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Mit Eistorte gegen Schlagzeilen
Der Ökonom Peter Bofinger über sein Dasein als Keynesianer unter den »Wirtschaftsweisen«
Haben Sie eigentlich das Gefühl, immer gegen den Strom zu schwimmen?
Welchen Strom meinen Sie?
Peter Bofinger ist seit 2004 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Anfang nächsten Jahres scheidet der Würzburger Ökonom aus diesem auch »Wirtschaftsweise« genannten fünfköpfigen Gremium aus, in dem er häufig eine Gegenposition zur Mehrheitsmeinung einnahm. Mit ihm sprach Simon Poelchau.
Den Mainstream in der Ökonomie.
Auf die Mainstream-Ökonomie trifft das in der Tat zu.
Wie fühlt sich das an?
Ich fühle mich damit eigentlich ganz gut.
Warum?
Weil ich das Gefühl habe, in der Politik zunehmend mit dem Strom zu schwimmen. Viele Sachen, für die ich mich lange eingesetzt habe, wurden mittlerweile umgesetzt und funktionieren ganz gut. Ein Beispiel dafür ist der Mindestlohn, für dessen Einführung ich schon lange war: Da bin ich in der Ökonomie gegen den Strom geschwommen. Vor vier Jahren ist der Mindestlohn endlich eingeführt worden. Nun stellt man fest: Eigentlich ist alles prima gelaufen.
Sie gelten als ausgewiesener Keynesianer. Schwimmt man damit automatisch gegen den neoliberalen Mainstream?
Unter deutschen Ökonomen ist das so. Aber mittlerweile hat sich auch in Europa der Keynesianismus wieder etwas mehr durchgesetzt. Zumindest wurde die extreme Sparpolitik gestoppt, die bis 2012 betrieben wurde. Wenn es nach den meisten deutschen Ökonomen gegangen wäre, hätte man im Euroraum die letzten vier, fünf Jahre noch massiv weiter gespart, und ich würde mal vermuten, der Euroraum würde sehr viel schlechter dastehen.
Auch bezüglich der Anleihenkäufe und historisch niedrigen Zinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) vertreten Sie eine andere Meinung als die meisten Ihrer Kollegen.
Das Thema diskutieren auch meine Kollegen im Sachverständigenrat seit Jahren kritisch. Da sind alle möglichen Risiken an die Wand gemalt worden. Doch bisher war die Politik der EZB genau richtig. Und es gibt auch noch einige andere Beispiele, wie die Industriepolitik, bei denen ich mittlerweile näher an der herrschenden Politik bin als der ökonomische Mainstream.
Diesbezüglich haben Sie vor eineinhalb Jahren mit einem Beitrag in der »FAZ« mit der Überschrift »Mehr Zentralismus wagen!« für einigen Wirbel gesorgt. Darin sprachen Sie sich dafür aus, dass der Staat beim Technologiewandel mehr machen müsse und nicht alles dem Markt überlassen solle.
Das kritisierten damals meine Ökonomenkollegen heftig. Doch mittlerweile sprechen sich sowohl Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier als auch die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer explizit dafür aus, dass man Industriepolitik machen muss.
Ihre Kollegen im Sachverständigenrat warfen Ihnen damals - ebenfalls in der »FAZ« - Unprofessionalität vor. Trifft Sie solche Kritik nicht auch persönlich?
Ich fand ihre Kritik nicht so schlimm. Auch ich habe meine Kollegen immer wieder hart kritisiert. Lediglich einen Satz empfand ich in deren Artikel etwas unglücklich formuliert, aber nicht als kränkend. Sie schrieben: Einem »Profi« solle das nicht passieren. Damit war klar immerhin, dass ich ein Profi bin.
Sie empfanden die Kritik also als Lob?
Jedenfalls hatte ich kein Problem damit. Ich glaube, dass die »FAZ« damals irgendeine Schlagzeile brauchte und die Sache deswegen aufbauschte. Eine andere Zeitung legte noch nach und schrieb, dass angeblich Eiszeit unter den Mitgliedern des Sachverständigenrates herrschen würde. Ich habe daraufhin auf der nächsten Sitzung des Rates zu meinem Geburtstag eine Eistorte ausgegeben.
Sie haben mit Ihren zahlreichen Sondervoten zum Jahresgutachten des Sachverständigenrats immer wieder eine abweichende Meinung zu Ihren Kollegen in dem Gremium öffentlich artikuliert. Haben Sie mal Ihre Sondervoten gezählt?
Leider nicht, aber es sind viele. Trotzdem hatte ich eine sehr gute Zusammenarbeit mit meinen Kollegen. Wir haben es immer geschafft, unsere inhaltlichen Konflikte auszutragen, ohne persönlich zu werden. In den ganzen Jahren haben wir ein sehr gutes persönliches Verhältnis gehabt. Ich werde den Kontakt zu den übrigen Mitgliedern im Rat bestimmt vermissen.
Hatten Sie nicht manchmal das Gefühl, mit Ihren Sondervoten danebenzuliegen, wenn alle Ihre Kollegen im Sachverständigenrat eine andere Meinung vertraten?
Eigentlich habe ich ein ganz gutes Selbstvertrauen. Das kommt vielleicht ein bisschen daher, dass ich mit meinen Einschätzungen meist relativ richtig gelegen habe. Entscheidend dafür war die Diskussion zwischen 2003 und 2004, als alle sagten, mit Deutschland gehe es den Bach runter. Ich habe damals das Buch »Wir sind besser als wir glauben« geschrieben, um gegen Meinungen wie die des damaligen ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn anzukämpfen, dass Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig und der »kranke Mann« Europas sei.
Geirrt haben Sie sich nie?
Wo auch ich falsch lag, war die Einschätzung bezüglich der Folgen der Finanzkrise. Dass es zu einer Abschwächung der Konjunktur kommen würde, war abzusehen. Dass der Einbruch 2009 so stark sein würde, sah ich aber nicht kommen. Auch nicht, dass sich die deutsche Wirtschaft wieder so schnell erholen würde.
Wenn Sie sagen, dass Sie in der Politik zunehmend mit dem Strom schwimmen, gibt es da nicht auch Anliegen von Ihnen, die sich noch nicht durchgesetzt haben?
Wo ich mich überhaupt nicht durchsetzen konnte, ist die Forderung nach einer Abkehr von der Schwarzen Null. Diese Ideologie hat jetzt schon zu massiven Schäden in Deutschland geführt. Das fängt bei der Bahn an und geht über die Finanzierung der Krankenhäuser bis zum Wohnungsbau, wo der öffentlichen Hand jetzt Tausende Wohnungen fehlen, weil diese in den 2000er Jahren quasi zum Schnäppchenpreis an private Investoren verkauft wurden.
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