Ein Komiker wird für Poroschenko gefährlich

Der Star der Fernsehserie »Diener des Volkes« mischt den ukrainischen Wahlkampf auf

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Normalerweise schläft die ukrainische Politik zwischen den Jahren komplett ein, doch diesmal ist im politischen Kiew alles anders. Zum einen ging das Ende November in zehn Regionen des Landes wegen des Vorfalls vor der Straße von Kertsch ausgerufene 30-tägige Kriegsrecht am 26. Dezember zu Ende. Eigentlich hat dieses am Leben der betroffenen Regionen in der Praxis kaum etwas verändert, doch der Kriegszustand als Debattenthema war von Anfang bis Ende groß. Und lediglich fünf Tage später, am 31. Dezember, beginnt nun der offizielle Wahlkampf zur anstehenden Präsidentschaftswahl, die für den 31. März angesetzt ist.

»Ich kann noch nicht sagen, ob ich kandidiere«, sagte der amtierende Präsident Petro Poroschenko während einer Pressekonferenz einen Tag nach der Gründung der neuen ukrainischen orthodoxen Kirche, die am 6. Januar vom Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel anerkannt wird. Das verbuchte der in den Umfragen schwächelnde Poroschenko, der beim großen Vereinigungskonzil in dem Präsidium saß, als sein großer Erfolg. Gleichzeitig verneinte er, dass die Ausrufung des Kriegsrechts etwas mit der potenziellen Beeinflussung oder gar Verschiebung der Präsidentschaftswahlen zu tun haben könnte.

Nun, es gibt derzeit noch keine Umfragen, die den Zeitpunkt nach der Kirchengründung betreffen, obwohl dieses Ereignis per se lange zu erwarten war. Das Kriegsrecht, trotz der starken Thematisierung der für Poroschenko sehr wichtigen Armeefrage, scheint aber dem 53-Jährigen nicht in die Hände zu spielen. Rund 65 Prozent der Ukrainer unterstützen den Schritt nicht, sagt die neue Umfrage des Ukrainischen Instituts für soziale Studien. Lediglich 25 Prozent sind dafür. Und so ist ebenfalls nicht überraschend, dass Poroschenko derzeit kaum zulegt: Alle Umfragen zeigen ihn in der Nähe von acht Prozent, er liegt je nach dem Auftraggeber zwischen dem dritten und fünften Rang.

»Sollte es einen besseren Kandidaten geben, könnte ich auf die Wahlen auch verzichten«, betonte der 2014 gewählte Poroschenko auf der gleichen Pressekonferenz. Das glaubt aber auch angesichts der massiven Wahlwerbung kaum einer. Klar ist aber, dass Poroschenko den ersten Wahlgang wohl definitiv nicht gewinnen wird. Die Favoritin und die zweimalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko hielt sich während des Kriegsrechts eher zurück und hat ein wenig verloren, hat aber mit je nach Umfrage zwischen 13 und 15 Prozent einen soliden Vorsprung auf die Verfolger: den Komiker Wolodymyr Selenskyj, überall auf dem zweiten Platz, Poroschenko, dem Kandidaten der neu gegründeten Oppositionsplattform Jurij Borko, und den Ex-Verteidigungsminister Anatolij Hryzenko von der Partei Bürgerposition.

Vor allem Wolodymyr Selenskyj, der in der beliebten Satireserie »Diener des Volkes« den Schullehrer spielt, der plötzlich zum Präsidenten der Ukraine gewählt wird, könnte das Spiel um die Präsidentschaftswahlen komplett verändern. Selenskyj, Chef der großen Unterhaltungsproduktionsfirma Kwartal 95, hat seine Kandidatur noch nicht offiziell angekündigt, doch in der Ukraine zweifelt man nicht daran, dass er mit seinen hervorragenden Umfragewerten kandidieren wird. Zumal man überall auf Plakate »Präsident ist der Diener des Volkes« trifft, die natürlich in der Theorie auch nur für die neue Staffel der Serie werben könnten.

Das Besondere an Selenskyj: Während Poroschenko, sollte er es doch in die Stichwahl schaffen, zurzeit gegen alle Konkurrenten deutlich verlieren würde, hätte der 40-Jährige gegen alle zumindest gute Chancen - und das bedeutet wiederum, der Komiker könnte in der Tat zum Präsidenten gewählt werden. In Kreisen seines eigenen Unternehmens gilt Selenskyj als ausgezeichneter Manager, das Problem jedoch: Seine politische Unabhängigkeit ist äußerst zweifelhaft. Fast alle Sendungen von Kwartal 95 erscheinen im Fernsehsender des Oligarchen Ihor Kolomojskyj - und Gerüchten zufolge soll Selenskyj für die spätere Parlamentswahl die Strukturen der alten Kolomojskyj-Partei nutzen.

Vor Monaten sagte Kolomojskyj in einem Interview mit Radio Svoboda, er würde trotz schwieriger Beziehungen zwischen Timoschenko und Poroschenko eindeutig die Erstere bevorzugen. Und so steht Kolomojskyj in Lauerstellung vor den Wahlen, während sein Erzrivale Poroschenko mit großen Problemen kämpft. Am 8. Februar soll letztlich die endgültige Kandidatenliste für die Präsidentschaftswahl feststehen, unübersichtlicher könnte die Ausgangslage kaum sein.

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