Baustelle Russland-Politik

Kerstin Kaiser plädiert dafür, beim Blick auf Moskau die westliche Brille abzulegen. Eine Antwort auf Stefan Liebich

  • Kerstin Kaiser
  • Lesedauer: 3 Min.

Wir sind an einem gefährlichen Tiefpunkt deutsch-russischer Beziehungen angekommen. Für viele Beobachter ist ein neuer Systemkonflikt zwischen Demokratie und Autokratie entstanden, in dem Russlands Präsident Putin die Rolle des »Universal-Feindbilds« spielt. Dazu schreibt Stefan Liebich im »nd«: »Die LINKE ringt um die richtige Positionierung gegenüber russischer Politik und der Politik gegenüber Russland.« Sichtbar werden durch Liebichs Text die Baustellen linker Außenpolitik. Vage bleibt jedoch, wo und mit wem die Linkspartei »ringt«. Doch sie braucht zur Europawahl eine Alternativstrategie zur EU-Außenpolitik - und damit auch eine Position zur Russlandpolitik der EU samt praktischer Vorschläge.

Die LINKE, so Liebich weiter, müsse an die Politik Russlands und der NATO dasselbe Maß anlegen, dürfe nicht auf einem Auge blind auf Russland und seine Politik schauen. Das ist nur scheinbar konsequent: Ja, man kritisiert Russland einerseits und die USA/NATO andererseits für Militarisierung und imperiale Politik. Ungeklärt bleibt dabei jedoch das Verhältnis beider Seiten zueinander und dessen Rahmenbedingungen. Weder reale Machtverhältnisse oder -potenziale noch die Geschichte dieses Verhältnisses zueinander werden durch kritische Äquidistanz geklärt. Letztere wird zum Vorwand, sich die Mühe politischer Differenzierung und Auseinandersetzung zu sparen. Die sind aber so nötig wie eigenständige Analysen, politische Ziele, Kriterien und Maßstäbe.

Klar wird das beim Ukraine-Konflikt und der humanitären Katastrophe in der Ostukraine, sichtbar bei der Krim-Frage. Ja, wir halten das Völkerrecht hoch und sehen dessen Verletzungen auf mehreren Seiten. Aber das Völkerrecht selbst ist Ausdruck realer Machtverhältnisse und jede Verletzung kann auch noch juristisch umstritten sein. Mit Rosa Luxemburg zu sagen, was ist, heißt an dieser Stelle eben nicht, in selbstangemaßter Schiedsrichterrolle den Daumen rauf oder runter zu halten - sprich: nur zu sagen, das Völkerrecht sei verletzt worden oder nicht. Zu sagen, was ist, muss für die Linkspartei auch heißen zu sagen, wie es zum Konflikt in der Ukraine gekommen ist. Dass dieser bereits nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begann, kann und muss man wissen. Zu sagen, was ist, bedeutet für Linke aber vor allem aufzuzeigen, wie mit dieser Situation politisch anders umgegangen werden kann und muss, als es derzeit deutsche Regierung, EU- und NATO-Staaten im eigenen Interesse vormachen und vorschreiben.

Liebich fordert zurecht, die Sanktionspolitik zu beenden, denn diese zielt auf die innere Destabilisierung des Vielvölkerstaates Russland. Aus linker Sicht sind Sanktionen Machtpolitik, die die Folgen für betroffene, sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten ignoriert. Die Sozialwissenschaftlerin Anna Otschkina von der Universität Pensa stellt fest, dass Armut und politische Instabilität als die »Schreckgespenster« der Bevölkerung Russlands aktuell deren Bereitschaft zum Protest gegen die Politik der eigenen Regierung schwächen. Das sei hier unterstrichen, weil jede Kritik an deutscher Russland-Politik als Verharmlosung oder gar Verteidigung Putins diffamiert wird.

Gelingt es, von links eigene Sichten auf die Verhältnisse in Russland zu finden, gängige Sprache und Standards infrage zu stellen, die »westliche Brille« abzunehmen? Es braucht dazu politische Arbeitsbeziehungen. Städtepartnerschaften, Wissenschafts- und Kulturaustausch mit Russland waren bisher kein linker Schwerpunkt. Darin waren sich linke Abgeordneten aus Europaparlament, Bundestag und Landtagen einig, die sich in Wolgograd und Moskau vergangenen Herbst mit ehrenamtlichen Aktivisten der Zivilgesellschaft, Regional- und Duma-Abgeordneten verschiedener Parteien trafen. Debatten mit Studierenden am Runden Tisch zur Stärkung der Zivilgesellschaft, im Sacharow-Zentrum zur Situation der Bürgerrechte, im Europa-Institut zur Zukunft deutsch-russischer Beziehungen wie auch Treffen mit Partnern der Luxemburg-Stiftung und dort lebenden deutschen Journalisten und Unternehmern brachten neue Erfahrungen und Einsichten.

Direktbeziehungen könnten Friedenspolitik befördern. Voraussetzung ist, russländische Interessen und Analysen zum Zustand des Landes kritisch zur Kenntnis zu nehmen so wie Positionen hiesiger Thinktanks. Dabei gilt es, »neuen Blockinteressen« nicht auf den Leim und »rechten Freunden Russlands« (AfD, Russland-Patrioten oder Sowjet-Nostalgikern) nicht in die Falle zu gehen.

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