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Leuchtendes Gedenken

Am 19. Dezember wird zum zweiten Mal an die Opfer des Anschlages auf den Breitscheidplatz in Berlin erinnert - die Aufklärung der Terrorattacke beschäftigt die Parlamente bis heute.

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 5 Min.

Auf der schmalen, aus einer goldhaltigen Legierung gegossenen Linie vor der Gedächtniskirche am Berliner Breitscheidplatz balanciert ein Kind. Der symbolische Riss, 17 Meter lang, ist Teil der Gedenkstätte für die zwölf Menschen, die an dieser Stelle am 19. Dezember 2016 dem islamistischen Terror zum Opfer fielen. Eine ähnlich lange Strecke raste der Attentäter mit einem geklauten Lkw durch die Buden des Weihnachtsmarkts. Der Riss steht symbolisch für das Aus-dem-Leben-gerissen-Werden und für die Spaltung der Gesellschaft, deren Offenheit ebenfalls das Ziel des Attentäters war.

Dass diese gesellschaftliche Wunde in Berlin bis heute nicht verheilt ist, zeigten nicht zuletzt die schrecklichen Ereignisse dieser Woche in Straßburg, wo ebenfalls ein Weihnachtsmarkt angegriffen wurde. »Berlin hat sich bewusst entschlossen, trotz dieser menschenverachtenden Gewalttat an seiner freiheitlichen, toleranten und weltoffenen Lebensweise festzuhalten«, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). Berlin wünscht auch Straßburg diese Kraft, so Müller. Wie präsent der Anschlag auch zwei Jahre danach noch ist, zeigt sich auf dem Breitscheidplatz. Immer wieder bleiben Weihnachtsmarktbesucher an der Gedenkstätte mit ihren Grablichtern, Blumen und den eingravierten Namen der Opfer stehen. »Das war schrecklich, einfach grauenhaft«, sagt eine Frau zu ihrer Begleiterin.

»Jeden Tag fragen die Leute«, sagt der Verkäufer am Grünkohlstand gegenüber der Gedenkstätte. »So etwas brauchen wir nicht wieder, einmal reicht.« Gemeint ist die feige Attacke. Gerade bei den Budenbetreibern hat der Anschlag Traumata ausgelöst. Um den Besuchern und Beschäftigten des Weihnachtsmarkts ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, erprobt Berlin derzeit am Breitscheidplatz ein neues Konzept. An allen Zufahrten stehen Sperrmittel: rot-weiß gestreifte Schwerlastpoller und Stahlsockel mit Beton verstärkt. Die Längsseiten des Marktes sind mit Stahlgitterwänden gesichert, die mit Sandsäcken gefüllt sind. Die Polizei ist am Eingang zum Weihnachtsmarkt darüber hinaus mit einem »Infomobil« vertreten. Zusätzlich patrouilliert private Security.

Zum zweiten Jahrestag am 19. Dezember soll es erneut ein Gedenken an die zwölf Opfer und die nahezu hundert Menschen geben, die seinerzeit bei dem Attentat verletzt wurden. Die Veranstaltung wird gemeinsam vom Berliner Senat und dem Schaustellerverband organisiert. Am Morgen will der Regierende Bürgermeister Michael Müller am Ort des Anschlags einen Kranz niederlegen. Außerdem sollen an der Gedenkstätte zusätzliche Feuerschalen und Kerzen aufgestellt werden, damit es ein leuchtendes Gedenken wird. Gegen 18 Uhr ist auch wie im Vorjahr eine Abendandacht in der Gedächtniskirche vorgesehen. »Über den Tag gibt es auch die Möglichkeit für Angehörige der Opfer, eine professionelle Beratung zu bekommen«, sagt die Sprecherin des Senats.

