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Dick trifft Doof
Im Kino: »Vice« - eine Politsatire über die Karriere des einstigen US-Vizepräsidenten Dick Cheney
Es beginnt 1950 in Wyoming, wo die Welt nicht heil, aber noch in Ordnung ist. Der Landarbeiter Dick Cheney gerät betrunken in eine Polizeikontrolle. Es ist der Moment, in dem sich sein Leben ändert. Seine Frau Lynne stellt ihn vor die Wahl: Entweder er mache etwas aus sich oder sie werde ihn verlassen. So lernt er bei Donald Rumsfeld das Handwerk einer Politik ohne Inhalt. Ein halbes Dutzend Wahlperioden später erkennt er in George W. Bush einen gut zu führenden Frontmann, hinter dem er als Schattenpräsident das Land regieren kann. Dick trifft auf Doof, das ist die Lesart.
Ganz geradlinig, einfach am Leben entlang erzählt der Film »Vice« seine Geschichte - keine Konzentration auf einen exemplarischen Abschnitt, wenige Zeitsprünge, selten ist der Mut zur Auslassung erkennbar.
Auch die berüchtigte Episode von der Entenjagd darf nicht fehlen: Lieblos hineingezwängt, stillt sie den Durst nach Gossip, woran sich Pars pro Toto das Problem des Films überhaupt zeigt: »Vice« überzeugt technisch, künstlerisch, als Inszenierung und Gefäß für starkes Schauspiel - als Erzählung oder Erklärung nicht.
Szenenbild und Make-up machen unmerklich die langzeitigen Veränderungen von Cheney und des Weißen Hauses deutlich. Christian Bale hat das physische Moment mit seinen Metamorphosen ohnehin auf seiner Seite, die Mimik aber ist so authentisch Cheney, dass man ihn wirklich vor sich glaubt. Sam Rockwell und Steve Carell spielen ihre Paradetypen. Amy Adams dagegen verhindert mit reifem Spiel, dass der Film vollends in die Farce kippt.
Nicht nur hieran wird kenntlich, dass der Regisseur Adam McKay von der Komödie kommt. Was Hollywood letzthin in seinem Sorgengenre dennoch vermocht hat, ist besonders ihm zu danken: »Anchorman« (2004), »The Other Guys« (2010). Sein erster Versuch in der Historie war beachtlich, »The Big Short« (2015) ist knapp unterm Meisterwerk. »Vice« scheint diese Geschichte jetzt wiederholen zu wollen. Die Mittel gleichen sich, insonders das Spiel über die Rampe, Voiceover, Einflechten unwirklicher Szenen (dort erklärt Margot Robbie in der Badewanne die Finanzwelt, hier serviert Alfred Molina als Kellner ein Politikresümee). McKay opfert die dramatische Einheit zugunsten der Möglichkeit, das Gezeigte zu kommentieren. So werden beide Filme formal hybrid und passagenweise erdrückt von plakativer Propaganda. »The Big Short« konnte den Widerspruch zwischen Inhalt und Erzählung besser bewältigen, ist vielseitiger und dennoch einheitlicher.
Der Film »Vice« leidet unter seiner Agenda. McKay gibt sich zufrieden, das konservative Gefühl mit linksliberaler Gewissheit zu schneiden. Sein Cheney scheint auf als Karikatur Machiavellis, ohne sittliche Idee. Vollends verkannt ist die historische Bedeutung der Bush-Administration als Wahrheitsereignis der bürgerlichen Gesellschaft, die im »Krieg gegen den Terror« zu sich kommt: Abbau der Bürgerrechte, Folterpraktiken, Informationskontrolle, Schattentreiben der Geheimdienste, all das beschämt die conveniente Selbsterzählung des Kapitalismus. Die Liberalität, als das große Argument gegen konkurrierende Gesellschaftsmodelle, ist nicht durchzuhalten, wenn die Gesellschaft in ihre interne Krise gerät, die sie als Angriff von außen missdeutet. Erschüttert wurde die vormalige Gewissheit vom Ende der Geschichte, nicht bloß eine unter vielen Weltanschauungen, sondern die universelle zu besitzen - übergreifend und folglich übergriffig. Der militärische Interventionismus ist ohne diesen Glauben nicht denkbar, und in Cheney erhält diese objektive Paradoxie eine nassforsche Gestalt. Stattdessen, leider, sehen wir in »Vice« viel Schatten und wenig Präsident.
»Vice - Der zweite Mann«, USA 2018. Regie/Drehbuch: Adam McKay; Darsteller: Christian Bale, Amy Adams, Steve Carell, Sam Rockwell. 132 Min.
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