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Mit Spitze gegen den Rechtsruck
Ein alternatives Zentrum in einer sächsischen AfD-Hochburg trotzt dem allgegenwärtigen Rassismus
Am Anfang stand das Busfahren. Stundenlang saß der Jugendsozialarbeiter Tobias Burdukat, genannt Pudding, in verschiedenen Stadtbusen und Zügen in der Kleinstadt Grimma in Sachsen. Um zuzuhören: »Man wird älter, verliert den Anschluss an die Jugend«. Aber gute Jugendarbeit muss da ansetzen, wo die Jugendliche stehen, ihnen Angebote machen. Manchmal fing er Gespräche mit Gruppen an, öfter hörte er ihnen einfach zu.
Das Resultat dieser Ergründungen liegt am Stadtrand von Grimma. Dort steht das »Dorf der Jugend«, ein Komplex aus hellen Backsteingebäuden, der sich entlang der Mulde erstreckt. Was einst eine Spitzenfabrik war, ist heute ein alternatives Jugendzentrum. Eine Initiative um Burdukat hat den Komplex vor dem Verfall gerettet. Es gibt einen Skatepark, aus einem bemalten Container werden Kaffee und Kuchen an Spaziergänger verkauft und in einer Veranstaltungshalle finden Konzerte statt. Burdukat sieht das Zentrum vor allem als Engagement gegen rechts. In der sächsischen Kleinstadt ist die AfD stärkste Kraft bei den Bundestagswahlen geworden, auch, weil es der Jugend an Angeboten fehlt.
Dem Rechtsruck in seiner Heimat mit Jugendarbeit entgegenwirken, das liegt dem Sozialarbeiter nicht nur ganz besonders am Herzen, auch auf seinem Mittelfinger findet sich der Name des Projekts. Die schwarzen Buchstaben zieren die linke Faust. Geballt war diese in den letzten Jahren zweifelsfrei öfter. Es muss viel Ausdauer und Einsatz gekostet haben, die Spitzenfabrik vor dem Verfall zu retten. Burdukat ist einer, der auf dem Land geblieben ist. Aus Überzeugung. Aber: Wenn es das »Dorf der Jugend« nicht geben würde, wäre er auch längst weg, erzählt er.
In Grimma gibt es nicht viel Freizeitmöglichkeiten, keine Kneipen, keine Konzerte, keine linke Kultur. Wie wird man unter solchen Umständen eigentlich zu einem Alternativen? Aus Abgrenzung, erzählt Burdukat. Er ist in den neunziger Jahren auf eine Schule voller Nazis gegangen. »Schrei nach Liebe«, ein Lied von der Punkrockband »Die Ärzte«, hat ihm geholfen, die Zeit zu überstehen. »Die haben gesungen, was sich in mir abgespielt hat. Ich war umgeben von Nazis und wollte keiner sein.« Aber je größer die Auflehnung, desto größer der Ärger. »Es gab Stress, egal wo du hingegangen bist«, erzählt er. Im Schulbus fing es an: Eine Stunde Fahrtzeit bedeutete eine Stunde Gefahr. Nach dem Unterricht ging es weiter: Die Nazis lungerten vor der Schule herum, »mit den ganzen hübschen Mädchen«, erinnert sich Burdukat. Die standen mehr auf die kahl rasierten Jungs, schließlich waren die bereits älter und fuhren mit Autos durch die Dörfer. Um dort alternative Jugendliche zu jagen. »Die sind richtig Patrouille gefahren.«
Auf die Dorffeste ist er trotzdem gegangen. Es gab halt nichts anderes. »Ich wusste vorher, später gibt es auf die Schnauze.« Manchmal ist er davongekommen, konnte »flitzen«, öfter hat er nur noch die Hände schützend vors Gesicht gehalten. »Irgendwann hört man einfach auf, wegzulaufen.« Viele von denen, die damals zuschlugen, sieht Burdukat heute noch durch die Straßen seiner Heimat laufen. Die meisten sind »Trauergestalten« geworden, haben zu viele Gefängnisstrafen abgesessen, um die Zukunft zu planen. Sie trinken, um zu vergessen. »Sie sind Beispiele dafür, wie hoch der Preis ist, in der Szene mitzulaufen«, warnt der Sozialarbeiter. Von diesen Leuten geht heute keine Gefahr mehr aus. Viel schlimmer ist, dass sich der Rassismus und Fremdenhass immer weiter unterschwellig in die Mittelschicht hineingefressen hat, meint Burdukat. Das bekommt auch das alternative Zentrum mit seiner Jugendarbeit immer wieder zu spüren.
Ein alter DDR-Dauerbrandofen erwärmt das Büro von Julia Beier. Sie macht ein Freiwilliges Soziales Jahr in der alten Spitzenfabrik, war auch vorher schon an dem Projekt beteiligt. Sie sitzt auf einem Sofa und erzählt von Anfeindungen gegenüber der »Spitze«, wie sie das Projekt nennt. Den Briefkasten hat sie schon einmal mit Beton gefüllt vorgefunden. Auch über die Blumenbeete ist der Baustoff gekippt worden. Erst kürzlich ist ein Video aufgetaucht, eine Rapcrew posierte mit Waffen – wahrscheinlich Imitate – vor der alten Spitzenfabrik. Bedrohlich? »Ich bin ein wenig abgehärtet«, erzählt Beier. Und: »Wenn wir dauern Angst haben, können wir ja gar nichts mehr machen.« Die meisten ihrer Schulkameraden interessieren sich eher für die Identitäre Bewegung als für die alte Spitzenfabrik. Die rechtsradikale Gruppierung besteht zwar nur aus wenigen Mitgliedern, die sich aus der NPD-Jugend, aus radikalen Burschenschaften und sogar aus verbotenen Neonaziorganisation rekrutieren. Durch spektakuläre Aktionen und einer aktiven Präsenz in den sozialen Medien entwickeln sie aber eine große Strahlkraft. Es ist aber nicht nur die Attraktivität der Rechten, auch die Regierung hat einen Anteil an der Misere: »Bildung wird an den Schulen verknappt«, meint Beier. In Geschichte wird der Zweite Weltkrieg nur nebensächlich behandelt, aber auch, dass die Jugendlichen keinen Bezug mehr zum Nationalsozialismus erfahren, »ihre Großeltern ihnen nicht mehr davon berichten können«, wie die Tochter einer polnischen Mutter erzählt, trage zu Landgewinnen der Rechten bei.
Dagegen hilft nur Ausdauer, kontinuierliche Arbeit auf dem Dorf. Das größte Entwicklungspotenzial unserer Gesellschaft liegt in der Jugendarbeit, sagt Beier. Ob sie für immer in Grimma bleiben will, weiß sie noch nicht. »Man müsse schließlich auch einmal rauskommen«, sagt sie, und legt die letzten Kohlen für den Tag in den Ofen.
Es ist auch ein Kampf um Hegemonie. In Ostdeutschland sind – ebenso wie in ländlichen Regionen im Westen – rechte Parteien und Gruppierungen unübersehbar. Überall gibt es aber auch Menschen und Initiativen, die sich gegen die rechte Präsenz wenden und überlegen, was man diesen Tendenzen entgegensetzen kann. Lesen Sie dazu auch in unserem Schwerpunkt:
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