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Der heimtückische Doppelmord
Den Morden an Luxemburg und Liebknecht folgte eine Kriminalgeschichte des Vertuschens und Verschweigens
Am 16. Januar 1919 druckten fast alle Tageszeitungen Berlins, ja Deutschlands, inklusive der »Vorwärts«, die Lügenmärchen, die Hauptmann Waldemar Pabst, faktischer Kommandant der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD) über seinen Propagandachef Fritz Grabowsky und das Wolff’sche Telegrafenbüro hatte verbreiten lassen: Karl Liebknecht im Tiergarten auf der Flucht erschossen, Rosa Luxemburg im Wagen vor dem Eden-Hotel von einer Menschenmenge umlagert, getötet, die Leiche entführt und spurlos verschwunden.
Später wurde vermeldet, die SPD- Regierung unter Friedrich Ebert, Gustav Noske und Philipp Scheidemann habe strengste Untersuchung angeordnet und das Kriegsgericht der GKSD damit betraut. Also die Kameraden der Mörder. Proteste dagegen, auch aus der SPD, wurden ignoriert.
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Es wäre jedoch überhaupt nichts passiert, hätte nicht Leo Jogiches, durch den Mord zum Vorsitzenden der KPD avanciert, für die »Rote Fahne« selbst ermittelt und Zeugen im Eden-Hotel befragt. Er kam mit seinen Recherchen der Wahrheit sehr nahe. Jogiches benannte exakt die Mörder Liebknechts: die Offiziere Pflugk-Hartung, Stiege, Liepmann, Ritgen und Jäger Friedrich. Als Luxemburgs Mörder vermutete er Oberleutnant Kurt Vogel, den Transportführer. Auch der Jäger Otto Runge wurde von ihm als der Mann identifiziert, der beide Opfer mit einem Gewehrkolben attackierte. Als dessen Anstifter machte er Hauptmann Petri aus. Waldemar Pabst wurde ebenfalls bereits von Jogiches als Drahtzieher erkannt. Nun war ein Prozess unabdingbar. Jogiches jedoch hatte damit sein Todesurteil unterschrieben. Er wurde im März 1919 verhaftet und vom Kriminalbeamten Tamschick, der auch zu Pabsts Division gehörte, in Moabit durch Genickschuss »auf der Flucht« ermordet.
Im Mai 1919 saßen dann also die Kameraden der Mörder über diese zu Gericht. Einer der Richter hieß Wilhelm Canaris, der spätere Abwehrchef Hitlers. Auf dem Schwarzmarkt handelte man die Eintrittskarten mit bis zu 1000 Mark. Unter dem Bild von Kaiser Wilhelm II. entwickelte sich ein Camouflage-Prozess, den die SPD-Regierung zu verantworten hatte. Wieder verhallten die Proteste ungehört. Es gehe alles mit rechten Dingen zu, logen die SPD-Oberen. Der untersuchende Kriegsgerichtsrat Jorns arbeitete mit Pabst zusammen und vertuschte alles. Die Mörder Liebknechts wurden freigesprochen, Vogel, der die Leiche Luxemburgs in den Landwehrkanal hatte werfen lassen, bekam wegen Wachvergehens zwei Jahre Gefängnis. Ähnlich lange sollte Runge wegen der Kolbenschläge einsitzen. Und zwar weil man nicht wusste, ob die Kolbenschläge oder der Schuss im Wagen, den man einem unbekannten Marineleutnant anlastete, Luxemburg getötet hatten. Ihre Leiche lag noch im Berliner Landwehrkanal.
Vogel bekam Angst, drohte Pabst auszupacken und wurde von Canaris aus dem Gefängnis in Moabit abgeholt und nach Holland verfrachtet. Der geistig verwirrte Runge musste als einziger brummen, machte aber Aussagen gegenüber der »Freiheit«, der Parteizeitung der USPD, die Pabst und die ganze Offizierskamarilla schwer belasteten. Das Auslieferungsverfahren gegen Vogel wurde vom Kriegsgericht der GKSD verzögert. Die Regierung bestätigte erst die Freisprüche der Liebknecht-Mörder und Noske schließlich kurz vor der Auslieferung, gegen jeden juristischen Rat, das Urteil gegen Vogel. Der konnte in Holland bleiben, musste keine Aussagen machen.
