Die besorgten Dörfler und ich

Strukturelle Defizite begünstigen rechtes Gedankengut auch in westdeutschen Gemeinden

  • Alexander Birkel
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich lebe in einem Dorf in Rheinland-Pfalz mit 2088 Einwohnern. Nach der letzten Landtagswahl, die 2016 stattfand, war ich ehrlich gesagt erschrocken: Die Alternative für Deutschland (AfD) hatte auch hier einige Stimmen geholt. Vor ein paar Monaten dann der nächste Schock: Mitglieder der rechtsextremen Identitären Bewegung hatten, völlig unbehelligt, Plakate bei uns aufgehängt.

Ich lebe gerne auf dem Dorf. Und weil mir nicht egal ist, was hier passiert, beschäftigen mich folgende Fragen: Woher kommen die Sympathien für rechtes Gedankengut? Und welche Ursachen könnten die Abneigung gegenüber Flüchtlingen und offenkundiger Fremdenhass haben? Denn die Region, in der ich lebe, ist keineswegs ein Einzelfall. In anderen ländlichen Gegenden besteht das gleiche Problem, besonders in Teilen Sachsens, Brandenburgs, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommerns.

Die erste Erklärung ist meines Erachtens offensichtlich: Flüchtlinge wurden und werden hauptsächlich in Städten und nicht in Dörfern untergebracht. Dies bedeutet natürlich, dass die Menschen in den Dörfern kaum oder gar nicht mit Flüchtlingen in Berührung kommen. Der Grund dafür ist relativ schnell ausgemacht: In den Städten haben die unterschiedlichsten Ämter ihre Dienststellen, es gibt dort mehr Arbeitsplätze für Geflüchtete und ein besseres Integrationsangebot durch beispielsweise Volkshochschulen, Sprachschulen, Kitas und Begegnungscafés. Zu dem Problem der mangelnden Begegnungsmöglichkeiten kommen fest verwurzelte und zum Teil auch von älteren Generationen übernommene Vorurteile. Beispielsweise, dass viele Flüchtlinge unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Deutschland gekommen seien, um es sich hier gut gehen zu lassen.

Viele, auch in meinem Dorf, befürchten zudem, dass eine zu hohe Anzahl an Flüchtlingen negative Folgen für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland haben könnte, sie sorgen sich um den Verlust oder fürchten zumindest eine Schwächung des Sozialstaates und damit einhergehend negative Konsequenzen für einheimische Bedürftige wie Obdachlose, Arbeitslose und Bürger mit niedrigem Einkommen. Sowohl diese Angst als auch die Tatsache, dass so wenige Geflüchtete auf dem Dorf untergebracht werden, hat etwas zu tun mit der mangelnden Infrastruktur ländlicher Gegenden. Das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln ist größtenteils unzureichend, es mangelt an Fachärzten, Betreuungsangeboten für Kleinkinder und ältere Menschen, Einkaufsmöglichkeiten und Arbeitsplätzen. Deshalb suchen ja auch viele junge und gut ausgebildete Menschen ihr Glück in den Städten.

Gleichzeitig kämpfen viele kleine Gemeinden mit Schulden und den sich daraus ergebenden Verlust kommunaler Souveränität. Rechte Gruppierungen und Parteien haben in den Dörfern mit den größten Schwierigkeiten das leichteste Spiel. Sie beanspruchen die Lösung der sozialen Frage für sich, inszenieren sich als Retter und Rächer der kleinen Leute und schieben die Schuld den - meist gar nicht anwesenden - Flüchtlingen in die Schuhe. Die Politik muss auf diese Missstände reagieren, klar. Aber eben so wichtig ist es, dass Menschen vor Ort dagegen halten. Ich versuche dies. Denn wenn alle Linken und Antirassisten in die Städte ziehen, bleibt mehr Platz für die Rechten.

Es ist auch ein Kampf um Hegemonie. In Ostdeutschland sind – ebenso wie in ländlichen Regionen im Westen – rechte Parteien und Gruppierungen unübersehbar. Überall gibt es aber auch Menschen und Initiativen, die sich gegen die rechte Präsenz wenden und überlegen, was man diesen Tendenzen entgegensetzen kann. Lesen Sie dazu auch in unserem Schwerpunkt:

Mit Spitze gegen den Rechtsruck. Ein alternatives Zentrum in einer sächsischen AfD-Hochburg trotzt dem allgegenwärtigen Rassismus

»Die wollten uns kaputtspielen.« Die AfD kämpfte um Rostock - und ist an einem linken Bündnis gescheitert.

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