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Eine feministische Außenpolitik
Nur wenn Frauen gleichberechtigt mitentscheiden können, gibt es eine Chance für eine gerechte und sichere Welt
2014 verkündete die schwedische Außenministerin Margot Wallström, dass ihr Land mit seiner Außenpolitik von nun an feministischen Prinzipien folgen würde - als erstes Land weltweit. Seitdem bemüht sich die schwedische Regierung, ihre gesamte außenpolitische Agenda konsequent durch eine Genderperspektive zu betrachten, die Rechte von Frauen und Mädchen weltweit nachhaltig zu stärken und Diskriminierung entgegenzuwirken. Weiteres Ziel ist es, gleichwertigen Zugang und Einfluss von Frauen in allen politischen Entscheidungsprozessen zu sichern und finanzielle sowie politische Ressourcen für Initiativen zur Verfügung zu stellen, die eine Gleichberechtigung stärken. Zudem sollen die außenpolitischen Analysen verstärkt gendersensibel gestaltet werden, das heißt explizit auch die Situation von Frauen und Mädchen widerspiegeln.
Die Entscheidung der schwedischen Regierung, eine feministische Außenpolitik zu verfolgen, war bahnbrechend und hat inzwischen viele weitere Akteur*innen dazu ermutigt, Außenpolitik feministisch zu denken: Unser Centre for Feminist Foreign Policy gründete sich im Winter 2016. Im Juni 2017 verkündete die kanadische Regierung, von nun an eine feministische Entwicklungspolitik zu verfolgen und im September 2018 verpflichtete sich die britische Women’s Equality Party einer feministischen Außenpolitik. In Deutschland fordern Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Wahlprogramm für die Europawahl 2019 eine feministische europäische Außenpolitik, während sich die schwedische Feministische Initiative für eine feministische europäische Handels- und Umweltpolitik einsetzt.
Nina Bernarding und Kristina Lunz sind Geschäftsführerinnen des Centre for Feminist Foreign Policy in Deutschland (CFFP; Zentrum für Feministische Außenpolitik). Bernading, Jahrgang 1987, war u. a. für die UNO in Sudan und New York tätig. Lunz, Jahrgang 1989, ist Mitbegründerin des deutschen CFFP sowie Beraterin im Auswärtigen Amt; sie war für die UNO u. a. in Myanmar und New York tätig.
Der hier leicht gekürzt dokumentierte Text entstammt dem März-Heft des in Potsdam erscheinenden außenpolitischen Journals »WeltTrends«. Es enthält u.a. einen Themenschwerpunkt zur Geschlechtergerechtigkeit in der internationalen Politik.
Zum Weiterlesen: welttrends.de
Bahnbrechend war die Entscheidung der schwedischen Regierung auch deshalb, weil sie mit der Neuausrichtung ihrer Außenpolitik den Status quo aktueller außenpolitischer Analysen, Ziele und Prozesse infrage gestellt hat und ein neues Konzept vorlegt, wie Außenpolitik gestaltet werden kann. Obwohl eine feministische Analyse von Außenpolitik keine neue Entwicklung ist - spätestens seit den 1980er Jahren gewann eine solche immer mehr an Bedeutung in der Wissenschaft - dominiert noch immer der Ansatz des politischen Realismus das außenpolitische Denken.
Nach wie vor privilegieren die institutionellen Strukturen und kulturellen Normen die Perspektiven und Ideen derjenigen Akteur*innen, die der weißen, männlichen Norm am nächsten kommen. Es sind genau diese Traditionen und Konventionen, die ohne die Beteiligung des größten Teils der Bevölkerung geformt wurden, denen die schwedische Regierung ihre Vision einer feministischen und friedlicheren Welt gegenübergestellt.