Der Bundesbeauftragte für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf den Breitscheidplatz, Kurt Beck, hatte die Metropole Berlin vor einem Jahr in seinem Abschlussbericht gelobt. Insbesondere die nach dem Anschlag in der Hauptstadt eingerichtete Anlaufstelle für Opfer und Betroffene von Terroranschlägen und sogenannten Großschadensereignissen sei »beispielhaft«. Insgesamt, so wurde am Freitag bekannt, erhalten die Angehörigen 3,8 Millionen Euro an Entschädigungen.

Doch nicht nur die Unterstützung für Betroffene und die Sicherheitsvorkehrungen sind seit dem Anschlag verbessert worden. So unterstützt das Land Berlin inzwischen erstmals auch die Notfallseelsorge der Kirchen finanziell. Für den Fall der Fälle wurden außerdem Berliner Kliniken mit speziellen Notfallsets zur Behandlung von Unfall- und Terroranschlagsopfern ausgestattet. Darin sind laut des Universitätsklinikums Charité alle nötigen Geräte enthalten, die für Operationen bei Mehrfachverletzungen enthalten sind. Insgesamt 28 Krankenhäuser werden bis 2019 mit dem neuen Equipment ausgestattet.

Neben der Verarbeitung von Traumata und Spätfolgen des Attentates läuft auch die Aufklärung der Hintergründe des islamistischen Anschlags weiter. Mehrere Untersuchungsausschüsse auf Landesebene und einer im Bundestag versuchen, die Attacke des tunesischen Islamisten Anis Amri aufzuklären, der nach dem Attentat auf der Flucht in Italien erschossen wurde. Zuletzt war bekannt geworden, dass Amri im Sommer 2016 auch einen Sprengstoffanschlag vorbereitet haben soll. Wie zäh die Aufklärung dennoch teils läuft, zeigt sich exemplarisch an einem Freitag Anfang Dezember im Berliner Abgeordnetenhaus. In Raum 113 wird an diesem Tag stundenlang Frank Henkel im Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz angehört. Der CDU-Politiker war bis wenige Tage vor dem Lkw-Angriff Innensenator in der Hauptstadt - und damit für die Sicherheit der Metropole verantwortlich. Als Erstes drückt Henkel kurz sein Mitgefühl aus. »Ich bitte Sie um Verzeihung«, sagt er in Richtung der anwesenden Angehörigen. Zur Frage, wie es geschehen konnte, dass ein islamistischer »Gefährder«, der den Behörden von Polizei und Verfassungsschutz gut bekannt war, in der Lage war, das Attentat in Berlin durchzuführen, sagt Henkel nur: »Zum Fall Anis Amri kann ich zu meinem Bedauern nichts beitragen.«

Eigentlich kann sich Henkel an fast gar nichts zurückbesinnen, was die islamistischen Gefährder angeht, die doch angeblich nach den Attacken von Paris und Nizza die Hauptgefahr darstellten. Und die in seinen wöchentlichen Mittwochsrunden mit den Beamten seiner Behörden häufig Thema waren. Auch auf die Nachfragen der Abgeordneten geht dem »Senator a.d.« kein Licht auf. Stattdessen bricht er eine »Lanze« für die Behörden. Außerdem lobt sich Henkel für seine Anti-Terror-Pakete. Er klagt wortreich über den Personalmangel, der eine Vollzeitüberwachung der »Gefährder«, von denen es damals zwischen 60 und 70 gab, unmöglich gemacht habe. Eigene Fehler? Fehlanzeige. Angaben zu den V-Leuten im Umfeld Amris? Dazu sage er nichts im öffentlichen Teil. Und überhaupt: Nicht umsonst habe es Behördenleiter gegeben, betont der Ex-Senator.

An einer Stelle muss aber auch Henkel einräumen, wie falsch er und die Behörden lagen. Denn seinerzeit galt: »Wer so etwas tut - Alkohol, Drogen, Frauen -, der gehört nicht dazu«, sagt Henkel - und meint einen islamistischen Stereotyp. Eine Fehleinschätzung, durch die Amri vom Radar der Behörden verschwand, und der das Attentat erst ermöglichte, wie man heute weiß.

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