- Wirtschaft und Umwelt
- Wir haben es satt
Weg mit den pauschalen Flächensubventionen
Zehntausende kritisieren in Berlin bei der »Wir haben es satt«-Demo die Agrarpolitik der Bundesregierung
Immer wieder begegne ihr das Vorurteil, dass junge Menschen heutzutage gar nicht mehr auf dem Land leben wollen, sagt Mareike Artlich von der Bühne vor dem Brandenburger Tor. »Doch das stimmt nicht. Wir wollen aufs Land«, ruft die Jungbäuerin, die in der Jugendorganisation der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) aktiv ist, ins Mikrofon und erntet Applaus. Gerade die jungen Bäuer*innen sind auf dieser neunten Demonstration für eine Agrarwende präsent und fordern eine andere Agrarpolitik – auch für ihre eigene Zukunft. Sie wollen eine Abkehr von der Europäischen Förderpolitik, die nur der industriellen Landwirtschaft nütze und politisch wirksame Maßnahmen gegen Landraub durch Investoren. Denn die Landwirtschaft sei auch ein »knallhartes Geschäft«, so Artlich. Gerade für junge Landwirt*innen sei es schwierig, Höfe zu übernehmen oder aufzubauen. Und das trotz des dramatischen Höfesterbens.
Im Mittelpunkt der politischen Forderungen steht die nächste Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Das Demonstrationsbündnis fordert die Bundesregierung auf, den »überfälligen Umbau der Landwirtschaft anzupacken«, wenn in diesem Jahr über die neuen Subventionen bis 2027 verhandelt wird. »In Deutschland werden jedes Jahr 6,3 Milliarden Euro an EU-Agrargeldern ausgeschüttet, mehr als drei Viertel davon als pauschale Subventionen je Hektar Fläche«, so das Bündnis. In der Praxis heiße das: Die 3300 flächengrößten Betriebe erhalten eine Milliarde Euro im Jahr, während die kleinsten 200.000 Bauernhöfe sich knapp 700 Millionen teilen müssen. Zukünftig solle mit den öffentlichen Geldern nur noch gefördert werden, wer umwelt- und artgerechte Landwirtschaft betreibe.
»Doch Agrarministerin Julia Klöckner klammert sich an die pauschalen Flächensubventionen wie ihre Vorgänger ans Ackergift Glyphosat«, kritisiert Saskia Richartz, Sprecherin des Bündnisses aus über 100 Organisationen. »Der Agrarindustrie immer weiter Milliarden in den Rachen zu stopfen, ist agrar- und klimapolitischer Irrsinn.«
Gerade die Folgen des Klimawandels sind ein Problem der Landwirtschaft. Einerseits Verursacher, kann Landwirtschaft aber auch zur Lösung beitragen. Doch dazu müsse die Bundesregierung klimaschonend arbeitenden Landwirten einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, fordern Klimaforscher. »Anstelle von undifferenzierten Pauschalzahlungen brauchen wir eine Steuer auf umweltschädliche Stickstoffüberschüsse und finanzielle Anreize für Landwirte, die Bodenkohlenstoff in der Humusschicht aufbauen«, erklärt Benjamin Bodirsky vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
»Wir ackern tagtäglich für gutes, enkeltauglich produziertes Essen. Dafür verlangen wir politische Unterstützung.« Der 32-jährige Moritz Schäfer ist aus dem hessischen Schwalmtal mit dem Traktor angereist, wo er einen Betrieb mit 100 Kühen und 250 Hektar bewirtschaftet. »Meine Kühe stehen auf der Weide, ich produziere das Futter vor Ort und sähe vielfältige Fruchtfolgen. Insekten, Wasser und Klima danken es mir, die Politik aber nicht. Julia Klöckner muss endlich die Interessenvertretung der Industrie beenden und eine Politik für Bauern, Bienen und lebensfähige Dörfer machen«, fordert Schäfer im Namen der Traktorfahrer.
Am Vormittag hatten die 171 Bäuer*innen, die später mit ihren Traktoren an der Spitze der Demonstration durch Berlins Mitte fahren, eine Protestnote an die 70 versammelten Minister aus aller Welt übergeben, die auf Einladung von Agrarministerin Klöckner beim »Global Forum for Food and Agriculture« im Auswärtigen Amt tagten.
Dort mit dabei ist laut Anmeldeliste auch der Landwirtschaftsminister von Tansania. Das ostafrikanische Land hatte im vergangenen Jahr nicht nur alle Feldversuche mit gentechnisch verändertem Saatgut verboten, sondern auch verfügt, dass die bisherigen Forschungsergebnisse vernichtet werden. Seit 2016 hatte Tansania diese Feldversuche erlaubt, gleichzeitig bewahren in dem Land rund 90 Prozent der Bäuer*innen ihr eigenes Saatgut auf, tauschen und entwickeln es regional weiter. Viele Kleinbäuer*innen können sich das zertifizierte Saatgut nicht leisten. »Das war ein großer Erfolg für uns«, erklärt Janet Maro, Geschäftsführerin von Sustainable Agriculture (Tanzania) auf der Demonstration in Berlin. Sie fordert Unterstützung für die Kleinbäuer*innen auch von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. »Wir brauchen bäuerliches Saatgut und keine Hybride. Damit Agrarökologie und bäuerliches Saatgut endlich eine Chance haben, muss Deutschland die Förderung der 'Allianz für eine Grüne Revolution' in Afrika einstellen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.