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Es geht auch ohne Männer
Der ASJ Soyaux ist der einzige reine Frauenverein in Frankreichs Spitzenfußball. Ohne große Sponsoren ist die Arbeit schwerer, das macht den Verein dafür sehr familiär.
Wer von Paris nach Angoulême fahren will, muss Geduld haben. Mit dem Zug braucht man etwa dreieinhalb Stunden. Am Bahnhof wird der Besucher dann von einem Denkmal für René Goscinny begrüßt. Der Erfinder von Astérix erinnert daran, dass Angoulême immer im Januar zur Welthauptstadt des Comics wird. Dann gastiert das Festival International de la Bande Dessinée in der größten Stadt des Charente-Départements. In den anderen elf Monaten des Jahres ist der Ort wieder ein ruhiges charmantes Provinzstädtchen.
Sportlich stehen die Menschen hier vor allem auf Rugby. Im Südwesten Frankreichs ist der ovale Ball sehr populär. Der ortsansässige Klub spielt in der zweiten Liga. Um dagegen ein Spiel mit dem runden Leder zu sehen, muss man noch mal zehn Minuten fahren, nach Soyaux. Hier spielt die Association Sportive Jeunesse (ASJ) Soyaux-Charente. Ein Monument des französischen Fußballs. Pardon: Frauenfußballs.
Claude Fort empfängt in der Waschküche des heimischen Léo-Lagrange-Stadions: »Tut mir leid, wir haben nicht viel Platz, aber zumindest können wir hier in Ruhe reden.« Der 68-jährige Vizepräsident des ASJ gilt als Klublegende. »Leghende, wer hat denn das gesagt? Das ist kein gutes Zeichen, denn das heißt, dass ich kurz vor dem Ende stehe«, lacht er demütig. Doch auch er weiß: Wer etwas über den einzigen Frauenverein in Frankreichs Spitzenfußball erfahren will, der nicht mit einem Männerklub verbunden ist, muss mit Claude Fort reden.
1968 war der Mann mit dem weißen Bart schon vor Ort, als Frauen hier zum ersten Mal kickten. »Das Gründungsjahr ist kein Zufall. Es hat natürlich mit Feminismus zu tun! Damals war das Team Teil des AS Soyaux, wo auch Männer spielten. Die Frauen wollten ihre eigene Mannschaft und reguläre Trainingseinheiten. Sie wollten ernst genommen werden und nicht nur ein Spektakel sein.«
Spektakel? Das Wort ist nicht zu stark gewählt. In den 60ern waren Fußballerinnen eine Attraktion auf Jahrmärkten. »Wir liefen hinter den Majoretten!«, empört sich die Präsidentin Martine Ferré noch heute, die selbst in jener ersten Mannschaft der Klubgeschichte spielte. »Ich erspare Ihnen mal, was wir von den Zuschauern so zu hören bekamen. Wir mussten einen kühlen Kopf bewahren.« Die Lust am Fußball war stärker als die Schimpfwörter, und die Sektion wurde jedes Jahr größer. 1971 wird Frauenfußball offiziell vom französischen Verband anerkannt. »In dem Jahr haben wir vor 2000 Zuschauern gespielt. Da bekamen sie Angst, dass wir einen eigenen Verband gründen«, erinnert sich Fort.
Seit damals dürfen die Frauen von Soyaux an nationalen Wettbewerben teilnehmen. 1980 werden sie Vizemeisterinnen. Dennoch entscheidet der Vereinsvorsitzende zwei Jahre danach, die Frauenmannschaft vom AS Soyaux herauszulösen, um die Männer-Junioren stärker zu fördern. »Wir haben sofort einen neuen Verein gegründet: der ASJ Soyaux«, sagt Claude. »J steht für Jeunesse (deutsch: Jugend, Anm. d. Red.).« Das erste Jahrzehnt sei nicht einfach gewesen. Man teilte sich noch die Anlage mit dem AS Soyaux. »Wir mussten sogar Wache schieben, damit die Jungs nicht auf unserem Feld trainierten«, erinnert sich Fort.
Seit 1982 ist der Verein also hundertprozentig feminin. 1984 erreicht er seinen größten Erfolg: französischer Meister. »Das war nicht mal unsere beste Saison!«, meint Fort, der damals Trainer war. »In der Winterpause hatten wir intern viel Streit. Im März wurde unsere beste Torjägerin schwanger. Es war also nicht die beste Mannschaft, die wir je hatten.« Egal. Vor 600 Menschen gewinnt Soyaux das Endspiel 1:0 gegen die Favoriten aus Saint-Maur - auch ein Vorort, allerdings von Paris. Gespielt wurde damals noch in dem kleinen Dorf Sully-sur-Loire, in der Nähe von Orléans. Anders gesagt: am Arsch der Welt.
