- Sport
- Fanprotest im Fußball
Abstimmung mit Füßen
Die europäischen Fanszenen protestieren gemeinsam für Stehplätze. Den Anfang machten die Dortmunder Fans gegen Tottenham.
Am Dienstagabend präsentierten die Dortmunder Fans beim 0:1 gegen Tottenham eine Stunde lang ein Transparent, das an diesem Donnerstag auch beim Frankfurter Heimspiel gegen Inter Mailand präsentiert werden soll. Eine Woche später wollen die Fans des FC Bayern nachziehen. »@UEFA: Europe wants to stand!«, ist die Aufschrift.
Die Fankurven wollen damit ihrer Forderung nach einer Wiedereinführung der Stehplätze bei internationalen Spielen Nachdruck verleihen. Am Dienstag wurde zudem ein Offener Brief an den Kontinentalverband UEFA veröffentlicht, den neben den Fanszenen aus Dortmund, München, Mönchengladbach, Frankfurt und Schalke auch Organisationen aus Belgien, Dänemark, England, Frankreich, den Niederlanden, Spanien, Schweden, Wales und Portugal unterstützen. »Im Namen unzähliger europäischer Fußballfans appellieren wir an Sie, Clubs und ihre Anhänger nicht weiter zu zwingen, gegen ihren Willen Fußballspiele im Sitzen zu verfolgen«, heißt es darin.
Jan Gruszecki vom Dortmunder »Bündnis Südtribüne« erklärt, warum den Fans die Wiedereinführung der Stehplätze so wichtig ist. »Überall, wo Stehplätze abgeschafft wurden, ist die Atmosphäre den Bach runtergegangen.« Zudem, so Gruszecki, führe die Ächtung der Stehplätze zu einer sozialen Segregation, die nicht im Interesse des Fußballs sein könne. »Die teuren Sitzplätze kann sich nun wirklich nicht jeder leisten.« Des Weiteren, so argumentieren die Fans, habe es das Stehplatzverbot sowieso bloß theoretisch gegeben. Zwar mussten die Stadien ab 1998 so umgerüstet werden, dass bei internationalen Spielen aus Steh- umklappbare Sitzplätze werden konnten. Doch de facto stehen trotzdem alle in den Fanblöcken. Nur dann eben auf oder vor den Sitzen. »Das ist zwar eine Abstimmung mit Füßen fürs Stehen«, sagt Gruszecki. »Aber diese Regelung ist viel gefährlicher. Es kommt oft vor, dass die Leute beim Torjubel über die Sitze fallen«.
Eingeführt wurde der europaweite Sitzzwang von der UEFA unter dem Eindruck der Katastrophen im Brüsseler Heysel-Stadion (1985) und dem Hillsborough Stadium von Sheffield (1989), als 39 bzw. 96 Menschen starben. Dass 1985 der spätere UEFA-Präsident Michel Platini in Brüssel auf dem Platz stand, halten die Aktivisten für einen Hauptgrund, warum lange Zeit Stillstand in der Stehplatzfrage herrschte. »Platini hat uns gegenüber immer argumentiert, er habe damals gesehen, wie Menschen gestorben sind«, berichtet Martin Endemann vom Bündnis »Football Supporters Europe«. »Ich kann seine persönliche Betroffenheit nachvollziehen. Aber die Katastrophe von Heysel hatte eben nichts mit der Existenz von Stehplätzen zu tun. Insofern ist es sehr schade, dass man mit ihm über dieses Thema nie reden konnte.« Platinis Nachfolger, Aleksander Ceferin, an den der Offene Brief adressiert ist, hat sich bislang noch nie öffentlich gegen Stehplätze ausgesprochen. »Das macht uns Hoffnung«, sagt Endemann.
Tatsächlich hat bei vielen Verbänden in den vergangenen Jahren bereits ein Umdenken stattgefunden. In Deutschland, wo Stehplätze in den nationalen Wettbewerben nie abgeschafft worden sind, wären viele Vereine froh, wenn sie bei internationalen Spielen nicht für viel Geld jeweils ganze Stadionbereiche für 90 Minuten um- und danach wieder zurückbauen müssten. In Schweden, wo es beispielsweise in Malmö gar keine umklappbaren Sitze gibt, ist das ähnlich. In vielen Ländern wie beispielsweise Frankreich, Schottland oder in den Niederlanden wurde das Stehplatzverbot in den vergangenen Jahren wieder aufgehoben.
»Wir erwarten, dass die UEFA diese Entwicklungen aufgreift«, heißt es in der Erklärung der Anhänger. Massivere Proteste als die aktuellen Plakataktionen haben die Fans derweil noch nicht geplant. Denn insgeheim, so hört man, herrscht Optimismus, dass man bei der UEFA auf offene Ohren stoße. Kommentar Seite 8
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.