Erst zehn Jahre später, 1929, bekam Paul Levi, Rechtsanwalt und kurzzeitiger Gefährte Luxemburgs, die Gelegenheit, den Fall nochmals aufzurollen. Ein anonymer Autor hatte in der Zeitschrift »Tagebuch« Jorns der Unterstützung der Mörder damals geziehen. Jorns, inzwischen Reichsanwalt, klagte gegen das »Tagebuch«, Levi vertrat den Herausgeber Bornstein und hatte so Einsicht in die Akten der GKSD. Er belegte, dass Jorns den Angeklagten damals »Vorschub« geleistet habe. Der Staatsanwalt sprach Jorns mehrfach - Freudscher Versprecher - als »Angeklagten« an. Bornstein wurde freigesprochen, Jorns der »Vorschubleistung« überführt. Er glaubte, noch im Gerichtssaal verhaftet zu werden, was nicht geschah. Jorns ging in Berufung. Auch ein zweiter Prozess sprach ihn nicht frei, erst ein dritter schaffte es mit einem verlogenen Konstrukt, Jorns zu entlasten. Bornstein bekam eine geringe Strafe. Levi hat die beiden Folgeprozesse nicht mehr erlebt, er stürzte sich, durch den Tod seiner Geliebten traumatisiert, im Fieberwahn aus dem Fenster.
1945 wurde Runge von Kommunisten in Berlin festgesetzt und schließlich an den NKWD, den sowjetischen Geheimdienst, ausgeliefert. Er starb beim Verhör. Stiege wurde in Hessen bei einem Entnazifizierungsverfahren des Mordes an Liebknecht bezichtigt, was damals als Verbrechen gegen die Menschlichkeit galt. Man ließ sich die gefälschten Akten der GKSD kommen und Stiege laufen. 1959 besuchte Günter Nollau, Vizepräsident des Verfassungsschutzes und Sozialdemokrat, Pabst und wollte von ihm Material gegen Wilhelm Pieck, der 1919 mit den beiden Sozialistenführern verhaftet worden war und der erste (und letzte) Präsident der DDR gewesen ist. Pabst plauderte, bezichtigte Pieck des Verrates an »Spartakus« und nannte den, der Rosa Luxemburg erschossen hatte: Hermann Souchon. Nollau behielt Letzteres für sich, zieh aber den SED- und DDR-Politiker des Verrats. Eine Retourkutsche für Ermittlungen in Ostberlin betreffend die NS-Vergangenheit des damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke.
1962 outete sich Pabst dann im »Spiegel«-Interview als Befehlsgeber des Doppelmordes, wobei er von »Mord« nichts wissen wollte. Schon kurz vorher hatte sein Freund Felix von Eckardt (CDU), Regierungssprecher und Ex-Drehbuchautor von Nazifilmen, in einem Kommuniqué die Ermordung der beiden »Spartakus«-Führer als »standrechtliche Erschießung« bezeichnet. Strafanzeigen führten ins Nichts, genauso wie Haftbefehle der Staatsanwaltschaft der DDR. 1966 untersuchten Heinrich Hannover und seine Frau Elisabeth Hannover-Drück den Fall, konnten sich auf Unterlagen im Potsdamer Staatsarchiv stützen und legten vieles in einem epochalen Buch offen, kamen aber noch nicht an das Gros der Akten heran. Fast parallel gelang es Dieter Ertel, damals Dokumentarist beim Süddeutschen Rundfunk, Pabst in mehreren Gesprächen auszuhorchen. Hier nannte Pabst erneut Souchon als Todesschützen. Ein zweiteiliges Fernsehspiel über den Mord und den Camouflage-Prozess entstand. Souchon klagte dagegen und bekam in zwei Gerichtsverfahren Recht, da Pabst sich krank stellte, nicht aussagte und die Gerichte sich erneut auf Akten der GKSD stützten. Ertel musste in der »Tagesschau« widerrufen, dass Souchon der Mörder sei. Pabst starb ungestraft 1970, Souchon 1983.
Ich nahm 1989, nachdem das verbotene TV-Spiel erneut gesendet worden war, Kontakt mit Ertel auf. Gleichzeitig gelang es mir, den Nachlass von Pabst als erster im Militärarchiv in Freiburg einzusehen. Dort bestätigte jener die Täterschaft Souchons. Zudem legte er in seinen Memoiren bzw. in Kameraden-Briefen ganz klar die Spur zu Noske. Dies bestätigte mir der Anwalt Souchons: Pabst habe ihm »unter uns« versichert, vor dem Mord Noske angerufen zu haben, und der habe die Tat gebilligt. Erst in diesem Sommer bezeugte mir ein angesehener Militärhistoriker und Oberstleutnant a. D. der Bundeswehr, dass Pabst ihm und ehemaligen Kadettenkameraden ähnliches erzählt hatte und dass er diesen trotz seiner Arroganz und Egomanie in diesem Fall für absolut glaubwürdig halte.
Apropos: Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hat, nachdem sie im November 2018 noch davon sprach, dass Noske »wahrscheinlich« seine Finger im Spiel hatte, mittlerweile widerrufen. Verantwortung zu übernehmen, ist halt ein sehr schweres Los.
Der Sozialwissenschaftler, Jahrgang 1955, Buch- und Drehbuchautor (u. a. von »Tatorten«) sowie Regisseur von Dok-Filmen (»Wie starb Benno Ohnesorg?«), verfasste die Standardwerke »Eine Leiche im Landwehrkanal« und »Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst«; demnächst erscheint von ihm ein Buch über die Volksmarinedivision 1918.
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