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  • CDU-Chefin verletzt Intersexuelle beim Karneval

»Kramp-Karrenbauer ist unglaublich dumm oder unvorstellbar ahnungslos«

Der Internetblogger Johannes Kram erklärt im »nd«-Interview die Probleme des Karnevalwitzes der CDU-Chefin

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 7 Min.

Die CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat beim Karneval im baden-württembergischen Stockach einen Witz über inter- und transsexuelle Menschen gemacht. Der Blogger Johannes Kram lebt offen schwul in Berlin und beschäftigt sich seit Jahren mit Homophobie. Im Interview erklärt Kram, warum sich die von dem Witz betroffenen Menschen verletzt fühlen und er auch für die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland ein Problem ist.

Herr Kram, die CDU-Parteichefin hat folgenden Witz gemacht: »Guckt Euch doch mal die Männer von heute an: Wer war denn von Euch vor Kurzem mal in Berlin. Da seht Ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion. Die, die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon Sitzen müssen. Dafür – dazwischen – ist diese Toilette.« Was ist an diesem Witz problematisch?

Johannes Kram
Johannes Kram lebt offen schwul in Berlin und ist Autor, Textdichter, Blogger und Marketingstratege. Seit 2009 betreibt er das Nollendorfblog. 2018 wurde er mit dem Europäischen Tolerantia Award ausgezeichnet. Sein Buch "Ich hab ja nichts gegen Schwule,  aber - Die schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft" hat eine neue Debatte über Alltagshomophobie ausgelöst. 

Da sie damit eine Zielgruppe trifft, in der das von vielen aus guten Gründen als Verletzung wahrgenommen wird. Intersexuelle werden immer noch häufig zwangsoperiert im Genitalbereich. Und genau diesen Genitalbereich macht Kramp-Karrenbauer zum Lacher. Es gibt Intersexuelle, die ohne gefragt zu werden ganz oft operiert werden mussten, um aus einer gesellschaftlichen Normerwartung im Stehen Pinkeln zu können. Das heißt, Kramp-Karrenbauer greift sich ein größtmögliches Leid vor, um es größtmöglich lächerlich zu machen.

So wie Sie den Witz vorgetragen hat, war er ein Mittel, um sich selbst als starke Frau darzustellen.

Ja, aber wenn sie Intersexuelle als Männer und vor allen Dingen als Männer mit Luxusproblemen darstellt, ist sie genau das nicht: eine starke Frau. Sie geht ja nicht gegen die Privilegierten vor, sondern gegen Menschen, die gerade dabei sind, ihre Rechte zu erstreiten. Was mir ganz wichtig ist: Durch den Witz ist nicht nur eine Minderheit beleidigt sondern auch die Mehrheit. Weil es offensichtlich ist, dass die CDU-Chefin keine andere Möglichkeit sieht, die Mehrheit für sich zu bekommen, außer über niedrige Instinkte.

Von Trans- und Interpersonen hat Kramp-Karrenbauer selbst nicht gesprochen, sondern vom »dritten Geschlecht«.

Das ist natürlich Blödsinn, wie sie hoffentlich selbst weiß, weil es kein drittes Geschlecht gibt, sondern eine Vielfalt. Sie meint die dritte Option, die auch von ihrer Partei mitbeschlossen wurde, weil das Bundesverfassungsgericht das vorgegeben hatte. Sie tut so, als ob das Menschen mit Luxusproblemen seien, die in Berlin Mitte sitzen, im Szenekaffee und sich aus Langeweile ein neues Geschlecht aussuchen. Entweder unglaublich dumm, oder unvorstellbar ahnungslos für eine Spitzenpolitikerin. Oder unglaublich dreist.

Ist es ein Unterschied, wenn sich Trans- und Interpersonen selbst übereinander lustig machen, oder wenn sich eine heterosexuelle Person über sie lustig macht?

Ja. Innerhalb von Minderheiten gibt es eine ganz lange Tradition darin, sich über sich selber lustig zu machen. Generell haben wir es als LGTBI geschafft, böse Wörter wie »schwul«, wie »dyke«, wie »Tunte« positiv zu besetzen. Auch in der Bürgerrechtsbewegung in Amerika wurden Schimpfwörter von den Betroffenen zum eigenen Empowerment verwendet. Aber es ist etwas völlig anderes, wenn das die Minderheit selber tut, als wenn es die zweitmächtigste Frau Deutschlands macht und auf die losgeht, die gerade um ihre Unversehrtheit kämpfen und unter den Eingriffen und Erwartungen der Gesellschaft gerade erst emanzipieren.

Wie könnte man über Intersexuelle, aber auch über Homosexuelle, Witze machen, ohne diese zu verletzten?

Natürlich muss man auch über Inter-, Trans- und Homosexuelle Witze machen dürfen. Die Frage ist nur, ob es eine Abwertung ist. Und ich glaube, in Deutschland tun sich ganz viele Leute damit schwer, diesen Unterschied zu verstehen: Über etwas lachen oder etwas lächerlich machen. Der Deutsche lacht besonders gerne nach unten. Da sind wir halt leider noch etwas schlicht.

