 EU-Partnern auf einen vorerst unbestimmten Termin zu verschieben, ihre heillose Verwirrung und Schwäche vor aller Augen geführt. Zur Zeit kann kaum noch von einer Regierung gesprochen werden, geschweige von einer funktionierenden. Stattdessen wurstelt sich eine Unfähige von einem Tag zum nächsten durch und fürchtet, selber verwurstet zu werden.

May hat jedoch nur verspätete Einsicht in die Notwendigkeit gezeigt, einer sonst unvermeidlichen Katastrophe im Unterhaus auszuweichen. Noch in den Frühstücksradiosendungen hatten Minister wie Michael Gove frohgemut verkündet, es würde am Dienstag Abend wie geplant abgestimmt. Erst am Nachmittag erhob sich die von Labour, Liberalen, Nationalisten und sogar Nordirischen Unionisten Verlassene und gab zu, mit dem Kräftemessen lieber auf bessere Zeiten zu warten. Die Taktik, die sie seit Amtsantritt mit durchschlagendem Misserfolg probiert hat. Wie lange kann sie sich halten?

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Denn es rumort vor allem in Mays Konservativer Fraktion. Brexit-Fanatiker wie Jacob Rees-Mogg und seine angeblich 80 Abgeordneten starke »European Research Group« nehmen Anstoß an dem »Backstop« zur Vermeidung einer bewachten irischen Binnengrenze. Dieser von den Briten schon vor einem Jahr akzeptierte Absatz im Abkommen würde angeblich einen Keil zwischen Nordirland als Provinz des Vereinigten Königreichs und Britannien treiben, sofern es nicht zu einem funktionierenden Freihandelsabkommen zwischen London und der EU nach dem Austritt kommt. Dabei sehen diese Rechten nicht, dass die während der nordirischen »Troubles« dreißig Jahre lang bewachte Grenze auf Anhänger eines vereinigten Irlands wie ein rotes Tuch wirkt; im Grenzdorf Crossmaglen prangte das ominöse Straßenschild: IRA-Heckenschütze bei der Arbeit! Kein Wunder, dass der Dubliner Premier Leo Varadkar im Interesse des Handels, aber auch des Friedens auf einer offenen Grenze besteht und von den EU-Partnern dabei unterstützt wird. Tory-Abgeordnete, die auf die Streichung der Backstop-Klausel drängen, stellen das 1998 abgeschlossene Karfreitags-Friedensabkommen zwischen London, Dublin und beiden nordirischen Konfessionen leichtsinnig in Frage.

Wenig Entgegenkommen für britische Premierministerin
Die Bereitschaft in der Europäischen Union für Nachbesserungen am Brexit-Deal geht gegen Null

Die besondere Behandlung Nordirlands - möglicherweise mit der Republik innerhalb einer Freihandelszone, von der England, Schottland und Wales bald ausgeschlossen werden könnten - erregt aber auch in Edinburgh Widerspruch. Denn Nicola Sturgeons Nationalisten-Regierung wehrt sich gegen eine handelspolitische Sonderstellung Nordirlands und macht mit Recht geltend, dass eine satte Mehrheit der Schotten für den EU-Verbleib gestimmt hat. Sturgeon und ihre Westminster-Fraktion verlangen wie die Liberaldemokraten eine zweite Volksabstimmung, um die Beliebtheit der Austrittsbedingungen von den Wählern noch einmal testen zu lassen. Eine klare Mehrheit der Labour-Mitglieder, ob vom rechten oder linken Flügel, sehen das auch als einzigen Ausweg aus der Krise. Denn auch für die ins Spiel gebrachte »Norwegen-Lösung« mit Anschluss an die Europäische Freihandelszone gibt es im Unterhaus keine Mehrheit - außerdem scheinen die Norweger von solchen Ideen alles andere als begeistert.

Für einen harten Brexit ohne EU-Deal treten Rees-Mogg und der ehemalige Außenminister Boris Johnson ein und faseln von einem leicht zu erreichenden Handelsabkommen mit Donald Trump. Aber welcher Brite will zum Mittagessen chlorbehandeltes Hähnchen und die rücksichtslose Ausbeutung des steuerfinanzierten nationalen Gesundheitsdienstes durch US-Pharmafirmen? Ebenfalls keine Unterhausmehrheit gibt es trotz aller starken Worte der Brexit-Fanatiker für England als Offshore-Steueroase mit Niedriglöhnen, Deregulierung und ohne Umweltschutzklauseln. Aber der Artikel 50 legt fest, dass die Briten am 29. März austreten - möglicherweise ohne Deal. Auf Zeit spielen bringt der Insel nichts.

Da die Konservativen nichts von Neuwahlen halten, bei denen ihre zerstrittene Partei schlechte Chancen hätte, gibt es aber nur ein Mittel, um ein Hineinschliddern in den harten Brexit zu verhindern: Eine zweite Volksabstimmung. Noch ziert sich Labour-Chef Jeremy Corbyn dagegen, aber hier gilt ausnahmsweise das Thatcher-Wort: Dazu gibt es keine Alternative.

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