- Berlin
- Mietenwahnsinn in Berlin
Widerstand wird Mode
Nicht nur linke Zentren kämpfen gegen Verdrängung, auch Gewerbetreibende wehren sich
Hassan Raza Qadri steht hinter der Verkaufstheke seines kleinen Ladens und schüttelt verzweifelt seinen Kopf. »Keine Ahnung, wie es jetzt weitergeht«, sagt er. »Ich verstehe das nicht. 16 Jahre habe ich hier gearbeitet und immer pünktlich die Miete bezahlt. Und jetzt werde ich auf die Straße gesetzt.« Der Grund für seine Aufregung liegt vor ihm auf dem Tisch: ein Brief seines Vermieters, in dem ihm mitgeteilt wird, dass dieser eine Räumungsklage eingereicht hat und er eine Nutzungsentschädigung in Höhe von fast 4000 Euro monatlich zahlen soll.
Geld, das der 60-Jährige nicht hat, und auch nicht zahlen will. Alles, was er will, ist, die letzten fünf Jahre bis zu seiner Rente weiterhin Kleidung zu verkaufen. Bei »Kamil Mode« am Kottbusser Damm, an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln, finden Frauen aus der türkischen und arabischen Community schicke Kleider, Kopftücher und dazu passende reich verzierte Nadeln zu günstigen Preisen. Sechs Euro kostet ein Pullover, für 12,50 Euro gibt es schon eine Hose. Zwei ältere Frauen und ein Ehepaar schauen sich interessiert um und werden von Qadri freundlich beraten.
Bei seinen günstigen Preisen kann sich Qadri keine hohe Miete leisten. Zu Beginn hatte der Hauseigentümer, Thorsten Cussler, noch Verständnis und kürzte die Miete kurzerhand von 770 auf 700 Euro. Es war eine Zeit, in der kaum jemand nach Neukölln ziehen wollte. Heute ist das anders, weshalb Cussler vor fünf Jahren erst 300 und vor einem Jahr noch einmal 200 Euro mehr Miete verlangte. Doch nun will er Qadri ganz raus haben und kündigte ihm Mitte vergangenen Jahres überraschend zum 31. Dezember 2018.
»Ich habe versucht, mit ihm zu reden«, sagt Qadri, doch der Eigentümer sei auf keines seiner Gesprächsangebote eingegangen. Auch der Appell der Bundestagsabgeordneten Canan Bayram (Grüne) und Pascal Meiser (LINKE) sowie eine Resolution der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg zur Rettung von Qadris Geschäft blieben wirkungslos. Gegenüber der Presse äußert sich Cussler nicht, eine Anfrage des »nd« blieb unbeantwortet. Dafür lässt er seine Anwälte sprechen: Weil Qadri die Räume nicht wie gefordert Ende des Jahres verlassen hat, muss er Mitte Februar vor Gericht erscheinen, danach droht im schlimmsten Fall die Zwangsräumung. Miete zahlen soll er bis dahin aber dennoch, und zwar mehr als doppelt so viel wie zuvor. Der Grund: Nicht nur der Quadratmeterpreis wurde um 50 Prozent von 20 auf 30 Euro erhöht, auch die Ladenfläche hat sich fast verdoppelt. Plötzlich soll Qadri auch für die Hinterräume des Ladens, die im Mietvertrag gar nicht enthalten sind, bezahlen.
Rechtlich könnte der Eigentümer damit sogar durchkommen. Obwohl Qadri einen unbefristeten Vertrag hatte, kann ihm jederzeit gekündigt werden, für Gewerbeflächen gibt es keinerlei Einschränkungen für Kündigungen, Sanierungen und Mietsteigerungen. Der Senat will dies zwar mittels einer Bundesratsinitiative ändern, doch selbst wenn dies gelingen sollte, ist es bis dahin für »Kamil Mode« und die anderen Gewerbetreibenden im Kiez längst zu spät. »Menschen wie ich haben im Kapitalismus keine Rechte«, klagt der 60-Jährige. »Nur wer Geld hat, hat Rechte.«
Moralisch sieht sich Qadri im Recht, juristisch hat er wenig Hoffnung. Er hofft auf den Druck der Öffentlichkeit und der Politik. Wenn dies nicht hilft, weiß er auch nicht weiter. Nach einem neuen Laden hat er sich trotz seines Alters bereits umgesehen - ohne Erfolg. Entweder konnte er nichts Bezahlbares finden, oder sein Konzept war unerwünscht: »Sie haben mir vorgeschlagen, einen Hipster-Laden aufzumachen. Ich bin 60 Jahre alt, was weiß ich denn von Hipstern!«, sagt Qadri fassungslos.
Ohne seinen Laden hat Qadri jedoch keine Einnahmen, Erspartes besitzt er nicht. »Was soll ich dann machen? Betteln gehen?«, fragt er verzweifelt. Sozialhilfe will er keine, er will sein Geld selbst verdienen. Der gebürtige Pakistani mit dem deutschen Pass ist ein stolzer Mann. Seit er Anfang der 1980er Jahre mit Anfang 20 nach Deutschland geflohen ist, hat er es immer geschafft, sich und seine Familie selbst zu versorgen.
Damit das auch weiterhin so bleibt, hat sich Qadri Hilfe geholt. Die Nachbarschaftsinitiativen Bizim Kiez, Ora Nostra und das Bündnis gegen Zwangsräumungen stehen hinter ihm. »Sie motivieren mich und geben mir Stärke«, ist Qadri dankbar. Bei der Kiezdemo am Samstag wurde auf bedrohte Orte in der Nachbarschaft wie »Kamil Mode« aufmerksam gemacht. Denn Qadri ist bei Weitem nicht der Einzige. »Viele Nachbarn sind schon raus oder kurz davor«, erzählt er. Eine Änderungsschneiderei um die Ecke musste jüngst aufgeben, die Leute kommen nun zu ihm. Für Qadri exemplarisch für den zunehmenden Mangel an Läden für den täglichen Bedarf in seinem Kiez. Immer mehr Restaurants und Cafés entstehen, während kleine Läden wie »Kamil Mode« schließen müssen. »Es geht nicht nur um mich, all die anderen müssen auch gerettet werden. Wie viele Opfer soll es noch geben?«
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