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Auf der Höhe der Zeit

Das Bundesarbeitsgericht rüttelt am Sonderstatus von Kirchen als Arbeitgeber

Es wirkte wie aus der Zeit gefallen: die fristlose Kündigung nach zweiter Heirat. Doch zehn Jahre lang musste der ehemalige Chefarzt eines katholischen Krankenhauses in Düsseldorf dafür kämpfen, dass ein alltäglicher privater Entschluss nicht seine berufliche Existenz kostet. Der Fall des Internisten beschäftigte die höchsten Gerichte in Deutschland und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.

Diesen Mittwoch erklärte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Kündigung nun für unwirksam und rüttelt damit am Sonderstatus der Kirchen als Arbeitgeber. Weder verletze der Kläger mit seiner Wiederverheiratung »eine wirksam vereinbarte Loyalitätspflicht noch eine berechtigte Loyalitätserwartung« des kirchlichen Arbeitgebers, erklärten die Bundesrichter in Erfurt. Sie sehen den Arzt zudem gegenüber leitenden Mitarbeitern anderer oder ohne Religionszugehörigkeit benachteiligt. Denn die müssten in der Klinik nach den Regelungen in der Grundordnung der katholischen Kirche keine Kündigung fürchten. Dies stellt einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und EU-Recht dar, betonen die Richter in ihrem Grundsatzurteil. Nur wenn die Einhaltung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre für die berufliche Tätigkeit eine »wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung darstellt«, könne eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein, erklärte das Gericht. Dass ein Chefarzt wegen seiner zweiten Ehe seine Arbeit nicht mehr korrekt ausüben kann, dafür fehlt dem Bundesarbeitsgericht offenkundig die Fantasie.

Wenn es nach den Arbeitsrichtern gegangen wäre, hätte der Arzt bereits vor Jahren recht bekommen. 2011 erklärte das BAG die Kündigung zum ersten Mal für unwirksam. Unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen hob das Bundesverfassungsgericht dieses Urteil jedoch auf und verwies es nach Erfurt zurück. Die staatlichen Gerichte dürften sich nicht über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen, solange dieses nicht in Widerspruch zu »grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen« stehe. Erst auf einer »zweiten Prüfstufe« seien die Grundrechte der Arbeitnehmer mit den geschützten Interessen der kirchlichen Belange in »Ausgleich zu bringen«.

Im zweiten Durchlauf holte sich das BAG Rückendeckung beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Dieser entschied im Oktober, die Anerkennung des katholischen Eheverständnisses durch den Arzt sei keine wesentliche Voraussetzung für seine Tätigkeit. Also sei die Kündigung als verbotene Diskriminierung der Grundrechtecharta der Europäischen Union zu werten. Derart gewappnet hielten die Erfurter Richter nun an ihrer ursprünglichen Entscheidung fest.

Es ist ihr zweites Kirchenurteil innerhalb weniger Monate. Im Oktober 2018 hatten sie bereits mit einer Entscheidung im Fall der Diakonie der evangelischen Kirche für Aufsehen gesorgt. Die Richter schränkten die Freiheit der Kirchen ein, besondere Anforderungen an die Religionszugehörigkeit von Bewerbern bei Stellenausschreibungen zu stellen. Das sei nur unter besonderen Bedingungen zulässig, so ihr Urteil im Fall einer Sozialpädagogin aus Berlin. Geändert haben kirchliche Einrichtungen ihre Einstellungspraxis nach diesem Urteil allerdings kaum. Sie warten auf das schriftliche Urteil und wollen dann möglicherweise erneut ihre Verbündeten in Karlsruhe anrufen. Auch in dem Chefarztfall behalten sie sich eine neuerliche Verfassungsbeschwerde vor. In diesem Fall könnte es zu einem Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem EuGH kommen, welches Gericht das letzte Wort hat.

Das Erzbistum Köln verwies nach dem Urteil auf die mittlerweile geänderte und nicht mehr so strenge Grundordnung des kirchlichen Dienstes. Der Kündigungssachverhalt wäre nach heute geltendem Kirchenrecht anders zu beurteilen, hieß es. In der Tat haben die Kirchen unter dem Druck von Gerichten in den letzten Jahren ihre Ansprüche ein stückweit abgeschwächt, einige gelten nun vor allem für höhere Funktionen. Abgeschafft sind die Sonderregeln aber bis heute nicht. Immer wieder müssen deshalb Arbeitsgerichte über Kündigungen von Kirchenmitarbeitern entscheiden, die gegen den kirchlichen Glauben oder die kirchliche Sittenlehre verstoßen haben sollen.

Für Beschäftigte, Gewerkschaften oder Bürgerrechtsorganisationen ist dies ein weiterer Etappensieg im Kampf gegen einen Sonderweg, der von den mehr als eine Million Angestellten in kirchlichen Kindergärten, Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen die Einhaltung bestimmter Loyalitäts- und Moralverpflichtungen verlangt und ihnen überdies gängige Arbeitnehmerrechte wie das Streikrecht oder die betriebliche Mitbestimmung nimmt. So findet das Betriebsverfassungsgesetz in kirchlichen Einrichtungen keine Anwendung. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz formuliert zudem Ausnahmen vom gültigen Diskriminierungsverbot. Aus Sicht der Kritiker sind diese Einschränkungen nicht länger zu rechtfertigen, zumal die öffentliche Hand einen Großteil der Kosten von kirchlichen Altenheimen, Krankenhäusern und Kitas trägt.

Der Sonderstatus der Kirchen gerät aber zunehmend auch von innen unter Druck. So streikten Beschäftigte von katholischen Krankenhäusern schon mehrfach für mehr Personal. Mit Agenturen

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