Heute zählt Frankreich 6000 Frauenmannschaften, in denen 130 000 Spielerinnen kicken. Es werden ständig mehr. Allein seit 2011 steigerte sich ihre Zahl um 100 Prozent. »Das erstaunt mich nicht«, sagt Trainer Sébastien Joseph. »Es begann 2010 mit dem WM-Fiasko der Männernationalelf in Südafrika. Der Verband wollte sein Image aufpolieren und hat mehr in die Frauen investiert. Heute werden alle Spiele live im Pay-TV übertragen, das macht für uns einen großen Unterschied, nicht nur finanziell.«
Eine andere Konsequenz der neuen Popularität ist die Professionalisierung. Für den ASJ Soyaux ist das neu. »Letztes Jahr hatten nur zwei von uns einen Profivertrag. Heute haben nur noch zwei einen anderen Beruf neben dem Fußball«, sagt Spielführerin Siga Tandia. »Ich selbst war früher Krankenpflegerin. Das wurde aber zu hart. Manchmal fing ich um 6.30 Uhr an, manchmal endete die Schicht erst 21.15 Uhr. Dazu jedes zweite Wochenende Bereitschaftsdienst. Wann sollte ich da trainieren?«, fragt die 30-jährige Mutter.
Laut Präsidentin Martine Ferré könne das Team in der »Division 1 Féminine« nur noch mit Profis überleben: »Die Situation ist ganz einfach: Sind wir nicht professionell, steigen wir ab.« Zu Beginn der Rückrunde liegt Soyaux auf Rang neun, drei Punkte vor der Abstiegszone. »Unser Budget liegt bei 700 000 Euro. Mit einer Million wäre es optimal, aber wir müssen allein Sponsoren suchen«, sagt Ferré. »Unsere Gegnerinnen sind dagegen alle mit Männerklubs verbunden.« Liegt also die Lösung in einer Fusion? Diese Option stehe nicht zur Disposition, antworten alle hier. Die Unabhängigkeit stehe über allem. »Wenn man fusioniert, sollten beide Teile profitieren. Aber die anderen Klubs der Region sind Amateurvereine. Welches Interesse hätten wir an so einer Operation?«, sagt Klubsprecher Afif Sfar. Wie viele andere arbeitet er freiwillig hier. Sie alle wollen am Erfolg des Projekts teilhaben. Denn laut Martine Ferré sind die Fußballerinnen Botschafterinnen der Stadt. »Wenn Sie Franzosen fragen, was sie mit Soyaux verbinden, werden die meisten antworten: Frauenfußball.«
An einem dunstigen Sonnabendmorgen am Rande des Stade Léo Lagrange, sind vor dem nächsten Ligaspiel tatsächlich viele Freiwillige aktiv. Die einen an der Imbissstube, die anderen beim Kartenverkauf. Alles läuft, nur die Präsidentin ist unruhig: »Es gibt Blockaden am Rande der Stadt. Die Gelbwesten lassen niemanden durch. Ich habe die Polizei gefragt, ob sie den Bus der Gegnerinnen aus Guingamp eskortieren kann.« Eineinhalb Stunden später kommen die Bretoninnen schließlich an, und Klubsprecher Sfar staunt mal wieder: »Sehen Sie, wie professionell die aussehen - durch das Geld der Männer! So einen Bus haben wir nicht. Unsere Auswärtsreisen machen wir mit dem Zug oder mit Kleinbussen.« Laut Martine Ferré soll das aber nicht so bleiben: »In Angoulême gibt es eine Armeekaserne. Von dort wird uns bald ein Bus zur Verfügung gestellt und sogar ein Chauffeur, wenn die Reise zu lang ist. Dass Zivile ein Fahrzeug der Armee bekommen, ist einzigartig in Frankreich!«
Diese bessere Zukunft gibt es aber nur, wenn Soyaux die Klasse hält. »Die großen Nummern sind Olympique Lyon und Paris Saint-Germain. Aber auch Montpellier oder Paris FC sind starke Konkurrenten geworden. Nicht absteigen ist also schon ein Sieg für uns«, sagt Trainer Sébastien Joseph.
Das Spiel gegen Guingamp beginnt schlecht. Nach vier Minuten liegt Soyaux 0:1 zurück. Aber dank Stürmerin Anna Clérac gelingt der Ausgleich noch vor der Pause. Auf der Tribüne jubeln 300 Zuschauer. »Das sind leider nicht so viele heute. Aber bei den Gelbwesten und dem schlechten Wetter ist es schwer, die Leute zu motivieren«, sagt Sfar. Das Ergebnis ändert sich auch nach 90 Minuten nicht mehr. »Wir geben zu viele Punkte ab, das nervt«, ärgert sich Trainer Joseph. Seine Spielerinnen bleiben auf Tabellenplatz neun. Der Kampf geht also weiter.
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