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Endhaltestelle für viele Probleme
Kerstin Wolter und Alex Wischnewski über Familienbeziehungen im real existierenden Kapitalismus
Es ist diese besondere Zeit im Jahr, in der eigentlich nichts passiert und die doch an fast allen hierzulande nicht unbemerkt vorüberzieht: Weihnachten. Viele haben auch dieses Jahr die Feiertage im Kreis ihrer Familie verbracht. Doch während Familie für die einen Liebe, Zuneigung, Fürsorge und Geborgenheit bedeutet, ist sie für andere verbunden mit Streit, Zorn, genervt sein, Enttäuschung und Gewalt. Für die meisten mischen sich wohl die Erfahrungen. Besonders für Frauen ist Familie eine zwiespältige Angelegenheit.
Die Familie ist die traditionell den Frauen zugewiesene Sphäre. Noch immer übernehmen sie darin den Großteil der Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit. Diese Aufgaben erfüllen viele so verantwortungs- und aufopferungsvoll, dass sie einer Erwerbsarbeit nur in Teilzeit oder auch gar nicht nachgehen können oder wollen. In Deutschland arbeiteten 47 Prozent der Frauen in Teilzeit. Unter den Männern sind es nur neun Prozent. Noch drastischer fallen die Zahlen bei Frauen mit Kindern aus: So arbeiten 72 Prozent der Mütter mit minderjährigen Kindern auf Teilzeitbasis, aber nur sechs Prozent der Väter. Die Folgen für Frauen sind bekannt: fehlende finanzielle Eigenständigkeit und Armut im Alter. Zudem gilt das Zuhause für Frauen als gefährlichster Ort: Jede vierte Frau in Deutschland wurde Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Es ist die häufigste Form, in der Frauen überhaupt Gewalt erfahren. Begriffe wie »häusliche Gewalt« oder »Familientragödie« schreiben diese Erfahrungen nicht nur als Normalität fest, sie verharmlosen sie.
Dass das Private politisch ist, war deshalb ein zentrales Thema der zweiten Welle der Frauenbewegung. Es ist ihr Erfolg, dass Frauen in Westdeutschland heute einen größeren Anteil an der Erwerbsarbeit und dem öffentlichen Leben haben und Ehen leichter geschieden werden können. Die Feministin Nancy Fraser verweist gleichzeitig auf eine Widersprüchlichkeit: Die feministischen Argumente für Emanzipation würden zu einer moralischen Legitimierung des flexiblen Kapitalismus beitragen. Jedes Individuum könne nun einzeln ausgebeutet werden.
Das scheint jedoch quer zu heutigen Entwicklungen zu liegen. Auch in der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft hat die Familie weiterhin einen hohen Stellenwert. Das merken wir nicht nur an Weihnachten. Vielmehr noch scheint sie jüngst wieder an Bedeutung zu gewinnen. Warum ist das so?
Bundesregierungen haben die Familie als »Leistungsträger« der Gesellschaft hervorgehoben. Sie ist eben jener Ort, an dem Arbeit geleistet und im besten Fall allein mit Liebe bezahlt wird. Es ist auch jener Ort, an dem Menschen füreinander einstehen, wenn es eng wird. Hier springt der Zusammenhang mit Wohlfahrtsstaat und öffentlicher Daseinsvorsorge ins Auge. Gibt es keine ausreichende Pflege mehr in den Krankenhäusern, oder werden Kitas zu teuer, fangen Familien diese öffentlichen Engpässe auf. Genau genommen sind es die Frauen in den Familien. Wird an Transferleistungen gekürzt, wird plötzlich auf die »Bedarfsgemeinschaft« verwiesen. Das heißt, der Staat geht davon aus, dass Menschen in Familien finanziell füreinander aufkommen müssen.
Es ist also kein Zufall, wenn im langen Schatten der Wirtschafts- und Schuldenkrise die Bedeutung von Familien von Regierungsseite wieder betont wird. Da sind sich Regierungen der Mitte mit den Rechten einig. In Österreich etwa ließ die rechte FPÖ verlauten, dass Frauenhäuser die Familie zerstörten, während ihr neoliberaler Regierungspartner kein Problem mit der Kürzung dieser Hilfeleistungen hat. Doch in einer Welt der Individualisierung und Prekarisierung überträgt sich der eigene Wunsch nach Gemeinschaft und Sicherheit - ökonomischer wie sozialer - auf die Familie. Auch wenn sie das nie so geleistet hat oder auch gar nicht so leisten kann.
Ganz im Gegenteil sogar. Nehmen soziale Probleme zu, dann ist die Familie eben nicht unbedingt der Ort der Absicherung, sondern gerade die Endhaltestelle dieser Probleme. Steigende Zahlen von Partnerschaftsgewalt in Krisenzeiten zeugen davon. Familie ist also nur so gut wie die Gesellschaft, in der sie stattfindet. Gäbe es mehr Nähe und Zärtlichkeit in anderen Beziehungen als der eigenen Beziehungspartnerschaft, wäre die Familie nicht so heillos überfrachtet. Das wäre übrigens nicht nur eine Befreiung für Frauen, sondern würde ebenso Männern einige Bürden von den Schultern nehmen.
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