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Gibt es Antisemitismus bei den »Gelbwesten«-Protesten?

Jüdische Organisationen fordern Aufklärung / Zahl der Demonstranten in Frankreich geht weiter zurück / Übergiffe auf zwei Journalistinnen gemeldet

  • Lesedauer: 4 Min.

Paris. Nach einem antisemitischen Vorfall in der Pariser Metro und Gewalttätigkeiten bei »Gelbwesten«-Protesten fordert der Dachverband der jüdischen Organisationen in Frankreich (CRIF) Aufklärung. Der Verband sei »bestürzt« über die Vorfälle unter den »Gelben Westen« am vergangenen Wochenende, hieß es. Nun erwarte man die Ergebnisse behördlicher Untersuchungen ab. Auch der französische Regierungschef Édouard Philippe warnt vor einer Radikalisierung der Bewegung.

Der Verband bezog sich unter anderem auf den Vorfall in der Pariser Metro vom Samstag. Nach Darstellung der Tageszeitung »Le Monde« (vom Dienstag) fielen dort drei Männer in gelben Westen mit dem sogenannten Quenelle-Gruß auf, der - linke Hand auf dem durchgestreckten rechten Arm - an den Hitlergruß erinnert.

Eine ältere Frau, die gesagt habe, sie sei Jüdin, sei von den Männern daraufhin beschimpft worden, berichtete die Zeitung unter Berufung auf den Journalisten und Augenzeugen Thibaut Chevillard. Der Verband äußerte sich nicht im Detail zu dem Vorfall, veröffentlichte aber Medienberichte dazu auf seiner Webseite.

Der Journalist Chevillard hatte den Vorfall am Samstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter geteilt. »Ich bin es nicht gewohnt, über mein Privatleben auf Twitter zu sprechen. Aber ich war so schockiert von dem, was ich heute Abend auf der Linie 4 der U-Bahn erlebt habe, dass ich das Bedürfnis verspüre, hier darüber zu sprechen«, schrieb er.

Der französische Historiker Vincent Duclert schrieb in einem Gastbeitrag für »Le Monde«: »Seit den ersten Dezembertagen erreichen mich Informationen über störende antisemitische Szenen am Rande der 'Gelben Westen'«. Insgesamt sei die Toleranz Frankreichs gegenüber Demonstrationen des antijüdischen Hasses hoch.

Der CRIF verurteilte auch den Angriff auf Polizisten am Rande der »Gelbwesten«-Demonstration in Paris vom vergangenen Samstag. Der Fernsehsender BFMTV hatte berichtet, dass drei Motorrad-Polizisten auf den Champs-Élysées brutal angegriffen wurden, einer der Beamten zog dabei auch kurzzeitig seine Waffe. Die Kriminalpolizei ermittelt laut Staatsanwaltschaft in dieser Sache.

Premierminister Philippe beklagte mit Hinweis auf die »Gelbwesten«-Bewegung eine »Radikalisierung mit großer Gewalttätigkeit«. Er hatte am Montag in der Pariser Polizeipräfektur mehrere Ordnungshüter besucht, die von Demonstranten angegriffen worden waren.

Polizei nimmt erneut Hunderte Demonstrierende fest

Am Freitag und Samstag hatten wieder Zehntausende Menschen gegen Präsident Emmanuel Macron und die Regierungspolitik demonstriert. Es waren aber nach Regierungsangaben deutlich weniger Menschen unterwegs gewesen als an den Wochenenden davor. Die »Gelbwesten« protestieren seit November gegen Präsident Emmanuel Macron und die Regierungspolitik. Am vergangenen Wochenende waren in Frankreich knapp 40.000 Menschen auf die Straße gegangen. Die Polizei nahm landesweit 220 Menschen fest, davon allein 142 in der Hauptstadt. 19 von ihnen kamen in Gewahrsam, darunter auch einer der Wortführer der Bewegung, Eric Drouet.

Journalisten offenbar attackiert

In Angoulême enthaupteten Demonstranten am Freitagabend symbolisch eine Macron-Puppe. An der französisch-katalanischen Grenze, wo sich auch Aktivisten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung an den Aktionen beteiligten, wurden zwei Journalistinnen des Senders France 2 nach eigenen Angaben von »Gelbwesten« bedroht, eingekesselt und geschlagen. Einer der Demonstranten hätte ihnen jedoch geholfen, unter einer »Flut von Beleidigungen« zu entkommen, berichtete eine von ihnen, Anne Domy, der Nachrichtenagentur AFP.

In Perpignan im Süden des Land starb unterdessen ein Autofahrer, als sein Wagen in der Nacht zum Samstag mit einem an einer Straßensperre stehenden Lastwagen kollidierte. Es war das zehnte Todesopfer am Rande der Proteste seit Beginn der Demonstrationen am 17. November.

Trotz Rückgangs der »Gelbwesten«-Proteste in Frankreich vor Weihnachten haben dutzende Demonstranten der Bewegung auch an den Feiertagen auf Straßen im ganzen Land ausgeharrt. »Je mehr er uns erdrückt, desto mehr Leute werden hier sein, umso mehr miteinander vereint«, sagte der Demonstrant Christophe Damiens, der sich mit anderen Protestteilnehmern an einem Kreisverkehr im nordfranzösischen Somain versammelte, mit Blick auf Präsident Macron. »Das, was uns alle zusammenbringt, ist, dass wir es satt haben zu kämpfen«, sagte der 38-jährige Alexandre, der gemeinsam mit Frau und Kindern an der Protestaktion in Somain teilnahm.

Macron rief am Sonntag erneut zur Ruhe und Einigkeit auf. Das Land müsse sich jetzt ernsthaft den gemeinsamen Problemen widmen und die Spaltung überwinden, sagte der französische Präsident während seines Tschad-Besuchs dem Sender BFMTV. Gleichzeitig forderte er eine Bestrafung der für die Ausschreitungen Verantwortlichen. Agenturen/nd

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