Wie meinst Du das?

Auch wenn es lustig ist, ist es ein Ausdruck von Homophobie oder Transphobie oder was auch immer, wenn damit eine Abwertung verbunden ist.

Und wie geht es besser?

Augenhöhe ist wichtig. Dann kann man auch über Schrulliges, über bizzarre Klischees lachen. Oder über blöde Vorurteile, die mit ihnen verbunden sind. Aber nur auf die Abwertung zu gehen, zu gucken, dass jemand gedemütigt wird und dann in einem angetrunkenen, johlenden Festsaal einen Tusch darauf blasen zu lassen, das ist doch bitte wirklich nicht das Niveau von jemandem, den wir uns ernsthaft als Bundeskanzlerin vorstellen wollen.

Du findest das skandalös und wahrscheinlich andere Betroffene, die sich selbst als intersexuell definieren…

Ich weiß von Betroffenen, dass es traumatisch empfunden wurde. Es war ein öffentliches Vorführen und der provozierte Applaus wirkt dann wie eine gesellschaftliche Entsolidarisierung. Es ist Gewalt durch Sprache. Was mir wichtig ist: Niemand will Kramp-Karrenbauer verbieten, Witze zu machen. Als Aktivist ist es nicht meine Aufgabe, Sprachpolizei zu spielen. Mir geht es nur darum, darauf hinzuweisen, was sie damit auslöst und dass sie sich ihrer Verantwortung stellt, die sie in ihrer Position hat. Wenn sie – wie viele in ihrer Partei – jetzt auch in dieses »Jetzt darf man schon gar nichts mehr sagen, über gar nichts mehr lachen«-Narrativ einschwenkt, ist das ein weiterer Sieg des Populismus in Deutschland.

In den Medien wurde der Witz erst am Samstagabend zum Skandal, nachdem Sie schon auf diversen Plattformen über ihn gebloggt hatten. Was hat Sie bewegt, über den Witz zu schreiben?

Ich habe zunächst auf meiner privaten Facebookseite geschrieben und als ich dort viel positives Echo erhielt, später einen Beitrag auf dem BILDblog veröffentlicht. Ich hatte den Karrenbauer-Auftritt im Fernsehen gesehen und dachte, das sei eine Livesendung. Ich wusste nicht, dass es schon zwei Tage alt ist. Und als ich diesen Post veröffentlichte, wurde es auch in anderen Medien Thema und Politiker*innen haben sich bei mir gemeldet. Das höchst merkwürdige an der Sache ist, dass das Ganze am Donnerstag live im Fernsehen übertragen worden ist und ganz viele Spitzenpolitiker vor Ort waren. Also nicht nur CDU-Politiker, sondern auch SPD-Politiker und Grüne. Andrea Nahles war da, Thomas Strobl war da, Annette Schavan war da. Und keiner hat sich danach öffentlich geäußert, dass ihn das stört. Vor allem ist es aber ein Medienversagen, weil keiner der vielen anwesenden Journalist*innen auf die Idee kam, das aufzuschreiben. Vor allem beim SWR, der das ja übertragen hat, muss man sich fragen lassen, wie das passieren konnte.

Der Witz ist in den Medien also erst zum Thema geworden, als Sie ihn skandalisiert haben?

Es hat niemand über ihn berichtet, bis ich darüber gepostet habe. Obwohl es zuvor live im Fernsehen lief! Da stellt sich natürlich die Frage, wie sehr sich heute die Grenzen des Sagbaren bereits verschoben haben, dass so etwas nicht auffällt. Also: Was in Deutschland eigentlich noch gerade so alles vor laufender Kamera gesagt werden kann, ohne dass es jemand mitbekommt?

Werden beim Karneval dieses Jahr mehr Witze auf Kosten von Trans-, Inter- und Homosexuellen gemacht?

Ach, der Karneval war natürlich nie irgendwie besonders feinfühlig, was Minderheiten angeht. Das heißt, da wurde immer schon geledert. Was ich beobachte ist, dass man besonders Homosexuelle jetzt als privilegiert empfindet. Dass man denkt, die können es doch, die haben doch jetzt alles, ja die dürfen jetzt sogar heiraten. Also dass man sagt: »Was habt ihr eigentlich noch?« Und dabei werden die vergessen, denen es immer noch schwer gemacht wird. Natürlich gibt es Menschen wie mich, mit `ner großen Klappe und einer Möglichkeit zu Publizieren. Ich habe keine Probleme, mich durchzusetzen. Doch ein Coming-out ist immer noch ein Riesending. Die »schwule Sau« ist das häufigste Schimpfwort an den Schulen. Und nur ein Drittel aller LGTBI trauen sich, out im Job zu sein. Und wenn Kramp-Karrenbauer wegen ihrer homophoben Rhetorik Bundeskanzlerin wird, ist das kein Signal dafür, dass sich das bald ändert.

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