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Pinocchio aus Stahl

Kopfgeburt und Kampfkapitalismus in »Alita: Battle Angel« von Robert Rodriguez

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 5 Min.

In seinem Film »Alita: Battle Angel«, nach Kishiro Yukitos Manga-Serie »Ganmu«, verwirklicht Robert Rodriguez ein altes Vorhaben James Camerons. Der, leider, zieht es vor, drei weitere »Avatar«-Filme zu produzieren, hat aber wenigstens das Drehbuch geschrieben. Rodriguez’ Absicht, keinen Rodriguez-, sondern einen Cameron-Film zu drehen, bringt Licht in ein hartnäckiges Dunkel. Nicht Mangel an Talent hat, wie wir lange dachten, Rodriguez zu jenem legendär schlechten Regisseur gemacht, sondern ein Mangel an Geschmack. Unterstellt er sein Handwerk, wie nun, dem Willen eines ästhetisch erprobten Verstands, vermag er durchaus Schönheit und Klasse in die Welt zu werfen.

Das ist noch bescheiden gesprochen, denn was das Visuelle betrifft, scheint »Alita« einen Quantensprung zu markieren, so instantan und unerwartet wie vor zehn Jahren »Avatar«. Hier passt alles, nicht bloß technisch, auch künstlerisch. Der Schnitt ist selbst in turbulenten Szenen flüssig, stets bleibt der Sinn für den Raum und die Kontinuität der Bewegungen erhalten. Das CGI (für die Spezialeffekte) bewältigt intensive Dynamik und hohes Tempo zugleich mit einem physikalisch stimmigen Eindruck von Masse und Trägheit. Die Choreografie der Kampfszenen ist gravitätisch, ein Wechsel von Slow Motion und Beschleunigung macht die Kampfbewegungen nicht bloß intensiv, sondern nachgerade zum Tanz. Das im Verbund mit den kräftigen Farben, der hohen Leuchtkraft, den detaillierten Hintergründen, der feinteiligen Bewegung allenthalben wirft den Zuschauer immer wieder um, obgleich er längst im Sessel sitzt.

Auch das Performance Capture ist von ausgesprochener Klasse, und wenn Alita an den bis heute maßgeblichen Gollum nicht ganz heranreicht, dann weniger aufgrund der Produktion, sondern vielmehr, weil Andy Serkis damals die Rolle seines digitalen Lebens gefunden hatte. Gleichwohl bleibt die technisch rekonstruierte Mimik Rosa Salazars tief und nuanciert; bruchlos gehen Trotz und Liebe, Gutmütigkeit und mokantes Lächeln, Flirten und Staunen, Trauer und Zorn ineinander über. Das ist nicht selbstverständlich, da Alitas Gesicht verfremdet wirkt. Die großen Augen in spitz zulaufender Kopfform machen eine Art Alien-Schönheit, wie nicht von dieser Welt, ungetrübt von den Asymmetrien der Wirklichkeit und verstörend. Alita ist so schön, dass es fast schon wehtut. Korrespondierend zu diesem Design verhält sich ihr Charakter: ungetrübt, grundgut. Der innere Widerspruch - ihre Unschuld und die kriegerische Vergangenheit und Bereitschaft zu töten - wird absichtlich unterlaufen.

Es geht ein wenig zu wie bei Pinocchio. Der Wissenschaftler Ido findet auf einem Schrottplatz die Kerneinheit eines Cyborg-Körpers, die Gehirn und Herz fasst. Er schließt sie an die Körperprothese seiner verstorbenen Tochter an und gibt ihr deren Namen: Alita. Forcierter als in der Pinocchio-Fabel, wo die Elternliebe zum Findling unbefangen entsteht, überträgt Ido hier eine vorhandene Liebe auf ein Ersatzobjekt. Die verschwindet aber nicht, als die Prothese (der seiner Tochter verbundene Anteil) zerstört wird und Alita einen neuen Körper erhält. Für Ido ist Liebe eine Entscheidung, wie überhaupt »Entscheidung« der zentrale Begriff dieser Story ist.

