Ausnahmen bleiben die Regel

Die Debatten um weniger Pestizideinsatz haben auch 2018 Bienen und anderen Insekten in Europa kaum geholfen

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 5 Min.

Selten wurde in Deutschland so vehement über ein landwirtschaftliches Thema gestritten wie über Glyphosat. Bäuer*innen sahen sich von der Kritik an dem Totalherbizid verunglimpft, die Regierungskoalition zeigte sich uneinig, Millionen Verbraucher*innen forderten ein Verbot des Einsatzes in Privatgärten, Parkanlagen und in der Landwirtschaft.

Mit wissenschaftlichen Gutachten wurde hin und her argumentiert: Für den weiteren Einsatz sprach sich vor allem das in der EU für die Bewertung zuständige Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) aus. Während die WHO-Krebsforschungsagentur das Mittel als »wahrscheinlich krebserregend« einstufte, weist das BfR dies bis heute zurück. In dem 2015 begonnenen Streit blieb am Ende ein fahler Kompromiss: Die Zulassung in der EU wurde bis 2023 verlängert - immerhin mit der Möglichkeit, national den Einsatz einzuschränken oder zu verbieten.

Deutschland setzte sich bis zum Schluss für eine Verlängerung der Zulassung ein, der damalige Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) riskierte gar einen handfesten Koalitionsstreit mit Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). »Die Verlängerung der Zulassung durch den Alleingang von Ex-Landwirtschaftsminister Schmidt in Brüssel wirft ihre langen Schatten. Trotz Ansage der aktuellen Ministerin Julia Klöckner brummt das Geschäft mit bienenschädlichen Wirkstoffen weiter«, kritisiert Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion.

In Deutschland haben laut dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) von 108 zugelassenen glyphosathaltigen Mitteln 33 eine Genehmigung, die über das Jahresende hinausgeht. Mitte Dezember verkündete das BVL, die Verlängerung betrage ein Jahr. »Das bedeutet, dass alle glyphosathaltigen Pestizide ohne die vorgeschriebene erneute Überprüfung ein weiteres Jahr uneingeschränkt eingesetzt werden dürfen«, kritisiert Harald Ebner, Bundestagsabgeordneter der Grünen.

Anders als die deutsche Regierung wollte Frankreich Glyphosat sofort verbieten. Doch die Regierung von Emmanuel Macron musste wegen Bauernprotesten zurückrudern. Jetzt ist der Ausstieg für 2021 geplant. Der größte Bauernverband FNSEA schloss sich trotzdem kürzlich den Protesten der Gelbwesten an. Dessen Vorsitzende Christiane Lambert beklagte ein »Bauern-Bashing« durch die Regierung. Die Landwirte fühlten sich durch das geplante Glyphosat-Aus »gedemütigt«.

Entscheidend ist die Frage: Wie gefährlich ist Glyphosat für den Menschen? Bayer bleibt dabei: Herbizide auf der Basis dieses Wirkstoffs würden »weltweit seit mehr als vier Jahrzehnten sicher und erfolgreich angewendet«. Dennoch wurde im Oktober die Konzerntochter Monsanto in einem ersten Prozess in den USA zu hohen Strafzahlungen verurteilt. Dies wurde später etwas reduziert, der Schuldspruch blieb aber bestehen. Bayer hatte den US-Saatgutriesen im Sommer für rund 54 Milliarden Euro übernommen - ebenso wie 9300 anhängige Klagen gegen Monsanto.

Laut Bayer gibt es indes 37 Klagen gegen die Konkurrenten BASF, Monsanto und DuPont wegen wegen Ernteausfällen durch das Herbizid Dicamba. Betroffene Landwirte in den USA werfen den Pestizidherstellern vor, das als besonders flüchtig geltende Mittel lasse ihre Ernten verdorren. Trotz Warnungen hätten die Unternehmen es immer weiter vermarktet - als Alternative zu Glyphosat, gegen das immer mehr Pflanzen resistent sind. Zugelassen ist Dicamba auch in Deutschland. Laut BVL ist der Wirkstoff in rund 140 Unkrautvernichtungsmitteln enthalten.

Das Frühjahr 2018 brachte indes auch Verbote: Mit knapper Mehrheit stimmten dafür die EU-Staaten bei den als bienenschädlich eingestuften Wirkstoffen Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. Insektizide mit diesen Neonikotinoiden dürfen nicht mehr im Freiland eingesetzt werden. »Ein lang erkämpfter Teilerfolg«, meint Ebner. In diesem Fall setzte sich auch Landwirtschaftsministerin Klöckner für ein Verbot ein. Die CDU-Politikerin sprach von einem »guten Tag für den Schutz der Bienen in Deutschland und in Europa«. Kürzlich jedoch schien diese Einigkeit wieder zu wackeln: So wollen Deutschland, Tschechien, Ungarn und Polen den Weg für den Einsatz auf dem Rübenacker wieder frei machen.

»Krass«, nennt das der agrarpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Martin Häusling. »Kaum hat die EU in einem mühsamen Prozess die drei für Bienen und andere nützliche Insekten gefährlichsten Neonikotinoide im Freiland verboten, da drängt die Bauernlobby ihre Minister zu Ausnahmen. Julia Klöckner spielt natürlich mit.« Dabei liege kein Notfall vor. Laut Häusling geht es darum, »den letzten zusätzlichen Doppelzentner vom Acker zu kitzeln«.

Für seinen Parteikollegen Ebner ist die gute Nachricht ist, dass das öffentliche Problembewusstsein im Lauf des Jahres weiter deutlich zugenommen habe. So hätten mehrere Kommunen den Einsatz von Glyphosat in Parks und an Straßenrändern verboten. Aber, so Ebner: »Wir müssen zusammen mit der Zivilgesellschaft noch sehr viel mehr Wirbel machen.«

Ein Lichtblick könnte die stärkere Transparenz bei künftigen EU-Zulassungen von Pestiziden, Gentechnik und Zusatzstoffen in Lebensmitteln sein. Mitte Dezember stimmte das EU-Parlament einem Vorschlag eines nach massiven Protesten eingerichteten Sonderausschusses zu. Straßburg will, dass sich die EU bei Zulassungsverfahren weniger auf die Angaben der Hersteller verlassen soll. Zudem sollen die Risiken von Glyphosat neu untersucht werden. Kommission und Parlament müssen sich in diesen Frage aber erst auf neue Regeln einigen. Das kann dauern.

Ein Systemwechsel ist auch davon nicht zu erwarten. Für Kirsten Tackmann fällt deshalb das Fazit für 2018 »düster« aus. »Das Sterben der Insekten ist ein Symptom eines kranken Systems, das auf Kosten von Mensch und Natur funktioniert.«

Berichtigung

Im Artikel »Ausnahmen bleiben die Regel« (Ausgabe vom 26.12.2018) heißt es im Zusammenhang mit drei bienengiftigen und verbotenen Neonikotinoiden, die Bundesregierung wolle über Notfallzulassungen »den Weg für den Einsatz auf dem Rübenacker wieder frei machen«. Das ist sachlich nicht korrekt. Wie das Bundeslandwirtschaftsministerium mitteilte, »wird es in Deutschland keine sogenannten Notfallzulassungen auf Grundlage des EU-Pflanzenschutzrechts für Neonikotinoide mit den Wirkstoffen Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam geben.« Wir entschuldigen uns für den Fehler und freuen uns für die Bienen. had
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