Sozialkritik im Schongang

Neu im Kino: »Beale Street« von Barry Jenkins

  • Oliver Schott
  • Lesedauer: 5 Min.

Man könnte sich schon wundern. Ein Film über einen jungen Mann, der zu Unrecht einer Vergewaltigung beschuldigt wird und dem eine voreingenommene Justiz keine Chance lässt - ist das ein Plot, der im Jahr zwei nach »Me Too« für eine prominente US-amerikanische Filmproduktion taugt?

In »Beale Street«, der Verfilmung des 1974 veröffentlichten Romans »Beale Street Blues« von James Baldwin, ist es allerdings kein vermeintlich überbordender Feminismus, sondern Rassismus das Problem. Fonny und Tish sind ein junges afroamerikanisches Paar aus Harlem, das auseinandergerissen wird, als Fonny sich in Haft begeben muss. Tish, aus deren Perspektive die Geschichte größtenteils erzählt wird, findet kurz darauf heraus, dass sie schwanger ist. Im Zentrum des Films steht die Zerrüttung, die der bevorstehende Prozess im Leben Tishs, Fonnys und ihrer beiden Familien anrichtet. Das juristische Geschehen bleibt im Hintergrund, auch was Fonny in Haft erleiden muss, wird nur angedeutet. Aus Rückblenden setzt sich nach und nach die Vorgeschichte der beiden zusammen: ihre Freundschaft in Kindertagen und wie sie als junge Erwachsene ein Paar wurden. Ihre Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche verdeutlichen die so gravierende wie unausweichliche Rolle, die Rassismus im Leben von Afroamerikanern spielt.

»Beale Street« ist der dritte Film des Regisseurs und Drehbuchautors Barry Jenkins, der zuvor mit dem Drama »Moonlight« einen großen Erfolg feiern konnte und unter anderem den Oscar für den besten Film 2016 gewann. Es war einer dieser Filme, die alles richtig machten. Die Geschichte eines homosexuellen Afroamerikaners, der in einem von Drogen und Kriminalität geprägten Milieu aufwächst, war prägnant erzählt, hervorragend besetzt, von Kameramann James Laxton eindrucksvoll gefilmt - und sie kam gerade zur rechten Zeit. Jenkins schrieb die Drehbücher zu »Moonlight« - Vorlage war hier ein Theaterstück von Tarell Alvin McCraney - und »Beale Street« zur selben Zeit. Laxtons Kameraarbeit beeindruckt auch im neuen Werk wieder. Beide Filme stehen also sowohl inhaltlich als auch ästhetisch in enger Beziehung zueinander.

Doch so ganz gelingt es nicht, den künstlerischen Erfolg des Vorgängers zu wiederholen. Eine Stärke von »Moonlight« bestand darin, das Gezeigte für sich sprechen zu lassen; solches Vertrauen in das Material hatte Jenkins diesmal offenbar nicht. Der Protagonist von »Moonlight« zeichnete sich durch seine obstinate Schweigsamkeit aus; ein deutlicher Kontrast zu Tish, die zusätzlich zu ihrer Rolle als Hauptfigur die Handlung auch aus dem Off kommentiert. Die politische Botschaft - die Anklage des Rassismus der US-Gesellschaft - wird in »Beale Street« gleich mehrfach explizit gemacht. So berechtigt diese Anklage ist, droht sie den Stoff, der durchaus das Potenzial zu einem überzeugenden Drama hat, zu einem bloßen politischen Lehrstück herabzudrücken.

Das gilt umso mehr, als die größte Schwäche von »Moonlight«, nämlich die Tendenz zu flacher, stereotyper Charakterzeichnung, in »Beale Street« noch deutlicher hervortritt. Selbst die beiden Hauptfiguren bleiben allzu sehr durch ihre erzählerische Funktion definiert. Insbesondere Tish ist vor allem Objekt für Mitgefühl und nicht viel mehr: ein guter, liebenswerter Mensch, der es halt ungerechterweise schwer hat und leiden muss. Manche Nebenfiguren gleichen Karikaturen. Während man dem im Fall eines geradezu dämonisch erscheinenden weißen Polizisten einen gewissen künstlerischen Sinn zuerkennen kann, gilt dasselbe nicht für Fonnys Mutter, die nur in einer kurzen Episode als verbitterte religiöse Eiferin auftaucht - ohne dass dies erkennbar zur Handlung oder zur Erhellung von Fonnys Charakter beitrüge.

Einige weitere Szenen scheinen eher vom Bemühen um wokeness als vom Gegenstand motiviert. So bemüht sich Jenkins erkennbar, die patriarchalen Verhältnisse nicht auszusparen, unter denen die Frauen zu leiden haben; beispielsweise zeigt sich der ansonsten sehr sympathisch gezeichnete Fonny in einzelnen Szenen nicht frei von den unschönen Seiten eines männlichen Egos. Das wäre begrüßenswert, wenn es sich denn in die Geschichte oder Charakterzeichnung einfügen würde; doch die äußerst konventionelle, bis an die Grenze des Kitschs idealisierende Darstellung der Liebe zwischen Fonny und Tish bleibt davon leider ganz ungebrochen.

Die etwas zu pathetisch die Stimmung vorgebenden Streicher künden davon, dass die Gesellschaftskritik doch wieder nur im Namen derselben spießigen Werte geführt wird, die die kritisierte Gesellschaft selbst schon immer gepredigt hat - wie weiland bei Frank Capra, nur ohne Humor. Als Tish ihren Eltern und ihrer Schwester eröffnet, dass sie das uneheliche Kind eines Inhaftierten erwartet, halten diese in unbedingter, aufopferungsvoller Solidarität zu ihr. So liefern die althergebrachten Hollywood-Mythen der großen Liebe und der heilen Familie die Folie für die Anklage einer bigotten, rassistischen Gesellschaft, die das Glück unschuldiger Menschen durch äußere Gewalt zerstört. Dagegen zeigte »Moonlight«, wie die schlechte Welt den Protagonisten nicht nur von außen, sondern auch von innen zerstört wird.

Und was ist mit dem falschen Vergewaltigungsvorwurf? Das Opfer, eine arme Immigrantin aus Puerto Rico, tritt nur in einer Szene auf. Tishs Mutter versucht, sie davon zu überzeugen, dass sie Fonny verwechselt haben müsse. Doch die sichtlich traumatisierte Frau will davon nichts wissen - und verfällt kurz darauf in einen hysterischen Anfall. Der Gedanke drängt sich auf, dass eine solche Behandlung des Themas unter anderen Umständen laute feministische Kritik auf sich gezogen hätte.

Beale Street. USA 2018, Drehbuch und Regie: Barry Jenkins. Mit KiKi Layne und Stephan James. Länge: 117 Minuten.

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