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Politikmonopol für Parteien

Alfred Eibl von Attac über den drohenden Entzug der Gemeinnützigkeit und Angriffe auf die Zivilgesellschaft

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach einem Urteil vom Bundesfinanzhof droht Attac der endgültige Entzug der Gemeinnützigkeit. Kritiker warnen vor einem Angriff auf die gesamte Zivilgesellschaft. Zu Recht?
Ja. Im Prinzip droht mit dem Urteil und seiner Begründung jedem gemeinnützigen Verein, der sich irgendwie politisch äußert, der Verlust der Gemeinnützigkeit. Und politisch kann ja alles sein. Die Finanzämter - und damit die politischen Entscheidungsträger - haben nun einen sehr weitreichenden Hebel, mit dem sie eingreifen können. Allein die Angst davor wird Organisationen zu defensivem Verhalten bringen.

Wie lautet die Begründung?
Das Urteil argumentiert sehr politisch und wenig juristisch. Beispielsweise steht in der Begründung: »Politische Bildung ist nicht förderbar, wenn sie eingesetzt wird, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.« Jede politische Bildung beeinflusst aber die Meinung von Menschen und damit auch die öffentliche Meinung. Ein zweiter Satz: »Bei der Förderung der Volksbildung hat sich die Einflussnahme auf bildungspolitische Fragestellungen zu beschränken.« Volksbildung umfasst für Attac alle Bereiche der Gesellschaft und nicht nur bildungspolitische Fragestellungen. Die Abgabenordnung, die die vom Gesetzgeber festgelegten gemeinnützigen Zwecke festlegt, wird in dem Urteil sehr einschränkend interpretiert.

Was vermuten Sie als Motivation der Richter?
Das Urteil spricht Parteien ein Monopol auf politische Arbeit zu. Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, sich gegen eine Einschränkung der Zivilgesellschaft zu stellen. In anderen Staaten kritisiert der Bund solche Entwicklungen - im eigenen Land fängt er nun ebenfalls mit Einschränkungen an. Der Zivilgesellschaft werden durch das Urteil Artikulationsmöglichkeiten genommen.

Die Vorstellung, dass nur Parteien politische Akteure sind, scheint aus heutiger Sicht veraltet.
Das Steuerrecht wurde lange nicht mehr an die heutige Zeit angepasst, in der Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen eine zentrale Rolle spielen. Nichtsdestotrotz sehen wir unsere Tätigkeiten auch durch die aktuelle Fassung abgedeckt. Das hatte ja auch das hessische Finanzgericht mit seinem Urteil in der Vorinstanz 2016 so bestätigt. Aber die Abgabenordnung lässt ebenso eine andere Interpretation zu, wie wir jetzt sehen. Damit diese ausgeschlossen werden kann, braucht es Rechtssicherheit.

Also eine Überarbeitung der bisher 25 gesetzlich akzeptierten gemeinnützigen Zwecke?
Wir sind Teil der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung«, die genau solch eine Veränderung anstrebt. Beispielsweise wollen wir die Förderung der Menschenrechte mit aufnehmen. Die Regelungen müssen auch eine dynamische Zivilgesellschaft mitdenken.

Wie?
Die von gemeinnützigen Unternehmensverbänden oder Familienstiftungen finanzierten Gutachten werden von den Finanzämtern nicht kritisiert. Wenn Attac aber Menschen auf die Straße bringt, soll das plötzlich nicht mehr förderungswürdig sein. Die verschiedenen Artikulationsformen müssen alle akzeptiert werden. Es ist ja sicher auch kein Zufall, dass grade uns die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Wir arbeiten von der Demo bis zur Bildungsveranstaltung mit verschiedensten Mitteln.

Wird Attac gegen das Urteil vorgehen?
Der Richterspruch vom Bundesfinanzhof ist noch nicht das endgültige Urteil, die Entscheidung wurde ja wieder auf die vorherige Instanz zurückverwiesen. Wir warten jetzt das endgültige Urteil ab und werden danach rechtliche Schritte prüfen. Das ist aber nur der eine Pfad. Parallel stellen wir an die Politik die Forderung, den Schutz der Zivilgesellschaft auch im Inland umzusetzen und die Abgabenordnung zu reformieren. Außerdem werden wir natürlich unsere inhaltliche Arbeit unverändert und mit noch mehr Energie fortsetzen.

Warum ist für Nichtregierungsorganisationen der Status der Gemeinnützigkeit so wichtig?
Der Status der Gemeinnützigkeit wird als gesellschaftliches Gütesiegel wahrgenommen. Die Botschaft lautet: Man handelt im gesellschaftlichen Interesse. Zudem hängt an der Gemeinnützigkeit auch die Absetzbarkeit von Spendenbeiträgen. Der Status bedeutet eine steuerliche Förderung. Es ist nun wirklich nicht einzusehen, dass einerseits Berufsverbände, die konkrete wirtschaftliche Sonderinteressen verfolgen, steuerbegünstigt Beiträge einziehen können. Menschen, die sich für gesellschaftliche Interessen einsetzen, werden andererseits benachteiligt. Unsere Positionen zur Erbschaftssteuerreform oder Grundsteuerreform wurden in der Vergangenheit sogar vom Bundesverfassungsgericht vertreten. Dieser Widerspruch ist nicht hinnehmbar.

Attac wurde 2014 der Status der Gemeinnützigkeit entzogen. Wie ist heute die Lage des Netzwerks?
Das Finanzielle ist schon ein Thema. Unsere Mitglieder halten uns aber die Treue. Die Beiträge kommen, wir haben auch keinen großen Mitgliederrückgang. Die Probleme fallen besonders auf, wenn wir mit gemeinnützigen Organisationen zusammenarbeiten, die wiederum darauf achten müssen, nur mit anderen gemeinnützigen Initiativen zu kooperieren. Attac muss die Zusammenarbeit dann so organisieren, dass die Gemeinnützigkeit unserer Partner nicht infrage gestellt wird. Wir stehen hier jetzt auf einem schwankenden Boden, der Druck wird noch zunehmen. Das betrifft aber nicht nur Attac, sondern alle Nichtregierungsorganisationen.

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