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Polizei kapert »Freibeuter«
Nach gewalttätiger Auseinandersetzung unter Schiffs-Besetzern wurden die Behörden gerufen
Am Ende kam die Polizei und räumte das besetzte Jugendfreizeitschiff »Freibeuter«. »Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hatte zuvor eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet und ein Räumungsbegehren ausgesprochen«, sagt eine Polizeisprecherin am Sonntag dem »nd«. Danach sei die Polizei in Amtshilfe tätig geworden. Bei der Räumung am vergangenen Freitagabend seien auf dem besetzten Schiff 13 Erwachsene und ein sechsjähriges Kind angetroffen worden, alle hätte das Schiff freiwillig verlassen, das danach dem Bezirksamt übergeben wurde, so die Polizeisprecherin.
»Wir bedauern, dass dieses wunderschöne Projekt gescheitert ist«, hatte das ursprüngliche Besetzer*innenkollektiv »Staub zu Glitzer« bereits am vergangenen Freitag überraschend mitgeteilt. »Leider sehen wir uns gezwungen, mit dem heutigen Tag unseren Rückzug vom ehemaligen Jugendfreizeitschiff ›Freibeuter‹ in der Rummelsburger Bucht bekanntzugeben.« Vier Monate lang hatte das Künstler*innenkollektiv die »Freibeuter« da schon besetzt, zum Schluss sah es sogar so aus, als könnte es noch eine Weile so weitergehen: »Vor zwei Tagen hatte ich noch gedacht, dass der Liegeplatz politisch verteidigt werden kann«, sagte Kollektiv-Sprecher Max. Kurze Zeit später dann die Räumung. Was war passiert?
Nachdem die »Freibeuter« im Oktober vergangenen Jahres von »Staub zu Glitzer« gekapert worden war, wurden die Besetzer*innen nach Verhandlungen mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und dem Senat geduldet. Seitdem fanden auf dem Schiff Veranstaltungen wie Yogakurse, eine Kreativwerkstatt oder Kochabende statt, insbesondere letztere wurde auch von den Obdachlosen im nahe gelegenen Camp gerne besucht. Da der See jedoch schwer mit Giftstoffen belastet ist und daher saniert werden soll, hatten sich die Besetzer*innen zuletzt nach alternativen Liegeplätzen umgeschaut – und auch gefunden. Auch der Streetwork Verein Karuna, der sich seit Dezember um die Obdachlosen in der Bucht kümmert, hatte Interesse bekundet, auf dem Schiff ein Projekt mit jugendlichen Obdachlosen zu starten.
Wie konnte es also so weit kommen? »Mitte Januar kamen die Leute aus den umliegenden Booten auf uns zu und haben gefragt, ob sie einen Raum haben können, um ihre Boote zu reparieren«, erzählt Max. Dies sei ihnen auch gewährt worden, mit der Zeit hätten jedoch immer mehr Boote angelegt, die über den Winter bleiben wollten. Vor einigen Tagen sei dann in die eigens eingerichtete Werkstatt eine Gruppe eingezogen, die keine Anstalten machte, wieder gehen zu wollen. Die neuen Besetzer*innen hätten plötzlich Besitzansprüche angemeldet und eigene Pläne für die »Freibeuter« entwickelt. Die bestehen laut »Staub zu Glitzer« hauptsächlich aus Feiern und Drogenkonsum. »Sie haben sämtliche Absprachen ignoriert und sieben Tage am Stück Techno-Partys gefeiert«, so Max. »Es wurde immer schlimmer. Irgendwann haben sie dann die Anarchie ausgerufen.«
Da die »Freibeuter« nach dem Willen der alten Besetzer*innen jedoch kein Partyschiff werden soll, sondern auch von Sportvereinen, Kindergruppen oder Familien genutzt werden können soll, kam es am späten Dienstagabend zu einer Auseinandersetzung, bei der die Bootsleute zum Gehen aufgefordert wurden. Die Situation eskalierte, als einer der Neuankömmlinge ein Mitglied des Kollektivs mit einem »schusswaffenähnlichen Gegenstand« bedroht haben soll. Was dann folgte, war in vielen Medien zu lesen: Die Besetzer*innen riefen die Polizei, als der Tatverdächtige mit seinem Motorboot floh, wurden die Wasserschutzpolizei, ein Hubschrauber und das Spezialeinsatzkommando (SEK) zur Unterstützung angefordert. Letztlich blieb die Suche jedoch erfolglos und die neuen Besetzer*innen hatten sich im Schiff verbarrikadiert.
Die neuen Besetzer*innen, die sich Buchtpiratinnen nennen, stellen den Vorgang anders dar: Eine*r von ihnen sei von »drei ihr unbekannten Männern bedroht und geschlagen« worden, teilten sie auf einem linken Nachrichtenportal mit. Konflikte über die Nutzungsweise der Räume und Vorwürfe über Lautstärke, Schmutz und Drogenkonsum hätten in den letzten Tagen zu andauernden Streitigkeiten geführt. Als Reaktion auf den Angriff hätten sie sich verbarrikadiert und seien von einem massiven Polizeiaufgebot überrascht worden. Der Vorwurf der Bedrohung mit einer Waffe sei völlig haltlos, hieß es.
Am Donnerstagabend versuchte das alte Kollektiv noch einmal, mit den Neuen zu verhandeln – erfolglos. »Mich wundert, dass es nicht in eine Massenschlägerei ausgeartet ist«, sagt Max, der Sprecher. Den neuen Besetzer*innen ginge es nicht um das Schiff, sondern darum, wer in der Bucht das Sagen hat. »Das ist unsere Bucht«, sollen sie zu den ursprünglichen Besetzer*innen gesagt haben. Offenbar nicht für lange. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg erklärte, dass es eine widerrechtliche Neubesetzung unterbinden werde. Das teilte Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) mit. Nach der Räumung werde das Schiff bis zum Abtransport gesichert und eine gemeinwohlorientierte Nachnutzung an einem neuen Liegeplatz geprüft.
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