Im ersten Schritt bedeutet eine feministische Außenpolitik die Anerkennung struktureller Ungleichheiten weltweit - nicht nur, aber vor allem zwischen Geschlechtern - sowie ein Verständnis von Gewalt gegen und Diskriminierung von Frauen und Mädchen sowie anderer politischer Minderheiten als Ausdruck patriarchaler Strukturen - und nicht als gelegentliche Gewaltausbrüche. Eine feministische Außenpolitik hinterfragt und analysiert real existierende Machtstrukturen und Machtverteilungen. Sie fragt: Wer hat Macht? Wie wird sie eingesetzt und erhalten? Welche Erfahrungen und wessen Perspektiven werden bei Entscheidungen berücksichtigt? Wer trifft die Entscheidungen?
Im zweiten Schritt bedeutet eine feministische Außenpolitik, alle außenpolitischen Entscheidungen darauf auszurichten, diese strukturellen Ungleichheiten zu beseitigen sowie Strukturen und kulturelle Normen, die unterdrücken und ausschließen - wie patriarchale Strukturen oder die Ideen der weißen Vorherrschaft (»white supremacy«) - zu überwinden. Um das zu erreichen, berücksichtigt eine feministische Außenpolitik die Bedürfnisse und Perspektiven von politisch und gesellschaftlich marginalisierten Bevölkerungsgruppen; also jene, die traditionell eine untergeordnete Rolle in außenpolitischen Prozessen spielen. Dabei erkennt sie an, dass sich mehrere Formen von Diskriminierung - aufgrund von Hautfarbe, Alter, Religion oder Klasse - überlappen und neue Formen von Diskriminierung entstehen können.
Eine feministische Außenpolitik ist daher immer intersektional. Da somit die Erfahrungen marginalisierter Akteur*innen betont werden, erkennt sie den oder die Einzelne*n als Adressat*in von Sicherheit an - und nicht den Staat. Damit wendet sich feministische Außenpolitik gegen die im realpolitischen Diskurs vorherrschende Annahme, dass sichere Staaten automatisch zu Sicherheit der Menschen führen und erkennt an, dass auch - und vor allem - Staaten und staatliche Strukturen Unsicherheiten für Menschen schaffen. Ziel einer feministischen Außenpolitik ist es daher, menschliche Sicherheit zu stärken, die sie als »Sicherheit vor ständiger Bedrohung durch Hunger, Krankheit, Kriminalität und Repression sowie Schutz vor plötzlichen, verletzenden Störungen des täglichen Lebens - ob zu Hause, am Arbeitsplatz oder in Gemeinschaften« definiert.
Weil sie die Erfahrungen marginalisierter Gruppen betont, erkennt eine feministische Außenpolitik zudem an, dass politische Entscheidungen das Leben von verschiedenen Menschen unterschiedlich beeinflussen können, unter anderem abhängig von Faktoren wie Gender, Alter und Hautfarbe. Dadurch, dass immer noch mehrheitlich weiße, westliche Männer die diplomatischen und sicherheitspolitischen Kreise dominieren und formen, gilt ihre Perspektive als Norm und wird als Maßstab angesehen, während die Perspektiven politischer Minderheiten als Abweichungen beiseitegeschoben werden: Androzentrismus in seiner reinsten Form. Die Konsequenz sind unvollständige Analysen und fehlerhafte politische Entscheidungen, die dadurch die strukturelle Diskriminierung von politisch marginalisierten Gruppen verfestigen.
Bereits im Jahr 2000 erkannte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Resolution 1325 an, dass Konflikte nicht nachhaltig beendet werden können, wenn Frauen weiterhin von Friedens- und Versöhnungsprozessen ausgeschlossen sind und ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden; insbesondere deshalb, weil Frauen und Mädchen anders unter gewalttätigen Konflikten leiden als Männer und Jungen. Inzwischen belegen Studien, dass Friedensabkommen eine 35 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, mindestens 15 Jahre zu halten, wenn Frauen an dem Friedensprozess beteiligt waren.
