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»Uns fehlt die Zeit«
Der Schüler Linus Steinmetz über die Jugendstreiks von »Fridays for Future«, Zukunftssorgen und fehlende Mitbestimmung
Seit Wochen gehen Tausende Schüler für Klimagerechtigkeit auf die Straßen. Warum grade jetzt?
In den vergangenen Jahren gab es für junge Menschen so gut wie keine Möglichkeiten, die Klimapolitik der Erwachsenen zu beeinflussen. Es entstand ein Gefühl der Machtlosigkeit. Uns fehlt dabei die Zeit, es sind nur noch wenige Jahre, bevor der Klimawandel außer Kontrolle gerät. Wenn die Erwachsenen die Verantwortung dafür nicht übernehmen wollen, dann müssen wir es selbst tun. Die angestaute Frustration einlädt sich nun überall auf der Welt in Schülerstreiks.
Linus Steinmetz ist Schüler in Göttingen. Der 15-Jährige engagiert sich seit September in der bundesweiten Bewegung »Fridays for Future« (Freitage für die Zukunft). Unter diesem Motto bestreiken Schüler freitags den Unterricht, um für Klimagerechtigkeit und Umweltschutz auf die Straße zu gehen. Auch in anderen Ländern finden ähnliche Proteste statt. Mit Steinmetz sprach Sebastian Bähr.
Warum streikt Ihr während der Schulzeit?
Den meisten jungen Menschen wird kaum zugehört - außer sie überschreiten Regeln. Wir demonstrieren mit unserem Regelübertritt: Wenn die Erwachsenen sich nicht an ihre Pflicht halten, uns eine lebenswerte Zukunft zu garantieren, dann halten wir uns auch nicht an unsere Pflichten.
An welche Pflichten halten sich die Erwachsenen nicht?
Die Erwachsenen haben 2015 das Klimaabkommen von Paris beschlossen, aber schaffen es bis heute nicht, sich an die dort gesteckten Ziele zu halten. Ein anderes Beispiel in Deutschland ist der kürzliche beschlossene Kohlekompromiss, der einen Ausstieg aus dieser Energiegewinnung erst für 2038 vorsieht. »Fridays for Future« fordert einen Ausstieg spätestens bis 2030, wenn möglich noch früher. Von uns Jugendlichen war darüber hinaus auch niemand in der Kohlekommission vertreten. Ich glaube nicht, dass die zahlreichen über 50-jährigen Mitglieder des Gremiums noch viel vom Klimawandel erleben werden.
Warum fällt es den Erwachsenen so schwer, sich für Umweltschutz einzusetzen?
Das fragen wir uns auch. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat uns gegenüber mal erklärt, dass Deutschland eben ein bedeutender Industriestandort sei. Wenn wir auf internationaler Ebene diesen »Vorsprung« behalten wollen würden, dürften die Bedürfnisse der Wirtschaft nicht im Widerspruch zur Klimapolitik stehen. Wir stellen regelmäßig fest, dass Klimapolitik von den Politikern nicht ernst genommen wird. Immer wieder soll es vermeintlich wichtigere Prioritäten geben. Aber für uns ist Klimapolitik auch Zukunftspolitik. Es ist wichtig, dass verschiedene Themen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Was meinst Du damit?
Es macht beispielsweise keinen Sinn, die Kumpel der Kohleindustrie gegen uns protestierende Schüler auszuspielen. Alle von uns wollen eine positive Zukunft, wir sollten nicht gegeneinander aufgehetzt werden. Als Einzelperson bin ich offen für Gespräche mit den Arbeitern; ich bin sicher, die Bewegung ist es auch. Wir wollen definitiv einen sozialverträglichen Kohleausstieg, der die Bedürfnisse der Beschäftigten berücksichtigt und nicht den Unternehmen in die Karten spielt.
Wie reagieren eigentlich die Lehrer, wenn Ihr streiken geht?
Ich gehe in Göttingen in die Schule. Meine Schulleitung hält schon die unentschuldigten Fehltage fest, verhängt aber keine drakonischen Strafen. Unter der Hand sagen uns die Lehrer, dass sie eigentlich sehr gut finden, was wir machen. Wir sehen generell, dass uns große Teile der Erwachsenenwelt Sympathie entgegenbringen. In anderen Bundesländern wie Bayern gibt es jedoch auch ein unverhältnismäßig hartes Vorgehen der Behörden. Wenn man bedenkt, dass hier Jugendliche sich politisch engagieren, finde ich das unsolidarisch.
Kritiker behaupten, dass Ihr nur schwänzen wollt.
Der Duden erklärt Schwänzen als Wegbleiben vom Unterricht, weil man keine Lust darauf hat. Wir bleiben vom Unterricht weg, weil wir etwas bewegen wollen und ein höheres Ziel haben. Das ist etwas vollkommen anderes.
Sehen das auch Eure Eltern so?
Man sollte natürlich nicht zu viel in der Schule fehlen, das gefällt keinen Eltern. Ich persönlich habe das Glück, dass meine mich unterstützen und verstehen, warum ich mich engagiere. Ich bin da aber privilegiert, weil ich aus einem Bildungsbürgertum-Hintergrund komme. Politische Eltern sind keine Selbstverständlichkeit. Ich möchte dennoch alle Eltern aufrufen, ihre Kinder bei den Streiks so gut zu unterstützen, wie sie können.
Wie wird es mit Euren Protesten weitergehen?
In einzelnen Städten gehen die Jugendlichen weiter wöchentlich auf die Straßen. Für Freitag, den 15. März, ist dann ein internationaler Aktionstag geplant. Das wird auch der nächste bundesweite Schülerstreik sein.
Wie wichtig ist für Euch internationale Vernetzung?
Die Streiks werden in Deutschland und auch international mit Hilfe von Whatsapp-Gruppen koordiniert. Wir müssen anerkennen, dass der Klimawandel ein globales Problem ist und keine Grenzen kennt. Für unseren Protest müssen wir uns dementsprechend auch international organisieren.
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