Darum geht es im Sanktionsprozess

Das Bundesverfassungsgericht klärt nicht einfach nur die Frage, ob Sanktionen an sich verfassungswidrig sind

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 15. Januar geht es in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht los. Erstmals wird dort die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Hartz-IV-Sanktionen verhandelt. Sie sind zentrales Element des seit Gerhard Schröder geltenden Arbeitsmarktmantras des »Förderns und Forderns«. Über Druck sollen sie Erwerbslose spuren lassen.

Hartz IV wurde bereits 2010 von dem Bundesverfassungsgericht als »menschenwürdiges Existenzminimum« beurteilt, welches »stets« und »unverfügbar« für bedürftige Personen, zur Verfügung stehen müsse. Die Frage nach den Sanktionen blieb damals ausgespart. Ob sie nun als Unterwanderung des gesetzlichen Existenzminimums gelten, wird das Bundesverfassungsgericht nun klären.

Wie sanktioniert wird

Beim ersten Verstoß gegen Mitwirkungspflichten streichen Jobcenter 30 Prozent des Regelsatzes. Beim zweiten Verstoß binnen eines Jahres 60 Prozent und beim dritten dann den gesamten Regelsatz inklusive Wohnkostenzuschuss. Bei unter 25-Jährigen ist das Gesetz sogar noch strenger. Bei ihnen sieht es bereits nach dem zweiten Regelverstoß eine Streichung aller Leistungen inklusive Wohnkostenzuschuss vor. Verstöße gegen Meldepflichten werden mit je zehn prozentiger Leistungskürzung bestraft. Der Regelsatz liegt derzeit bei 424 Euro.

 

Doch die Karlsruher Richter*innen wollen nicht einfach nur beurteilen, ob die Sanktionen an sich verfassungswidrig sind, sondern gliedern ihre Entscheidung in verschiedene Teilfragen auf. Worum geht es also genau?

Die Sanktionen an sich

Die Sanktionen sollen vom Verfassungsgericht anhand von Studien auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Ein wenig zynisch heißt es in der Pressemitteilung dazu: Wie geeignet sind Minderungen, um Leistungsberechtigte »zu motivieren« den Mitwirkungsanforderungen nachzukommen? Bei der Frage danach, ob die Sanktionen verfassungsrechtlich legitim sind, geht es also auch darum, ob sie überhaupt das Ziel erreichen können, Menschen mittels Strafandrohung in Arbeit zu bringen. Außerdem wird es hier wohl eine Rolle spielen, dass unter 25-Jährige deutlich strenger sanktioniert werden als ältere Betroffene.

Mitwirkungsanforderungen

Leistungsempfänger*innen sind verpflichtet, sich regelmäßig beim Jobcenter zu melden. Sie müssen beispielsweise auch melden, wenn sie kurz den Ort verlassen - auch, wenn es darum geht, ihre Familie in einer anderen Stadt an Weihnachten zu besuchen. Zudem müssen sie auch jede »annehmbare Arbeit« akzeptieren, die ihnen angeboten wird. Als annehmbar gilt auch ein Job, der unterhalb ihres Ausbildungsniveaus oder letzten Jobposition liegt. Zudem sind sie verpflichtet, sich aktiv um eine neue Beschäftigung zu kümmern. All das sind die Mitwirkungsanforderungen.

Das Bundesverfassungsgericht will prüfen, ob diese Forderungen überhaupt geeignet sind, die »Hilfsbedürftigkeit« zu überwinden, wie es das erklärte Ziel vom Hartz IV-Konzept des »Förderns und Forderns« ist. Auch hierzu sollen empirische Befunde in der Verhandlung in Karlsruhe herbeigezogen werden werden.

»Sanktionen als verfassungswidrig geißeln«
Ex-BGH-Richter Wolfgang Neškovic zur Notwendigkeit der Abschaffung der Hartz-IV-Strafen

Es geht aber auch um die Frage, ob die Mitwirkungspflichten genug Schutz vor Dequalifizierungen bieten. Denn die Annahme jeder »zumutbaren Arbeit« kann dazu führen, dass die bisherigen Qualifikationen des Erwerbslosen entwertet werden.

Auch in Hinsicht auf die Maßnahmen, in die die Jobcenter ALG2-Empfänger*innen gerne und oft vermitteln, könnte dieser Aspekt interessant sein. Diese stehen nämlich schon länger in der Kritik, ebenfalls unter dem Punkt »Dequalifizierung«. 2017 hatte beispielsweise der Bundesrechnungshof moniert: »Durch ihr nicht zielgerichtetes Vorgehen und die mangelnde Rücksichtnahme auf die Belange der Leistungsberechtigten haben die Jobcenter in einem erheblichen Teil der geprüften Fälle deren unverzügliche Eingliederung nicht gefördert, sondern sogar gefährdet« . Die Maßnahmen können vom Jobcenter angeordnet werden – bei Nichtteilnahme oder Abbruch des Kurses drohen den Hartz-IV-Empfänger*innen Sanktionen.

Die Dauer der Strafe und Härtefallregelungen

Wird man vom Jobcenter bestraft, dann immer gleich für drei Monate. Einen Ermessensspielraum gibt es nicht, was die Dauer betrifft. Genauso wenig können die Vermittler*innen beim Jobcenter in Härtefällen von den Sanktionen absehen. Wer heute gegen eine Auflage verstößt, muss sanktioniert werden. Das Gericht fragt sich deswegen auch, wie sich die starre Dauer rechtfertigen lässt und ob man nicht einen Ermessensspielraum für die Entscheider gewährleisten könnte. Dazu will es klären, ob der Zeitraum nicht verkürzt werden kann, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird.

Schutz der Angehörigen und der Partner*in

Als weiteren Punkt wird das Bundesverfassungsgericht die Bedarfsgemeinschaften in den Blick nehmen. Das Gericht fragt sich, ob Angehörige und insbesondere Kinder genügend Schutz erfahren, wenn ein Familienmitglied gegen Auflagen des Jobcenters verstößt. Derzeit haben die Jobcenter einen Ermessensspielraum, Lebensmittel- und Hygieneartikelgutscheine an die Erwerbslosen zu geben, wenn diese zu mehr als 30 Prozent sanktioniert werden. Diese müssen jedoch nicht gewährt werden. Sanktionierten mit minderjährigen, zuhause lebenden Kindern, müssen sie hingegen automatisch ausgestellt werden. Doch die Gutscheine selbst standen auch in der Vergangenheit schon mehrfach in der Kritik, unzureichend zu sein.

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