Die UN-Resolution 1325 legte den Grundstein für die Agenda »Frauen, Frieden und Sicherheit« - eine wichtige Säule einer feministischen Außenpolitik. Seit 2000 wurden sieben weitere UN-Resolutionen verabschiedet, die sicherstellen sollen, dass Frauen entlang des Konfliktzyklus - also von der Prävention bis hin zur Postkonfliktphase - gleichberechtigt Einfluss auf politische Prozesse nehmen können. Wenn Regierungen ihre Ankündigungen, nachhaltigen Frieden fördern und Konflikte vorbeugen zu wollen, ernst nehmen, müssen sie daher ihre gesamte Außenpolitik darauf ausrichten, strukturelle soziale Ungleichheiten und Diskriminierung weltweit auszugleichen und menschliche Sicherheit über nationale Sicherheit stellen. Internationale Abkommen, wie das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung von Frauen, müssen von Regierungen vollständig umgesetzt werden; sexuelle und reproduktive Rechte vorbehaltlos gestärkt werden.
Weiterhin bedeutet eine feministische Außenpolitik, Sicherheitsstrukturen zu entmilitarisieren. Die weitgehend akzeptierte Annahme »Mehr Waffen bedeuten mehr Sicherheit und Atomwaffen sind der ultimative Garant für Sicherheit, weil sie die größten und bösesten Waffen sind«, wie Ray Acheson, Direktorin der Nichtregierungsorganisation Reaching Critical Will, es formuliert, wird zurückgewiesen. Auch lehnt ein solcher Ansatz die Tatsache ab, dass internationale Organisationen wie die NATO, deren Sicherheitsverständnis darauf beruht, andere Staaten militärisch zu dominieren, als Garant für unsere Sicherheit gesehen werden. Im Gegensatz begrüßt eine feministische Außenpolitik die Entscheidungen der Regierungen in Kanada und Äthiopien, jeweils nationale Ministerien für Frieden einzurichten, wodurch deutlich wird, dass Frieden mindestens genauso wichtig ist wie Verteidigung.
Eine feministische Außenpolitik verurteilt, dass vier der fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zu den fünf größten Waffenexporteuren der Welt gehören. Die Nichtregierungsorganisation Internationale Frauenliga für für Frieden und Freiheit hat in ihrem kürzlich veröffentlichten Leitfaden »Für einen feministischen Sicherheitsrat« dargelegt, wie der UN-Sicherheitsrat durch die Kooperation mit Frauenrechtsorganisationen, die Anwendung von Gender-Konfliktanalysen sowie durch eine ehrliche Abrüstungspolitik dazu beitragen kann, feministischer zu werden.
Ein feministischer Ansatz verändert auch die Arte und Weise, wie Außenpolitik gemacht wird. In allererster Linie stellt eine feministische Außenpolitik sicher, dass alle Bevölkerungsgruppen gleichberechtigt in Institutionen repräsentiert sind, von der Arbeits- bis zur Leitungsebene. politische Gruppen gleichberechtigt Einfluss ausüben können - in den Ministerien, Botschaften und Durchführungsorganisationen.
Eine feministische Außenpolitik sucht aktiv die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, die sich dafür einsetzt, sozialen Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken. Auch erkennt sie an, dass koloniales Denken und Strukturen noch immer die Außenpolitik von Ländern im globalen Norden beeinflussen und arbeitet aktiv daran, diese zu überwinden. Insgesamt geht es um Kooperation und Partnerschaften und nicht um Dominanz und Exklusion. Statt Unterschiede hervorzuheben und einen Graben zwischen uns und den anderen zu ziehen, betont eine feministische Außenpolitik die Gemeinsamkeiten aller Menschen.
In Zeiten, in denen rechtspopulistische Stimmen immer lauter werden und alles daransetzen, Gesellschaften zu spalten und die Rechte politischer Minderheiten einzuschränken, ist es wichtig, alternative außenpolitische Visionen aufzuzeigen. Nur wenn Außenpolitik intersektionalen, feministischen Prinzipien folgt, kann die Utopie einer gerechten und friedlichen Welt verwirklicht werden. Wie Clare Hutchinson, Sonderbeauftragte für Frauen, Frieden und Sicherheit der NATO, sagt: »Wenn wir keine feministische Außenpolitik haben, scheitern wir. Scheitern ultimativ daran, nicht zu verstehen, worum es bei Außenpolitik geht.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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