Gender-Gaga

Vanessa Fischer entsorgt Essiggurken für Frauen

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 2 Min.

»Entschuldigung, dass ich zu spät bin, aber ich habe mir gestern versehentlich einen Männer-Wecker gestellt.« Klingt absurd? Wer einen Blick in die hiesigen Supermarktregale wirft, findet dort Essiggurken »Madl« in lieblich und Essiggurken »Buben« in kräftig, daneben Frauen-Tees, Frauen-Klopapier und Frauen-Ohrstöpsel. Fieberthermometer, Globusse, Ketchup und Joghurt in rosa und in hellblau. Bastelkleber speziell für Jungen und für Mädchen. Zur Männer-Grillwurst gibt es neuerdings den passenden Männer-Senf. Geschlechterspezifische Produkte sind längst Realität unseres spätkapitalistischen Einkaufserlebnisses geworden.

Die Werbebranche nennt das Gender-Marketing - Werbung also, die alltägliche Produkte mit Hilfe von Geschlechterstereotypen verkauft: Die Männersachen sind in der Regel hart, feurig, kalorienreich und billig; die Produkte für Frauen weich, süß, kalorienarm und teuer. Das kapitalistische Diktat der ewigen Akkumulation zwingt Unternehmen dazu, immer neue Absatzmärkte zu (er)finden. Warum also nicht einen »völlig neuartigen« Frauen-Wecker entwerfen, wenn der Markt für geschlechterunspezifische Wecker bereits gesättigt ist?

Die börsennotierte Firma Bic verkauft nun auch Frauen-Kugelschreiber. Endlich, welch Glück! Nach 100 Jahren Frauenwahlrecht war es auch verdammt noch mal an der Zeit für einen eigenen Kugelschreiber. Damit können wir nun die Anweisungen unserer männlichen Chefs notieren, während wir vergessen, dass wir immer noch deutlich weniger verdienen.

Nüchtern betrachtet ist Gender-Marketing schick verpackter Sexismus für konsumgeile Abnehmer*innen. Es steigert Stereotype bis ins Absurde und verfestigt sie dabei. Besonders bei Baby- und Kinderprodukten ist das gefährlich. Wer schon Säuglingsstrampler in rosa mit der Aufschrift »Ich hasse meine Oberschenkel« und in hellblau mit dem Schriftzug »Ich bin super« bedruckt, braucht sich über spätere Body-Issues einerseits und machohafte Selbstüberschätzung andererseits nicht zu wundern. Während Jungen forschen und bauen, lernen Mädchen so von klein auf, dass es hauptsächlich auf ihr Äußeres ankommt - und sind später dann auch eher bereit, mehr Geld für Beauty-Produkte auszugeben. So kostet ein rosa Einwegrasierer dank »Pink Tax« etwa 33 Prozent mehr als das blaue Pendant. Für eine Kurzhaarfrisur zahlen Frauen im Schnitt 12,50 Euro mehr als Männer. Ein Teufelskreis. Neoliberaler Unsinn und Ungerechtigkeit auf allen Ebenen. Bleibt nur zu hoffen, dass dieses Gender-Gaga ein deutliches Zeichen dafür ist, dass wir uns nun wirklich in der allerletzten Phase des Kapitalismus befinden.

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