Dauerblockade
Thomas Gesterkamp über Unsinn und Sinn des bildungspolitischen Klein-Kleins
Sanierungsreife Gebäude, defekte Toiletten, ausfallender Unterricht, mangelhafte technische Ausstattung: Die Probleme, mit denen viele Schulen und Universitäten hierzulande zu kämpfen haben, sind schon lange offensichtlich. Zum Symbol der Misere entwickelte sich in den letzten Jahren das sogenannte Kooperationsverbot: Im Grundgesetz verankert untersagt es dem Bund, sich in die Bildungspolitik der Länder einzumischen. Zwar taucht das Wort »Verbot« in der Verfassung nicht explizit auf. Doch die Föderalismusreform von 2006 beschränkte nicht nur die Kompetenzen, sondern auch die Möglichkeiten finanzieller Unterstützung aus dem Bundeshaushalt - trotz des schon damals riesigen Bedarfs.
Jüngstes Beispiel ist der Digitalpakt, mit dem der Bund für eine bessere Versorgung der Schulen mit WLAN, Laptops oder Tablets sorgen will. Mehrere Milliarden will die Koalition dafür bereitstellen. Doch vor allem süddeutsche Länder, darunter das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg, stellen sich quer. Sie fürchten um ihre Alleinkompetenz im Bildungssektor. Im finanziell weniger gut situierten Norden und Osten hat man eher andere Sorgen, nämlich die Erwartung des Bundes, dass die Länder finanziell zum Digitalpakt beitragen. Der Streit führt, wie so oft im letzten Jahrzehnt, zu einem zermürbenden Gerangel zwischen Bundestag und Bundesrat. Ergebnis ist eine politische Dauerblockade zulasten der Lernchancen von Kindern und Jugendlichen.
Vor allem die bayerische CSU pocht weiterhin auf die klare Zuständigkeit der Länder. Damit steht sie weitgehend isoliert da, die meisten Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken wollen den starren Föderalismus in Bildungsfragen beenden. Denn Großinvestitionen wie die gründliche Renovierung sämtlicher Schulen lassen sich besser zentral steuern und finanzieren. Allein für die deutschen Flächenstaaten kalkulieren Expert*innen dafür Kosten von 34 Milliarden Euro.
Seit seiner Etablierung ist das Kooperationsverbot immer wieder durch Ausnahmeregelungen unterlaufen worden. Eine Aufweichung betraf 2014 die Universitäten: Artikel 91b des Grundgesetzes erleichtert seither die dauerhafte Förderung der Wissenschaft durch den Bund. Auch für die Schulen ließ der Gesetzgeber 2017 eine stärkere Zusammenarbeit der Verwaltungsebenen zu. Verabschiedet wurde der Artikel 104c: Danach können die Länder »Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden im Bereich der kommunalen Infrastruktur« erhalten.
Doch wie das aktuelle Beispiel Digitalpakt zeigt, hat das den Disput über Zuständigkeiten keineswegs beendet. Das in Deutschland historisch gewachsene Klein-Klein in der Schulpolitik ist längst kontraproduktiv. Dabei sind regional unterschiedliche Bestimmungen keineswegs grundsätzlich verkehrt. So ist es sinnvoll, wenn Kinder im Saarland oder im grenznahen Baden französisch lernen, in Brandenburg oder Vorpommern aber eher polnisch. Das strikte Verbot jeder Zusammenarbeit auf nationaler Ebene aber verhindert wichtige Investitionen in die Infrastruktur. Die sind auch deshalb dringlich, weil der Bildungserfolg weiterhin so stark durch soziale Herkunft bestimmt wird.
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