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  • »The Favourite – Intrigen und Irrsinn«

Männer mit bekloppten Perücken

Kriege organisieren und die Konkurrenz vernichten: Yorgos Lanthimos’ böse Dekadenzkomödie »The Favourite«

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 5 Min.

Erst einmal schön und überraschend, der unmittelbare erste Eindruck: ein Film von Yorgos Lanthimos, der einen nicht mies gelaunt oder gar depressiv-verstimmt zurück in die Welt entlässt. Komisch waren auch die bisherigen Filme des griechischen Regisseurs, dabei jedoch durchgängig und also auch in ihren lustigen Momenten immer wieder bestimmt von forcierter Kälte. Wenn man in den zahlreichen grotesken Sequenzen beispielsweise von Lanthimos’ erster US-Produktion »The Lobster« auch immer wieder blöd vor sich hingnickern durfte, so dominierte doch der Eindruck, dass hier jemand so auf seine Figuren schaut, wie der Insektenforscher es mit Insekten tut: interessiert und ausdauernd, aber ohne jede Hemmung dazu bereit, den Viechern ein Bein auszureißen, wenn es denn der Verifizierung einer selbst aufgestellten These dient. Oder auch nur dem eigenen Vergnügen.

In Lanthimos’ letztem Film »The Killing of a Sacred Deer« (ein Familienvater operiert betrunken, sein Patient stirbt, der Arzt wird dazu gezwungen, eines seiner Kinder zu opfern) kippelte das ganze Geschehen dann doch sehr Richtung Misanthropie, stärker noch als in »Alpen« (Menschen schlüpfen für die Angehörigen in die Rollen der Verstorbenen) oder »Dogtooth« (Vater sperrt seine Kinder ein und erschafft eine Parallelwelt). Das auf den ersten Blick hervorstechendste Merkmal von Lanthimos’ Filmen waren bislang die wie teilnahmslos aufgesagten, unbetonten Sätze, die die Figuren wie betäubte Stümpfe erscheinen lassen und ihre Emotionalität sozusagen umklammern, nur um sie, wenn die Ventile nicht mehr halten, in punktuellen Ausbrüchen um so heftiger wirken zu lassen.

»The Favourite« wirkt in vielem wie die Antithese zu der spröden Ästhetik und dem weirden Humor, der Lanthimos’ Werk bislang dominierte. Ein Crowdpleaser mit hohem Tempo, urkomisch und lustvoll-böse, und mit einem Mal von einer spürbaren Zuneigung für seine Figuren bestimmt. Die hängen nun nicht mehr wie aufgespießt im Glaskasten, sondern bekommen gleichsam ein eigenes Areal, in dem sie sich artgerecht austoben dürfen.

»The Favourite« ist zuallererst fantastisches Schauspielerinnenkino. Im England des frühen 18. Jahrhunderts gehen zwei Damen am Hofe aufeinander los, dass es nur so kracht. Ausgehend vom Beziehungsdreieck aus der englischen Königin Anne Stuart (Olivia Colman), ihrer Beraterin und Liebhaberin Sarah Churchill, Herzogin von Marlborough (Rachel Weisz), und der sozial tief gefallenen, zunächst als Küchenmagd angestellten Abigail Masham (Emma Stone), hat Lanthimos einen opulent ausgestatteten Historienschinken geschaffen.

England im frühen 18. Jahrhundert, es herrscht Krieg mit Frankreich, die Königin ist depressiv und verliert mehr und mehr den Überblick. Die Herzogin von Marlborough bestimmt die politischen Geschicke und sorgt dafür, dass der Krieg trotz des wachsenden Unmuts der Bevölkerung weitergeht. Ihre Cousine Abigail, von ihrem Vater als Kind an einen Deutschen verkauft, kommt an den Hof, fängt als Küchenmagd an und beginnt, ihren Wiederaufstieg zu organisieren.

Das Begehren, das die Menschen in Lanthimos’ Filmen treibt, führt nicht zu überbordenden Leidenschaften, sondern zu maximal durchkalkuliertem Handeln. Einer der Reize des Films »The Favourite« besteht darin, dabei zuzusehen, wie diverse Intrigen sich entfalten und miteinander verzahnen. Abigail versucht mit allen Mitteln, ihre Cousine aus dem Spiel zu kegeln. Die hält, nach jahrelangem Training am englischen Hof mehr als routiniert, mit aller Kraft dagegen. Wen die immer geschwächter wirkende Königin gerade liebt, darf bleiben beziehungsweise aufsteigen, wer ihre Gunst verliert, verschwindet. Verstehen kann man alle Frauen in diesem Film. »The Favourite« gelingt es, sie alle noch in ihren fiesesten Momenten als Charaktere und nicht als abziehbildhafte Repräsentantinnen ihrer obsoleten Klasse erscheinen zu lassen.

Zum ersten Mal hat Lanthimos mit einem Drehbuch gearbeitet, das er nicht selbst geschrieben hat. Vielleicht hat das den Druck genommen. Die Schärfe der Dialoge, die sardonische Freude des Films an der Hinterhältigkeit, die spürbare Spielfreude ausnahmslos aller über die Leinwand tobenden Schauspielerinnen und Schauspieler - all das hat eine ungeheure filmische Leichtigkeit. So gelingt Lanthimos eher nebenbei einer der genauesten Dekadenzfilme der letzten Jahre, mit Reminiszenzen an Stanley Kubricks »Barry Lyndon« und - nicht nur wegen des Musikeinsatzes - die Filme Peter Greenaways. Mit letzteren teilt er außerdem die Lust am bewusst Überkomponierten, jedes Ausstattungsdetail ist zentimetergenau gesetzt. Vor diesem Hintergrund wirkt eine kotzende Königin dann noch stärker als eh schon.

Die drei Hauptfiguren wirken überaus modern und gegenwärtig, im Habitus und in der Sprache. Und ein zeitübergreifendes Kennzeichen des natürlich immer drohenden Untergang des Abendlandes: Sie tun hier ganz selbstverständlich das, was ansonsten den Herren der Schöpfung vorbehalten bleibt - Kriege organisieren, Konkurrenz vernichten, Sex als Waffe einsetzen, an die Spitze kommen. Während die Männer mit bekloppten Perücken auf dem Kopf Gänserennen im Festsaal veranstalten.

In gewisser Weise wirkt »The Favourite« unterschwellig entrückt, wie leicht aus der Zeit gefallen, ohne dass man deswegen angestrengte Bezüge zur Gegenwart herstellen müsste. Eine bewusst leichtfertige filmische Zeitenmischung, die andeutet, dass die Dekadenz kein Untergangsphänomen ist, sondern erst einmal nur ein prima Anlass für die Nachgeborenen, Spaß mit den Geschichten einer untergegangenen Klasse zu haben. Vielleicht werden irgendwann einmal aus einer ähnlichen Position ähnliche Geschichten über die Bourgeoisie erzählt werden.

»The Favourite - Intrigen und Irrsinn«, Irland/USA/Großbritannien 2018. Regie: Yorgos Lanthimos. Darsteller: Olivia Colman, Emma Stone, Rachel Weisz. 120 Min.

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