Alita kommt nicht als biologisches Wesen auf die Welt, sondern sprachlich, kognitiv, motorisch voll ausgestattet. Ihr Charakter aber steht am Anfang; da sie keine Erinnerungen hat, ist sie das sprichwörtlich unbeschriebene Blatt. Ihre Fähigkeiten sind sekundäre Tugenden, die eine sittliche Richtung erst noch erhalten. »Das ist nur eine Hülle«, sagt Ido über Alitas neuen Körper, »sie ist nicht gut oder schlecht.« Alita entscheidet, was sie sei, indem sie entscheidet, was sie sein will. Ihr Selbstentwurf ist nicht weniger sie als das, was sie vermöge ihres Triebgeschehens ist. Die Handlung rekonstruiert nun genau die Phasen des Heranwachsens: blanke Zutraulichkeit am Anfang, erste eigene Erkundungen (als sie Ido nachts auf die Schliche kommt), Aufbau der Persönlichkeit über das Entdecken eigener Talente (Motorball, Kopfgeldjagd), pubertäre Rebellion (in ihrer Beziehung zu Yugo) und schließlich ein technisierter Initiationsritus (vollzogen durch den Wechsel in einen Erwachsenenkörper).

Wie ein Körper, als Ansammlung von Teilen, eine Seele tragen kann - darum geht es in eigentlich jeder Cyborg-Story. Nur bleibt das Verständnis meist vulgär, insofern das Emergenz-Problem durch einen physisch fassbaren Kern - Herz, Rückgrat, Kopf - unterlaufen wird, worin das Seelische dann doch konkret stecken soll. Davon macht auch »Alita« keine Ausnahme, allerdings entspricht jenem zentralen Begriff der Entscheidung, dass der physische Kern hier im Gehirn liegt. Alita ist eine Kopfgeburt, doch das ändert nichts daran, dass ihre Seele sich erst durch Handeln und Entscheidungen wirklich herausbildet. Und daran wieder hängt die ganze Struktur der behaupteten Welt.

Dem cinematischen Glanz zuwider stapeln sich Schmutz, Niedertracht, terroristische Gewalt von Rackets, Abwesenheit staatlicher Ordnung so hoch auf wie typisch für Cyberpunk, worin die stets selbe Idee eines reinen Kapitalismus mit umfassender Konzernmacht und einer Ordnung ohne Rechtscharakter im Gewand einer Zukunftsvision auftritt. Die Welt von »Alita« teilt sich in Iron City und ein Zalem genanntes Elysion, das über der Stadt schwebt. Eine Jenseits-Diesseits-Struktur also. Nach Zalem gelangt niemand; folglich spielt der Film nahezu vollständig unten. Das Elend dort kommt aber zu hohen Anteilen daraus, dass die Bewohner versuchen, nach Zalem zu gelangen. Sie behandeln einander roh, verräterisch, egoistisch, töten und bestehlen sich. Weil alle in den Zustand des jenseitigen Glücks wollen, keiner aber dort hingelangen kann, wird das Unglück zur allgemeinen Erscheinung im Diesseits. Dieser beißende Realismus, der die Profitdynamik des realexistierenden Kapitalismus beschreibt, wo Gewinn nie Gewinn wird, sondern immer bloß neue Investition, sagt zugleich, dass das Streben nach Profit den Verlust der Seele bedeute. Allein in seine Organe zerlegt kann ein Bewohner Iron Citys nach Zalem gelangen. Man gelangt also dorthin, indem man das Wesentliche, sich selbst, zurücklässt.

Zu befürchten steht, dass dieses wunderbar konsistente Verhältnis in einer Fortsetzung, die entscheidende Prämissen umstößt, kaputtgeht. Schon in der Manga-Vorlage, mit deren ersten beiden Teilen der Film sich mehr oder weniger deckt, wurde die grundlegende Idee durch Fortschreibwut bald zerschossen. Das Ende des Films riecht stark nach Cliffhanger, zumal der Cameo eines sehr bekannten Schauspielers, sichtbar bei der Demaskierung des Schurken Nova, wohl kaum für eine einzelne, kurze Szene verschwendet bleiben dürfte. Man kann sich dennoch entschließen, »Alita: Battle Angel« als Werk für sich zu würdigen, wie ja auch die Verwässerung von »Avatar« durch die geplanten Fortsetzungen nichts an den Erlebnissen ändern kann, die wir vor zehn Jahren im Kino hatten.

»Alita: Battle Angel«, Argentinien, Kanada, USA 2019. Regie: Robert Rodriguez, 122 Min.

Lesen Sie am Samstag in »nd.Die Woche«: Ein Interview mit Christoph Waltz über »Alita«.

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